Die größte Stadt der Welt umfasst die Fläche Österreichs, sie zählt 32 Millionen Einwohner -und doch kennt sie kaum jemand: Während alle Welt auf die Olympia-Hauptstadt Peking schaut, baut China in Chongqing an seiner Zukunft.
Jeden Morgen trägt Frau Lu ihre Holzkiste hinunter zum Chaotianmen, wo die Gehwegplatten glänzen wie französisches Spiegelparkett. Frau Lu hat ihre Stelle gleich am Busbahnhof. Steigen die Touristen aus, um zu sehen, wie die grauen Fluten des Jialing-River sich in die braunen des Jangtse stürzen, ist ihre Schuhputzkiste die erste. "Blitzblank" verspricht Frau Lu. 50 Cent kostet eine Behandlung. Den Hinweis, nun besser nicht in eine Pfütze zu treten, gibt es gratis.
Keine Chance in einer Stadt, die nur zwei Jahreszeiten kennt: Glühende Sonne und dicken Nebel. Die Luft über Chongqing ist aus winzigen Tropfen gemacht, der Himmel über der 32-Millionen-Metropole einheitlich grau. Smog? Abgase? Eine Frage, die im neuen Multimedia-Stadterklärungscenter am Hafen unbeantwortet bleibt. Selbst die Kraftwerke am Stadtrand sind im Mäusekino der Planer emissionsfrei.
Lilly Wang, die in Chinas jüngster Regionshauptstadt aufgewachsen ist, weiß es besser. Dennoch bevorzugt sie die offizielle Erklärung. Smog? Abgase? Lilly Wang schüttelt den Kopf. "Der Dunst kommt vom Fluss", sagt die Chinesin, die sich wie viele junge Leute einen westlichen Namen zugelegt hat. Chongqing liege zwischen drei Berghängen und zwei Flüssen und nur deshalb 300 Tage im Jahr im Nebel. Was für ein Glück: "Durch die feuchte Luft haben Frauen hier die schönste Haut von China", freut sich die 25-Jährige.
Wie zum Beweis verteilen Zuhälter vor den großen Hotels laminierte Visitenkarten von schlanken und sehr blassen Mädchen. Prostitution ist verboten, aber ein boomendes Geschäft - auch 2 400 Kilometer tief im Inland, wo sich mit Chongqing das Chicago unter den chinesischen Boom-Cities anschickt, einen Platz auf der Weltkarte der Mega-Städte zu erobern.
Rein rechnerisch liegt die Stadt weit vorn. Vor hundert Jahren gab es hier keine Autos, noch 1990 hatte die Nothauptstadt des Tschiang-Kai-Shek-Regimes vier Millionen Einwohner, aber nicht ein einziges Hochhaus. Inzwischen jedoch regiert Bürgermeister Wang Hongju 32 Millionen Menschen, verteilt auf ein Gebiet so groß wie Österreich - zehn Millionen mehr als in New York leben, dreimal soviel wie Peking hat. Dank großzügiger Zuzugsregeln kamen allein im ersten Halbjahr 170 000 Einwohner dazu, die Wirtschaft wuchs um 15 Prozent, der Durchschnittslohn stieg auf 600 Euro im Monat.
Die Stadt fiebert, hastet, läuft, ist ruhelos auf der Flucht in die Zukunft. Zwar graben große Firmen schon seit Jahrzehnten Erdgas, Kohle und Eisen aus den Bergen ringsum. Doch erst der Bau des umstrittenen Drei-Schluchten-Damms machte die Hochburg von Chinas Auto- und Rüstungswirtschaft für große Schiffe erreichbar. Seit das Wasser des Stausees an den Docks am Chaotianmen leckt, ist Chongqing eine Industriestadt, deren Muskeln schneller wachsen als die Nerven hinterherkommen können.
Überall ragen die Gerippe neuer Hochhäuser in die Nebelluft; wo immer Platz ist, werden Brücken über die Flüsse geschlagen, Straßen und Bahntrassen gebaut. Es baggert und hämmert, schleift und gräbt, 24 Stunden am Tag. Eben erst wurde die Zahl der Flüge Richtung Peking von 12 auf 20 pro Tag erhöht, bis 2012 sollen 15 neue Zugstrecken in Betrieb gehen.
