Nachdem ich im vorigen Beitrag mein YouTube-Video zur "Weisheit der 4" veröffentlicht habe, folgt nun das Transkript zum Video. Ich habe im folgenden Text auch ein paar Verbesserungen und Ergänzungen vorgenommen sowie ein paar Bilder ergänzt bzw. ausgetauscht.
In diesem Video versuche ich, die Frage zu beantworten, was die 4 in verschiedenen Weisheitslehren ist und wie wir von der 1 auf logisch-nachvollziehbare Weise zu ihr gelangen beziehungsweise gelangen müssen.
Sein und Nichts bei G. W. F. Hegel
Aus der Einheit geht bei Hegel ganz natürlich die Zweiheit hervor. Sein geht in Nichts über. Übereinstimmung mit sich selbst, Selbstidentität, geht ganz natürlich in die Dualität, in das Nichts, über, weil sie erst in der Reflexion als Identität (Selbstübereinstimmung) erfahren werden kann. Man könnte auch sagen, dass das Sein sich in diesem Prozess bzw. auf diese Weise selbst voraussetzt. Da das Sein voraussetzungslos ist, kann die doch notwendige Voraussetzung nur aus sich selbst kommen.
Die Identität ist sozusagen nur eine behauptete, aber noch nicht reflektierte, noch nicht (logisch) vollzogene. Ihr fehlt der Prozess, der Fortgang. Sie ist durch das Nichts ausgelöste Notwendigkeit, der Berechnung dessen, was ist. Das, was ist, muss erst noch "berechnet", man könnte auch sagen "imaginiert" werden, damit es sein kann.
Bei Hegel beginnt dieser Fortgang aus dem Sein als Kategorie der Qualität und schreitet in einem logischen Prinzip voran, das auf dem dialektischen Dreischritt beruht, den er in der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Abschnitt über die drei Momente des Logisch-Reellen ausformulierte.
Mittels diesen dialektischen Dreischritts gelangt Hegel in der Logik der Wissenschaften vom Sein, über das Nichts zum Werden.
- Der Ausgang ist also das Sein.
- Der zweite Schritt ist **Sein **im Widerspruch zum Nichts.
- Der dritte Schritt ist die dialektische Auflösung (Aufhebung) des Widerspruch in der Form des Werdens.
So wie im Sein das Nichts schon enthalten ist, da es nur in der Anschauung, der Reflexion, wirklich erfahren werden kann, geht aus der Dualität Sein-Nichts ganz natürlich das Werden hervor.
Der Fortgang der Zahlen unterliegt der selben Logik
Wir dürfen davon ausgehen, dass die Zahlen sich ebenso verhalten und jede ihr Nächstes schon in sich enthält und den Fortgang gewissermaßen „fordert“.
Es ist mit diesem dialektischen Dreischritt leicht nachvollziehbar, wie man vom Monismus, über den Dualismus zur Trinität, also von der 1, über die 2 zur 3 gelangt. Doch wie gelangt man (logisch) zur 4?
Zahlen als Archetypen bei C. G. Jung
Nach Carl Gustav Jung gibt es dafür eine psychologische Erklärung. Der christlichen Dreieinigkeit fehlt ein viertes Element: die dunkle Seite Gottes als Gegenstück zur hellen Seite. Damit sind auch das Weibliche, die Jungfrau Maria, die Erde und der Körper gemeint.
4 ist ein wichtiger Archetyp, weil sie der Dreieinigkeit das Element hinzufügt, das ihr fehlt: Sie ist das Symbol für die Bewusstwerdung der Ganzheit.
So kann das Unbewusste, C. G. Jung zufolge, nur durch die vier psychologischen Grundfunktionen des Bewusstseins (Denken, Fühlen, Wahrnehmung und Intuition) zu einem Objekt der Erfahrung werden.
- Es wird als etwas wahrgenommen, das existiert (Wahrnehmung).
- Es wird als dies erkannt und von jenem unterschieden (Denken).
