Outing - Ängste- Scham und großartige Chance!

in #deutsch7 years ago

Bhu was für ein Thema.

Ein Outing bedeutet ja immer, dass mit der sich outenden Person etwas nicht so ganz in Ordnung ist. Dass er oder sie jetzt vor anderen dazu stehen muss/will und sich deswegen erklärt.

Es gibt Outings, die schön sind. Zum Beispiel, wir werden heiraten, sind schwanger, ich bin verliebt in XY, ich kaufe einen Hund/Haus, werde studieren etc. Das sind alles Situationen, in denen wir ein Teil unseres Umfeldes über einen Richtungswechsel in unserem Leben informieren wollen/müssen. Der Begriff Outing wird also für Richtungswechsel in unserem Leben verwendet, die für andere evtl. unangenehm sind und bei denen die betroffene Person Angst vor Ablehnung verspürt. Mama/Papa ich bin homosexuell gehört da offenbar genauso dazu wie, Leute, ich bin transsexuell.

Für mich ist es merkwürdig, bewusst in eine Outing-Lage geratenzusein. Dieses Gefühl, ich möchte etwas tun, wofür ich mich erklären muss, empfinde ich als massive Konfrontation und kräftezehrend. Gut, ich hätte die Wahl, sämtlich Kontakte abzubrechen und mir am Schluss der Angleichung an ein männliches Äußeres einfach einen neuen Kreis aufzubauen, ohne Outing, aber das wär ... echt scheiße, wenn ihr mich fragt.

Als mir klar war, ich möchte mich mit meinen transsexuellen Identitätsproblemen befassen und ich will diesen Weg der Angleichung gehen, stellte sich mir die Frage, wem muss ich das sagen?
Wär ich homosexuell, würde das ja soweit niemanden etwas angehen, mit dem ich nicht meine Liebesbeziehung in irgend einer Art teile. Aber wenn ich mein Äußeres so gravierend verändere, spielt das für jeden, der mich kennt größere Rolle.

Ich setzte mich erst mal und machte mir eine Liste.

Mir wurde schnell klar, dass ich bei 85% der Menschen absolut keinen Stress mit dem Thema habe. Ich mag diese Menschen gern, sie sind Bekannte/Freunde und wer mit mir befreundet ist, muss eine größere Toleranz besitzen. Ich kann intoleranten Menschen nämlich nicht viel abgewinnen und befreunde mich mit ihnen gar nicht erst. Und sollte ich mich bei einem davon geirrt haben, dann wüsste ich nach dem Outing ja Bescheid, gut für mich. Außerdem wurde mir bewusst, dass ich mit vielen schon darüber gesprochen habe, dass ich solche Gefühle besitze und mich nicht wirklich als Frau erlebe. Also alles easy.

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Dann gab es eine Kategorie von etwa 10%, bei denen spürte ich einen Druck in der Brust, wenn ich an das Gespräch dachte. Ich fühlte, dass der Verlust dieser Beziehungen für mich belastend wäre. Auch betraf es diese Menschen auf einer tieferen Ebene. Z.B einen Freund, den ich seit 11 Jahren sehr schätze und mit dem ich ganz kurz die Frage hatte, sind wir ein Liebespaar? Ich überlegte mir, wie würde es für ihn sein, wenn ich das Geschlecht wechsle, war er doch mal in mich verliebt. Könnte er damit umgehen oder wäre das für ihn vielleicht sogar abstoßend? Ja solche Fragen stellt man sich. Als ich so über diese Leute nachdachte, wurde mir schnell bewusst, das Risiko will ich eingehen, denn mein Gewinn ist viel größer als der Verlust einer der betroffenen Personen. Ich hoffe ich klinge jetzt nicht wie ein asoziales Arschloch, aber in dem Moment ist mir mein persönliches Lebensglück wichtiger als die Intoleranz meines Umfeldes.
Alles in allem, auch keine große Sache.

Aber jetzt kamen die letzten 5% der Menschen, deren Verlust für mich ein unfassbar hoher Preis wäre. Die meisten davon sind Kinder, die selber noch gar nicht entscheiden können, mit wem sie regelmäßig Umgang haben wollen. Dass ihre Eltern mir die Beziehung kündigen, wenn ich den Schritt gehe, davor hatte ich wirklich Angst. Könnte ich noch stolz in den Spiegel schauen, wenn die Kids mich wegen meinem Egoismus verlieren, wegen reinen Äußerlichkeiten? Was wenn sie eine Bindungsangst entwickeln die sie den Rest ihres Lebens belastet, nur weil ich meinen Egotrip schiebe? Würden die Eltern mich ausgrenzen, weil sie ihre Kinder dieser psychischen Belastung nicht aussetzen wollen. Können sie damit umgehen das die Frau, die ihre Kinder im Arm wiegte, ihnen das Fläschchen gab, sie tröstete, ermutigte, ihnen ihre Werte vermittelte, das diese Frau jetzt ein Mann wird? Könnten sie es überhaupt verstehen, haben sie doch immer nur den Inbegriff von Weiblichkeit bei mir gesehen.

