Vergib mir, denn ich liebe dich!

in #deutsch7 years ago (edited)

Heute möchte ich euch eine Geschichte erzählen, die mich sehr viel gelehrt hat über Liebe und Vergebung.

Die Geschichte zog sich über 30 Jahre hin, ich hoffe also, ihr habt ein bisschen Zeit mitgebracht.

Familie entsteht nicht durch die Blutlinie, sondern durch Liebe.

Ich bin das, was man ein Unfall-Kind nennt.
Meine Eltern liebten sich nicht aber meine Mami wollte mich und entschied sich bewusst für mich und veränderte mit ihrer Schwangerschaft ihr ganzes Leben.

Mein leiblicher Vater ist ein Esel, nicht im wörtlichen Sinne natürlich aber im Übertragenen.

Als ich etwa 1 Jahr alt war, lernten meine Mami und ich meinen Stiefvater kennen. Klar, damals war er nicht mein Stiefvater, sondern der gutaussehende junge Mann hinter der Ladentheke, aber es funkte offenbar.

Der junge Mann verliebte sich nicht nur in die Frau, sondern auch in ihre kleine Tochter.
Als ich etwa vier Jahre alt war, zogen wir bei meinem Stiefvater ein und für mich begann eine unglaublich schöne Zeit.

Ich vergötterte ihn und er liebte mich. Wir waren beide sehr zufrieden miteinander und verbrachten eine wunderbare Zeit zusammen.
Ich kann mich sehr gut daran erinnern, wie wir im Wald so winzige Zwergenhäuschen bauten mit Möbeln drinn. Ich malte den Zwergen Bilder und versteckte sie in ihren Häuschen und wenn wir am nächsten Tag wieder vorbei schauten, waren da kleine Geschenke für mich drinn.
Wir grillten bei Regen, liessen Drachen steigen, gingen schwimmen. Wir waren eine heile kleine Familie, mein Stiefvater und ich.

Doch dann passierte etwas oder besser gesagt, es passierten mehrere Dinge zeitnah, die unsere Beziehung für immer veränderten.


  1. Mein kleiner Bruder wurde geboren, als ich 7 Jahre alt war. Ich wusste natürlich, das mein Bruder das leibliche Kind meines Stiefvaters war und hatte Angst um meinen Platz, das ist völlig normal.

  2. Ich kam in die Schule. Mein Stiefvater hatte sehr hohe Erwartungen an mich. Er wünschte sich eine gute Schülerin, auf die er stolz sein konnte und ich konnte dem nicht ansatzweise entsprechen, was immer wieder zu massiven Konflikten zwischen uns führte, die leider so auch nicht lösbar waren.

  3. Das war der Punkt, der uns den Rest gab, mein Erzeuger tauchte nach 6 Jahren aus dem Nichts wieder auf und streute sein Gift in meine offenen Wunden.



Ich weiß noch genau, wie das war.
Es war ein Sonntag, im Frühling und mein Bruder war gerade etwas mehr als ein halbes Jahr alt. Meiner Mutter ging es nicht sehr gut und mein Stiefvater musste neben seiner Assistenzarztstelle sehr viel zuhause übernehmen. Alles was damals zwischen uns noch war, waren Konflikte und meine Angst das er mich nicht mehr will, jetzt wo er das perfekte eigene Baby hatte.

Es klingelte, ich ging nach unten und machte die Tür auf. Da Stand dieser fremde Mann vor mir der breit lächelte. Ich hatte keinen Schimmer, wer er war und ohne Scheiß, er erklärte mir einfach so ins blaue hinaus, er sei mein Vater und jetzt wieder da.

Ich war 8 Jahre alt und noch ziemlich naiv, irgendwie logisch.
Er wollte mich kennen lernen und mir kam das gerade Recht. Wenn mein Stiefvater jetzt sein eigenes Baby hatte, konnte ich doch wohl meinen eigenen Vater haben.

Mein leiblicher Vater erzählte mir Märchengeschichten darüber, warum er so lange verschwunden war, und log mir das Blaue vom Himmel. Als er mir sagte, dass mein Stiefvater mich niemals lieben würde, weil er nicht mein Vater sei und nur er, als leiblicher Vater das könne, rannte er bei mir offene Türen ein.

Beim nächsten Streit knallte ich das meinem Stiefvater vor die Füße, dass er mich eh nie lieben würde (ich wusste damals nicht einmal wirklich, was Liebe war) und das ich ihn auch gar nicht bräuchte, ich hätte schon einen echten Vater. Er solle mich bloß in Ruhe lassen.

Das gab unserer Beziehung den Rest und die nächsten 10 Jahre war sie geprägt von Auseinandersetzungen, Streitereien und einfach blöden Situationen.

Meine Eltern trennten sich, als ich 14 war und der Kontakt zu meinem Stiefvater ebbte ab. Mein Erzeuger kam und ging wie beim ersten Mal. Wenn er eine Freundin hatte, die sein Kind kennen lernen wollte, kam er in mein Leben, trennte er sich von besagter Freundin, war ich wieder abgeschrieben. Er war für mich insgesamt eine einzige Enttäuschung.

