Wo der Wahnsinn zuhause ist - Nordafrika.

in #deutsch7 years ago (edited)

Zu Beginn ein Hinweis: diejenigen die den Syrienkrieg für ein unübersichtliches Chaos halten, sollten sich im folgenden Artikel auf das "Battle Royale", welches ich zu schildern versuche, gefasst machen. Hier treffen Zigaretten schmuggelnde Islamisten und Anhänger des längst toten Gaddafi auf amerikanische Drohnen und kolumbianische Kartelle. Es ist ein Umschlagplatz für "Flüchtlinge" auf dem Weg nach Europa und eine gesetzlose Wüste, in der von Nomaden über französische Soldaten jeder vogelfrei ist. Willkommen in der Sahelzone!

Die Hauptursache für das heutige Chaos in der Region ist auf AQIM (Al-Qaeda im Islamischen Maghreb) zurückzuführen. Die Organisation entstand im Algerischen Bürgerkrieg (1991 - 2002) und hatte damals unter dem Namen GIA (Groupe Islamique Armé) das Ziel, Algerien zum Gottesstaat zu machen. Nachdem die algerische Regierung allerdings den Säkularismus durchsetzte, änderte sich die Struktur und aus der islamischen Rebellion wurde eine islamische Terrororganisation, die bis heute größtenteils von Veteranen des Afghanistankrieges geführt wird. 

Der "Emir" von AQIM erläuterte 2008 in einem Interview mit der New York Times die Ziele seiner Gruppe: Die Beseitigung von Grenzen zwischen den muslimischen Ländern und auf lange Sicht die Etablierung eines Kalifats. Allerdings greifen die Islamisten da auf sehr bizarre finanzielle Mittel zurück. Die Haupteinnahmequelle der AQIM sind Lösungsgelder. Es kamen in den vergangenen Jahren immer wieder Berichte an die Oberfläche, die den Regierungen Italiens, Spaniens und Frankreichs vorwerfen, Millionenbeträge an die Terroristen gezahlt zu haben.
An dieser Stelle sollte sich jeder selbst die Frage stellen, wie sich eine hochausgebildete Armee, die das Gebiet gut kennt, wohl am Migrantenstrom nach Europa bereichern, oder diesen sogar ausnutzen kann, um ins Abendland zu gelangen.
Und nun zu einer ganz skurrilen Sache: 2010 trafen sich Repräsentanten der Terrorgruppe mit Kartellchefs aus Kolumbien und Bolivien im kleinen Guinea-Bissau und laut dem Africa Center for Strategic Studies kam es zur Abmachung, dass die Islamisten das lateinamerikanische Kokain nach Europa schmuggeln werden.

Der ungefähre Einflussbereich der AQIM erstreckt sich über ein Gebiet, dass mehr als 3,5 Millionen km² groß ist.

Nun kommen auch Europa und die USA ins Spiel. Frankreich und die Vereinigten Staaten verstärkten von 2012 bis 2014 ihre militärische Präsenz zunehmend. Nach einem offenen Schlagabtausch mit den Terrormilizen schien die Lage in einer Patt-Situation stecken geblieben zu sein, doch als am 4. Oktober 2017 vier US-Soldaten in Niger in einem Hinterhalt getötet wurden, weckte das zum ersten Mal auch die Aufmerksamkeit der Zivilbevölkerung im Westen. Fragen wie "Was machen unsere Soldaten in einem Land, von dem nur wenige überhaupt wissen?" kamen auf. Ihr inoffizieller Befehl lautet vermutlich ungefähr: "Haltet diese Islamisten in Schach, aber nur so sehr, dass unsere Präsenz gerechtfertigt bleibt." Wie so oft, stecken dahinter wahrscheinlich wirtschaftliche Interessen. Man möchte nun mit noch mehr Kampfdrohnen Überfälle auf Schürfstellen, wie 2013 im algerischen In Amenas verhindern und nebenbei auch strategische Partnerschaften knüpfen mit dem kläglichen Bisschen was an funktionierenden Regierungen übrig geblieben ist. 

Wenn man dieses Gewebe aus Konflikten aber eines Tages lösen will, dann müssen meiner Ansicht nach vor allem zwei Dinge geschehen: 1.) Libyen, welches AQIM als Schmuggelroute nach Europa dient, muss stabilisiert werden. 2.) Die Länder der Sahel-Region (vor allem Mali und Niger) müssen ein kampffähiges Heer auf die Beine stellen, denn die Einheimischen verstehen die Klan-Dynamik ihrer Heimatländer am besten (ich persönlich mag VICE News nicht, aber ihre Dokumentation zu Mali demonstriert sehr gut, dass die Regierungstruppen selten eine Ahnung davon haben, wie sie ihre Arbeit tun sollen).

Auf einer US-Drohnenbasis in Niger. Zusätzlich zu den zwei, die bereits vorhanden sind, genehmigte die amerikanische Regierung vor kurzem den Bau eines dritten Stützpunkts.

In der Zwischenzeit herrscht die Situation, dass mitten in Afrika ein anarchisches Loch, größer als ganz Indien, jedem opportunistischen Islamisten Unterschlupf bietet, der bereit ist, sein Leben für Allah oder das ganz große Geld zu riskieren.


Quellen

(1)  https://www.forbes.com/sites/kerryadolan/2013/12/16/the-secret-of-al-qaeda-in-islamic-maghreb-inc-a-resilient-and-highly-illegal-business-model/#41d3cd30475e

(2) https://www.npr.org/sections/thetwo-way/2017/10/20/558757043/the-u-s-military-in-africa-a-discreet-presence-in-many-places

(3) https://www.cfr.org/backgrounder/al-qaeda-islamic-maghreb

(4) http://foreignpolicy.com/2017/10/27/the-real-reason-u-s-troops-are-in-niger/

(5) https://oilprice.com/Geopolitics/Africa/Niger-Is-key-to-West-Africas-future-security.html

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Und heute müssen wir uns nicht mal streiten ;-)
Sehr gut und faktenbasiert - jedoch neutral bleibend - zusammengefasst. Nice post, 100% upvote.