Sich zu outen ist immer mit der Angst vor Ablehnung und einer gewissen Scham behaftet. Hör zu, ich muss dir etwas sagen über mich. Ich bin irgendwie so, wie man eigentlich nicht sein sollte, bitte verstehe mich und lehne mich nicht ab. Hab mich lieb, auch wenn ich komplizierter bin als Andere, steh zu mir. Bitte sag mir, ich bin es dir wert. So geht es irgendwie mir und offenbar auch vielen anderen Betroffenen. Unangenehm oder, dieser Mangel an Selbstwert ist wirklich ätzend und leider ein starkes Begleitsymptom.

In FB-Gruppen lese ich immer wieder von Betroffenen, deren Familien/Freunde nicht damit umgehen wollen/können. Offenbar leben viele von ihnen in einem Umfeld, das viel Wert auf Normalität und Konventionen legt.

Für mich kann ich sagen, keine meiner Ängste hat sich bewahrheitet. Natürlich kann es niemand wirklich verstehen, wie denn auch? Aber jeder der für mich eine Bedeutung hat, wird versuchen damit umzugehen und mir weiterhin zur Seite stehen. Und diese Erfahrung ist unglaublich viel Wert. Zu merken, ich bin so wichtig für die Menschen, dass sie, ohne eine Sekunde zu zögern, sagen, ich steh hinter dir Rachel. Das ist bestärkend und gibt mir das Gefühl, doch mehr geliebt zu werden als ich zuvor gedacht hätte.

Witzigerweise hat die Person bei der ich am allermeisten mit Ablehnung rechnete, am besten reagiert. Ich kenne diesen Menschen seit 7 Jahren und wir hatten immer eine berufliche Beziehung miteinander, weil ich ihre beiden Kinder großgezogen habe. In meiner Wahrnehmung ist die Mutter sehr auf ihr Äußeres, ihren beruflichen Stand, ihren materiellen Besitz fixiert. Es ist ihr wichtig, immer gut auszusehen und das ihre Kinder, ihr Haus und ihr Auto dies ebenfalls tun. Ich war mir sicher, sie würde ablehnend reagieren, versuchen mir dass auszureden. Mir vorhalten, was ich von ihrer Tochter da verlange. Die Kleine hat nach 3 Monaten immer noch Mühe damit, dass ihre Rachel jetzt kurze Haare hat. Sie sagt immer wieder: »Ohne deine Stimme, würde ich dich gar nicht mehr erkennen Rachel, wie gut das du wenigstens noch wie meine Racheli klingst.« (Das Racheli ist kein Fehler, ist ihr Kosenamen für mich, den nur 2 Menschen so verwenden.) Stellt euch mal vor was passiert, wenn ich in den Stimmbruch bekomme und ihr auch noch das wegnehme.

Und wie reagierte diese Mutter? Sie erzählte mir von ihrem besten Freund, der früher mal eine beste Freundin war. Sie fragte: »Seit wann fühlst du denn so, das war sicher sehr belastend für dich. Jetzt versteh ich so viel mehr. Es tut mir leid, das du so fühlst und wir stehen natürlich immer hinter dir und gehen den Weg gemeinsam. Wir schaffen das!« Und nahm mich in den Arm. Ich war echt von den Socken. In all den Jahren hatten wir nie ein so herzliches Gespräch und als ich ging, war in ihren Augen diese berufliche Distanz von früher verschwunden. Natürlich weiß sie, wie schwierig das für ihre Kleine wird, aber sie ist voller Zuversicht, dass wir den Weg gemeinsam schaffen und sie steht hinter mir, 100%

Für mich kann ich nur sagen, diese Outingphase war voller toller Überraschungen und der Erkenntnis, ich bin von wirklich coolen Menschen umgeben und habe ein großartiges soziales Umfeld.

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(Bildquelle Pixabay CC0 Lizenz)

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Im Freundeskreis können Outings ganz gut ankommen.
In der Öffentlichkeit wäre ich vorsichtiger damit.