- Es wird als angenehm oder unangenehm usw. bewertet (Gefühl) und schließlich - sagt uns die Intuition, woher es kommt und wohin es geht.
Carl Gustav Jung stellt das Prinzip der 4 auch in der Gleichung 3+1=4 dar. Sie ist eine Summe aus den 3 differenzierenden und einer nicht differenzierenden Funktion (die geringwertigere Funktion). Damit möchte er sagen, dass wir, wenn wir nicht alle vier psychologischen Grundfunktionen des Bewusstseins innehaben, unbewusst bleiben.
Die Zahl 4 steht für die Gesamtheit der Persönlichkeit - deshalb stellt sie in der Religionspsychologie für Jung die notwendige Ergänzung zur christlichen Trinität dar, als „dunkles“, weibliches Element, das die Trinität zur Vierheit als Gesamtheit ergänzt.
Die 4 in verschiedenen Weisheitstraditionen
Verschiedene Weisheitstraditionen sehen die 4 als genau das. Sie geben uns Aufschluss darüber, welches Potential die 4, wenn sie als Entität bzw. Archetyp verstanden wird, der von uns gefunden und nicht erfunden wird, in Wirklichkeit hat. Sie dient nicht nur zum Rechnen.
Die 4 bei den Vorsokratikern
Phytagoras sieht in ihr Festigkeit und ordnet ihr die Wissenschaft der Astronomie zu. Er nahm vier Grundlagen der Weisheit an: Arithmetik, Musik, Geometrie und Astronomie, in der Reihenfolge: 1,2,3,4. Cleinias of Tarentum schrieb:
Aus diesen Dingen entstanden, wenn sie ruhten, die Arithmetik und die Geometrie und wenn sie in der Bewegung waren, die Musik und die Astronomie.
- Die Arithmetik symbolisierte die Monade (Einheit), die absolute Quantität. Sobald darin auch nur etwas mit etwas anderem verbunden wird, ist es nicht mehr allein, sondern fällt unter die Dyade (Zweiheit).
- Die Musik symbolisierte die Dyade und die erste Differenz.
- Die Geometrie symbolisiert die Triade (Dreiheit) und steht für begrenzte Flächen (2 D).
- Die Astronomie symbolisiert die Tetrade (Vierheit) und steht für räumliche Objekte (3 D).
Die 4 in der Brahmi-Schrift
Die Inder stellten die 4 in der Brahmi-Schrift im dritten Jahrhundert vor Christus als Plus dar, was für Materie beziehungsweise Erde steht.
Die 4 in der Geometrie
In der Geometrie beginnt die Räumlichkeit erst mit der 4. Während die 1 ein Punkt, die 2 eine Linie, die 3 ein geometrischer Körper ist, entsteht durch die 4 ein Raum. Erst durch die Hinzufügung eines vierten Punktes entsteht die Möglichkeit, die Fläche zu einem dreidimensionalen Raum auszubauen. Der vierte Punkt fügt dem Bild Tiefe hinzu und schafft ein Objekt, das Volumen besitzt und tatsächlich im Raum existiert. Dies macht die Zahl 4 zur ersten Zahl, die den Raum definiert und messbar macht.
Die 4 im hebräischen Alphabet
Im hebräischen Alphabet steht
- Aleph für den Vater,
- Bet für den Sohn und
- Gimmel für den heiligen Geist, den Gebenden.
- Dalet, der vierte Buchstabe, steht für den Armen bzw. arm, die Tür, emporheben.
Das Piktogramm für Dalet sieht aus wie eine geschlossene (hängende) Zelttür, während die klassische hebräische Schrift aus zwei Linien und einem Eckpunkt (oder Überhang) besteht, der „Ohr“ genannt wird.
Die gebogene Form des Dalets zeigt eine Person, die sich bückt und bedürftig ist.
Das Wort dalet kommt von dalah und bedeutet soviel wie „herausziehen“ oder „verarmen“.
Das Wort dalut wiederum bedeutet „arm“ oder „verarmt“.
Von Dalets Ohr wird gesagt, es lauscht auf die „Gabe der liebenden Güte“ des herannahenden Gimmel.
