An diesem Satz bin ich in der Bibliothek hängen geblieben. Im Vorübergehen:
Jeder Tag will gelebt sein.
Seit dem denke ich über diesen Satz nach. Er ziept und zerrt an mir, pickst mich und lässt mich nicht in Ruhe. Jeder Tag will gelebt sein. Damit bin ich gemeint. Ganz persönlich. Denn nur ich kann meinen Tag leben. Wenn ich es nicht tue, vergeht er auch, doch eben ungelebt, obwohl ich da war.
Ich glaube, daran liegt eines der Geheimnisse verborgen: Zwischen da sein und wahrhaft lebendig da sein, liegt ein Unterschied, so groß wie das Meer.
Ein gelebter Tag lässt uns abends zufrieden sein. Und dabei kommt es nicht darauf an, was wir geschafft haben, an Punkten abhaken konnten, in die Stunden alles hinein gequetscht haben, sondern ob wir wirklich da waren. Anwesend waren in unserem Leben. Gespürt haben, dass das Leben in uns fließt. Wir das fließende Leben in anderen wahrgenommen haben.
Dazu braucht es ein Hinschauen, ein bewusstes Schauen. Ein sich selbst bewohnen, sich innerlich spüren. Interessanterweise gibt es das Phänomen der sich verlangsamenden Zeit, bei dem, der beginnt im Hier und Jetzt zu sein.
Der Tag will mit Sinn verbracht werden, dann ist er gelebt. Mit allen Sinnen. Wir sind doch allesamt die meiste Zeit Kopfbewohner und der Rest unseres Körpers scheint nur dazu da zu sein, unser Gehirn in der Gegend herum zutragen.
Doch Lebendigkeit drückt sich im Spüren aus. Wie ich sitze, wie sich der Stoff meiner Kleidung auf meiner Haut anfühlt, wie sich der Schluck Wein geschmacklich entfaltet, wie das Essen verführerisch duftet. Wenn wir von geliebten Menschen berührt werden, wenn wir uns im Sport verausgaben, wenn wir ein Haustier streicheln etc.
Dann fühlen wir uns lebendig mit allen Sinnen.
Leben erscheint uns dann am kostbarsten, wenn es am meisten in Gefahr ist. Wenn ein geliebter Mensch, ein Kind schwer erkrankt ist, jemand einen Unfall hatte, wir auf einmal spüren, dass hier etwas Unwiederbringliches geschehen kann. Dann werden wir aufmerksam für jede Sekunde, sind ganz da mit allen Sinnen, wollen vollkommen hier sein.
Ist die Gefahr vorüber, vergeht auch dieser extreme Fokus. Das ist auch gut so, denn niemandem tut es gut in dieser steten Konzentration zu leben.
Doch was uns ebenso gut tut, ist es einen Funken der Fokussierung mit uns zu nehmen. Kleine Momente im Alltag zu schaffen, die uns unsere kostbare Lebendigkeit, unser Verankertsein im Leben wieder bewusst machen.
In Zufriedenheit Sinn finden. Unser Leben betrachten unter dem Aspekt was für uns Sinn macht und was nicht. Von was wir viel zu viel tun und es uns nicht gut tut. Und von was wir viel zu wenig tun und es uns so gut tun würde.
Worin finden wir unseren Sinn? Eine große Frage, doch ich glaube, wenn wir beginnen können, jeden Tag ein wenig mehr zu leben, so wie es unser Tag von uns will, dann wird sich der Sinn immer mehr zeigen. Denn nur wenn wir hinsehen, werden wir auch erkennen.
Jeder Tag will gelebt sein.
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Ein wirklich schöner Artikel der zum Nachdenken anregt. Danke für diesen Impuls!
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