Es gibt im Leben Dinge, die bleiben lieber privat. Ich denke mal dadurch macht man sich auch als Mensch interessant.

Outings sollten vor allen da genutzt werden, wo die gesllschaftlichen Konflikte entstehen können, wenn Missverständnisse im Raum bleiben.

GLG

Ich finde es durchaus sehr wichtig, das es Menschen gibt die öffentlich geoutet leben. Nur so können andere ihren Weg finden. Wenn jeder unsichtbar Trans ist, wirds für alle in Zukunft genauso hart und schwer, wie für meine Generation. Heisst nicht das alle sich öffentlich outen müssen und ich würde auch nicht bei Netto an der Kasse sagen "ach übrigens ne, ich bin trans".

Hier zB. macht das für mich wiederum Sinn, weil ich auf vielen Meetups bin, im Discord aktiv mitrede und ich es eine gute Plattform finde, um meine Innenansicht auf das Thema und meine persönlichen Erfahrungen damit zu teilen. Aber da muss jeder wissen, was in seinem Leben auf dem Spiel steht und was er teilen kann.

Du hast in dem Punkt nicht ganz unrecht. Aus eigener Erfahrung muss ich sagen, dass meist Frauen bessere Chancen haben, wenn Sie sich outen. Wenn eine Frau meint, sie fühlt sich zu anderen Frauen hingezogen wird das oft als normal empfunden. Sexuelle Outings sind in unserer Gesellschaft die größten Tabus. Handycaps und andere Dinge werden von der Gesellschaft oft eher akzeptiert.

Es ist vor allem immer wieder erstaunlich, wie aufgeklärt sich unsere Öffentlichkeit gibt, aber gleichzeitig werden gezielt Skandale um moralische Verhaltensweisen, gerade sexueller Natur geschürt. Das zeigt auch wieder, dass wir gesellschaftlich kaum weiter sind, als die Griechen vor Tausenden von Jahren.

Ich glaub auch, dass es daran liegt, weil Menschen sich gern ganz bewusst abgrenzen. Je globaler die Welt wahrgenommen wird und je komplexer die Sichtweisen sind, desto mehr suchen viele wieder die Einfachheit.

Das drück sich nicht nur in politischen Extremen aus, sondern auch in der Kunst. Daher haben es ganz besonders jetzt Menschen schwerer denn je, Anerkennung von Außen zu bekommen, wenn sie nicht der vermeintlichen Norm genügen.

Dabei ist das ungewöhnliche genauso Teil unserer Gesellschaft wie das Allgemeine.

Hm also eben, ich hatte bisher genau keine Probleme mit dem Outing, dass ich transsexuell bin und eine Angleichung an das männliche Geschlecht anstrebe. Und wenn es kommen sollte, kann ich durchaus Position für mich ergreifen :)

Ich hab heute ein Thema von einem Gastautor drin, das sehr gut dazu passt. Wenn Du magst, schau gern mal rein.

https://steemit.com/people/@halloworld/deutsche-maenner-gucken-nur

SG

Freut mich total, dass dein Umfeld so toll reagiert hat. Besonders die Reaktion der Mutter hat bei mir einen Gänsehautmoment ausgelöst. Wirklich schön, dass du als Mensch geliebt wirst und nicht (nur) aufgrund deines Aussehens oder Geschlechtes. Verschnupfte Grüße ;-)

Ja mich auch, tut wirklich gut und ist für mich ein tolles Gefühl.
Hätt ich so nicht erwartet, wenn ich ehrlich bin.

nun ist auch immer ein schweres Thema.. ich denke aber in der heutigen Zeit sollte das jeder tolerieren . Für den Menschen der sich Outet, ist das aber denk immer noch schwerer als man am Ende glaubt..... Aber du hast ja was draus gelernt... das man immer wieder gerade von Menschen überrascht wird.

Ja wenn man nur so am Rande damit konfrontiert wird, toleriert das glaub ich fast jeder. Für sehr nahestehende Personen ist es schwieriger, damit umzugehen. Man verliert ja auch etwas, eine Tochter, eine Schwester, eine weibliche Bezugsperson. Der Gewinn stellt sich erst step by step ein.