Das Bein des Dalet-Piktogramm streckt sich nach rechts - in Richtung des heiligen Geistes bzw. Gebers (Gimmel). Das lehrt den Armen bzw. Gläubigen, dass er sich zur Verfügung stellen muss, um die Wohltätigkeit des heiligen Geistes zu empfangen. Er muss sich dafür also in Bewegung setzen. Die 4 steht hier also dafür, dass der inkarnierte Mensch, der auf der Suche nach Gott ist, sich für diesen bereit halten und aufmerksam für ihn sein muss. Er kann ihn auf diesem Weg potentiell erfahren.
Worum geht es bei der 4?
Egal ob die 4 als Symbol für die Wissenschaft der Astronomie wie bei den Vorsokratikern oder als das potentiell mögliche Horchen und Erfahren des heiligen Geistes wie in der hebräischen Schritt verstanden wird. Es geht bei ihr prinzipiell darum, etwas im Numinosen zu erkennen, das Numinose zu entschlüsseln.
Die Astronomie erkennt darin etwas, sobald es in Bewegung ist und eine geordnete Bewegung erfährt. Aus diesen Betrachtungen heraus erstellt sie Aussagen über das Numinose, etwas Sagbares im Unsagbaren. In ihr drückt sich das Prinzip der Vierheit auch in den 4 inneren sowie 4 äußeren Planeten des Sonnensystems aus.
Auch über diese Weisheitstraditionen hinaus erkennen wir das Prinzip der Vierheit zum Beispiel in:
- 4 Jahreszeiten
- 4 Himmelsrichtungen
- 4 Basen einer DNS-Helix
- 4 Elemente
- 4 fundamentale Wechselwirkungen in der Teilchenphysik
Wie ein Kompass, der uns die Himmelsrichtung anzeigt, haben wir mit der 4 also ein Koordinatensystem zur Verfügung, das uns wie in der Nautik oder der Astrologie die Richtung weist.
Erklärung für den Fortgang zur Vier aus der Drei
Wann immer die Reflexion nach dem Fortgang aus der 1 die nächste Entität findet, passiert dasselbe. Sie nimmt jeden weiteren Begriff (bei Hegel) beziehungsweise jede weitere Zahl (in der Mathematik) als eine potentiell mit sich identische wahr (eine Identität) und behandelt sie dementsprechend prüfend. Bei der Prüfung, der Reflexion, stellt sich jedoch heraus, dass ihr ein Widerspruch innewohnt. Sie löst ihn dann auf, indem sie zum nächsten Element übergeht, das wiederum einen Widerspruch enthält, und so weiter.
Wie wir in Die Geburt des Löwen von OM C. Parkin sehen können, stellt der Buddhismus auch uns Menschen als solche Objekte dar, die wie eine Formel oder Gleichung, eine Anreihung dieser in sich notwendigerweise fortschreitenden Gedanken oder Annahmen einer Identität sind.
Darin fragt ein Besucher im Satsang OM C. Parkin:
Also bin ich in meinem Selbstverständnis nichts weiter als eine Folge von Gedanken, diesen Ich-Gedanken, die glauben, sie seien in sich vollständig?
Und OM C. Parkin antwortet:
Das ist richtig.
Quellen:
- www.youtube.com/watch?v=gtQGfFj8iTY&t=0s
- https://eternalisedofficial.com/2024/01/11/the-psychology-of-numbers/#11-the-psychology-of-the-number-4-
- https://www.astro.com/astrowiki/de/Kreuz
- http://tetraktys.de/einfuehrung-1.html
- https://de.wikipedia.org/wiki/Brahmi-Schrift
- https://www.esoterika.ch/hellsehen/numerologie/pythagoraeische/
- https://hebrew4christians.com/Grammar/Unit_One/Aleph-Bet/Dalet/dalet.html
- https://www.chabad.org/library/article_cdo/aid/137076/jewish/Dalet.htm
- https://buddhisten-collegium.org/die-brahmi-ziffern/