Chongqing platzt eilig aus Mao-Bluse und Plastiksandale. Das alte China versteckt sich hier nur noch in dunklen Seitengassen, wo die Garküchen qualmen und Bordelle als Frisiersalons getarnt sind. Durch die breiten Geschäftsstraßen aber weht ein Hauch Hongkong. Links steht die "Halle des Volkes", rechts das Three-Gorges-Museum, das die größte Staumauer der Welt in Glas nachstellt. Kinder lassen Spielzeughelikopter über den Köpfen von Polizisten kreisen. Mädchen gehen bauchfrei durch den Smog und flirten mit Jungen, die mit futuristischen Handys telefonieren. Daneben hocken alte, verhärmte Männer mit groben Händen, die Nudeln essen, in den Nebel starren und auf den nächsten Transportauftrag warten.
Dank der steilen Straßen verdienen 200 000 Männer aus der Region ihren Lebensunterhalt als so genannte Bang Bang Jun. Meist sind es ehemalige Bauern, die mit einer langen Bambusstange alles überallhin schleppen: Mehlsäcke und Kühlschränke, Autoteile und Zement. Die Bang Bang sind der Treibriemen des Booms, ihre Bambusstöcke das Skelett des Aufschwungs. An den Füßen tragen manche von ihnen noch die Stroh-Sandalen der Jangtse-Treidler. Deren Arbeitsplatz haben die Fluten des Drei-Schluchten-Damm für immer geschluckt.
Überflüssig wie das alte Backstein-Chongqing, das Kolonnen von Steineklopfern entlang der Flussufer abreißen. "Häuser, in denen drei Familien eine Küche teilten", sagt Curtis Ning, der seine Kindheit in einem solchen Haus verbracht hat. Neue, moderne Häuser müssen her, für neue, moderne Chinesen. Chinesen wie Li Xiahua, der in der Zhong-Shan-Straße einen vor Chromstahl strahlenden Sportladen betreibt. Die Gegend liegt weit weg von den Prachtstraßen, hier kaufen die Kids, die gegenüber im Freizeitpark Fußball und Basketball spielen. Die tragen Sachen von Li Ning, dem chinesischen Adi Dassler. Der größte Schuh, den Herr Li im Angebot hat, ist Größe 42. "Wir gehen", sagt der Mittdreißiger, "noch nicht mit den Füßen von Westlern."
Verglichen etwa mit Schanghai ist die Weltstadt in spe ein Potemkinsches Dorf aus Milliarden Kubikmetern Beton, eine Kulisse für eine globale Komödie. Ausländer werden begeistert mit dem Handy geknipst, McDonalds konkurriert nur vorsichtig mit den Anbietern der beißend scharfen örtlichen Spezialität Hotpot, für die Feinschmecker geschälte Rinderpenisse direkt am Tisch garen. Und in den Luxusshops an der Minzu Lu spricht das Personal so wenig Englisch wie in den Volksarmee-Läden, die gefälschte Designer-Handtaschen anbieten. Alles aus Armeefabrik, radebrecht die Chefin: "Wir haben drei Qualitäten, die beste davon ist ganz echt."
Das neue Chongqing mit seinen Leuchtreklamen, seinen blitzenden Kreuzfahrtschiffen und den Motorradfabriken, die jedes dritte in China gebaute Krad ausspucken, frisst das alte Chongqing, die Hauptstadt der verlorenen Ba-Dynastie. Schon heute ist der letzte Rest der Historie nur noch in einer muffig riechenden Straße weit außerhalb der City zu besichtigen. Hier in Ciqikou sitzen die Alten vor ihren Hütten, spielen Mahjong und trinken Tee dazu. Hunde wieseln durch winzige Vorgärten, Mao-Kutten trocknen im braunen Nebel. Am Wochenende fallen tausende Touristen ein, um die Straße entlang zu laufen und zuzusehen, wie es ist, wenn nichts passiert. Die Touristen sind allesamt Chinesen.
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Mikrobi
Interessanter Bericht. Eine solche Entwicklung können wir uns in Mitteleuropa gar nicht vorstellen.
Mein persönliches Highlight: Die strickenden Frauen. So anders diese Welt und trotzdem sitzt man auch dort zusammen und lässt die Nadeln klappern :)
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