Wieder ein sehr schöner und offener Artikel. Für mich persönlich wäre die Reaktion auch nur "okay, wenn du so fühlst, dann mach es". Echt schade, dass man sich bei manchen Leuten sorgen machen muss, ob man akzeptiert wird. Denke es hat mit eigener Unsicherheit zu tun. Aber klar, dass es Kindern noch schwieriger fällt es zu verstehen (ändert sich eventuell auch in naher Zukunft). Aber schöner Turn, dass die Person, die dir am meiste Sorgen bereitet hat sich als großer Unterstützer "geoutet" hat. Man weiß manche Dinge wohl erst, wenn man den Schritt getan hat :)

Ja klar, die Angst kommt grösstenteils aus der eigenen Angst heraus, so wie man ist falsch zu sein.
Aber ich erlebe eben auch bei anderen Betroffenen, das sie in ihrem Umfeld dafür massiv abgelehnt werden. Nicht alle Menschen sind so tolerant wie du oder ich und andere hier.

Ja das kann ich auch verstehen. Es war auch gar nicht so gemeint, dass ich nicht glaube, dass es extrem schwer sein kann in dieser Position zu sein. Auch wenn ichs schonmal paar mal gesagt habe, bewundere echt deinen Mut :D

oh wow! Ich finde Outings sollte dann passieren wenn man wie du beschreibst ein gefühl hat "sich erklären zu wollen"
Manchmal aufgrund eines Gesellschaftlichen druckes muss man es oder wird dazu angehalten. Um so schöner das du es für dich entschiedenhast.😄

Ich finde jede auch öffentliche Outings mutig. Es bedeutet für mich auch das dieser Mensch für sich einsteht, gesehen und gehört wird. Niemand sollte sich heute noch verstecken müssen.

Ich freue mich riesig mit dir, das die Familie die für dich am schwersten war, so wundervoll reagiert hat. 😄
Das ist sehr schön zu lesen. 😄

Ja in Fällen wie meinen muss man irgendwann, weil man es halt äusserlich sieht. Homosexualtität hätte ich jetzt z.B bei den Familien gar nie erwähnt, weil warum auch?

Stimmt, sich so gross zu outen hat viel damit zu tun, für sich einzustehen und aber auch, den jüngeren Betroffenen zu helfen. Für mich sind Menschen die den Weg öffentlich gehen unglaublich wichtig, ohne sie hätte ich den Mut dazu nicht gefunden.

Genau das sehe ich auch so. 😄
Ich finde es toll das man frei reden kann, sein kann.
😊

Schön geschrieben. Outing ist wirklich ein Thema für sich. Ich bin froh, dass du das getan hast und zu dir stehst ♥ und das du die Erfahrung gemacht hast, dass viele Ängste total unbegründet sind.

Meiner Erfahrung nach ist es das wichtigste, dass du zu dir stehst. Auch wenn es Gegenwind gibt, wenn du dir treu bleibst und weißt warum du es tust kann einem das nichts anhaben und ich bin auch voll bei dir (wie in vorigen Kommentaren) dass es wichtig ist sich auch öffentlich zu outen. Die Welt verändert sich und benötigt manchmal mutige, die sich zeigen und zu sich stehen. Es gibt eben einfach kein schwarz weiß und wird es nie geben. Dafür wird es irgendwo auf der Welt immer Menschen geben die gleichgesinnte sind und die sich auch meist erst dann trauen zu sich zu stehen, wenn es andere Vorbilder gab bzw. gibt.

Meinen Respekt hast du in jedem Fall und ich bin gespannt auf deine weitere Entwicklung und verfolge dich mit stolz.

Danke Liebes.
Genau deswegen geh ich den Weg öffentlich. Ohne Menschen die vor mir den Mut hatten das so zu machen, würde ich ihn nicht gehen. Und dieses Geschenk will ich weiter geben, aber auch für mehr Transparents in dem Thema sorgen und auch zeigen, man kann den Weg mit Stolz gehen, man muss sich nicht dafür schämen oder verstecken.

Liebe Rachel, vielen Dank wieder einmal für deinen offenen post, der immer wieder zeigt, niemand ist alleine. Auch wenn wir uns häufig so fühlen. Ein bisschen habe ich mich eben auch geoutet. Wenn auch nur auf steemit. Ich habe etwas geschrieben und veröffentlich, was mir peinlich ist. Ich möchte diese Person nicht sein, aber ich gestehe es mir ein, sie zu sein. Vielleicht hilft das drüber wegzukommen. Dabei lehne ich mich selber am meisten ab, die ablehnung des anderen war zwar der anlass, aber nicht der kern. ich rechne nicht mit einer reaktion, aber es tut gut es in den äther hinaus zu schicken und vielleicht irgendwann loslassen zu können.

Hey Liebes, ich hab deinen Commentar leider erst jetzt gesehen, ich werd natürlich sehr gerne deinen Artikel lesen.

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