Mit meinem Stiefvater hatte ich zwar ständig Streit, aber er war immer für mich da. Wenns drauf an kam, konnte ich auf ihn zählen, selbst dann noch, als er nicht mehr bei uns lebte.

Jahre später lag der Vater meines Stiefvaters im Sterben und wir kamen wieder vermehrt in Kontakt miteinander. Mein Stiefvater veränderte sich sehr durch diesen Tod und sprach mich auf viele schwierige Momente unserer gemeinsamen Zeit an. Auf all die verletzenden und abwertenden Dinge, die er zu mir sagte, als ich klein war.

Er entschuldigte sich bei mir dafür und wir redeten oft und vor allem sehr ehrlich miteinander.

Die traurige Wahrheit war, wir beide wollten nur, dass der andere uns liebt.

Mein leiblicher Vater ging mir schon immer am Arsch vorbei, ich konnte den Typen nie leiden. Ich wollte nur, dass mein Stiefvater mich anerkennt als sein Kind, mich respektiert und annimmt, wie ich bin und immer zu mir steht.




Er, wünschte sich unter seiner narzisstischen Schale genau dasselbe von mir. Als mein Vater auftauchte, bekam er Angst mich an diesen Vollpfosten zu verlieren und als ich ihm sagte, dass er eh nicht mein Vater sei, brach ihm das offenbar sein Herz.

Man kann natürlich sagen, wie kindisch, sich von einer 8 Jährigen wegen sowas das Herz brechen zu lassen, dass hätte er besser wissen müssen. Mag sein. Aber für narzisstische Menschen ist das nicht so einfach.
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Warum erzähl ich euch das?

Ich war sicher 10 Jahre voller Wut, weil ich mich entwürdigt und verraten fühlte von meinem Stiefvater. Danach verbrachte ich nochmal einige Jahre damit, ihn zu verachten.
Gemeinsam mit meiner seelisch tief verletzten Mutter zelebrierten wir den gemeinsamen Feind.

Ich fing in meiner Therapie an, ihm zu vergeben. Meine Therapeutin half mir, mehr den Fokus auf die positiven Seiten des Lebens zu richten und ich erkannte immer mehr, wie oft er für mich da war und wie sehr ich ihn gebraucht habe.

Als er um Verzeihung bat, hatte ich ihm schon längst vergeben.
Aber erst da erkannte ich seinen Schmerz und seine Sehnsucht nach meiner Liebe.

Mir wurde bewusst, wie oft wir andere wegstoßen aus Angst, verletzt oder verlassen zu werden und wie oft wir mit Menschen im Streit liegen, von denen wir uns eigentlich Liebe und Geborgenheit erhoffen.

Damals war ich ein Kind und wusste gar nicht, was Phase ist, aber heute bin ich erwachsen und möchte nie wieder so etwas in meinem Leben haben.

Ich kläre Differenzen so schnell wie möglich und versuche so deutlich wie ich kann, auszudrücken was ich mir vom anderen wünsche.

Hätte mein Stiefvater mich damals einfach in den Arm genommen und mir gesagt, das er mich liebt und ich für ihn wie eine Tochter bin, wäre uns beiden sehr viel Schmerz erspart geblieben.

Denn heute weiß ich das er mich liebt, dass er der Großvater meiner Kinder sein wird und er weiß, dass ich ihn immer gewollt habe und das ich mir aufrichtig wünsche, das er Teil meines Lebens ist.
Für mich ist er mein Vater, Blut hin oder her.

Ein Vater sitzt neben seinem Kind am Bett, wenn es mal wieder einen Alptraum hat. Er fährt zu dem Arschloch, das seine Tochter mobbt und klärt das für sein Kind. Er geht an alle Elternabende, guckt sich 5 mal dasselbe Theaterstück an, fährt Schlitten bis man die Hand nicht mehr vor den Augen sieht und liest zum 12 mal die Brüder Löwenherz.

Ich bin sehr Dankbar, hatte er den Mut mit mir darüber zu reden und die Stärke, zu seinen Fehlern zu stehen.
Niemand weiss, wie lange wir noch haben und ob wir Zeit haben werden, uns mit denen zu versöhnen die wir verletzt haben.

Ich werde jetzt meinen Eltern sagen das ich sie liebe, was tust du???

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Eine sehr bewegende Geschichte liebe rachel. Es freut mich sehr das ihr nach all den Jahren doch wieder zueinander gefunden habt. Der Verlust anderer wichtiger Personen durch den Tod löst doch eigentlich immer wieder eine Besinnung auf das Leben aus auf die Menschen die einem wichtig sind und die man liebt. Und Liebe kann letztlich alles überwinden.

Danke für die lieben Worte.
Genau so ist es. Leider erinnert uns oft der Tod geliebter Menschen nicht lange genug daran, was wirklich zählt im Leben. Wie oft liegen Menschen im Streit wegen Nichtigkeiten und ihrem Stolz?

oh liebe Rachel...das hast du wunderschön geschrieben...mir stehen jetzt noch die Tränen in den Augen...Du hast wahre Worte gesprochen...danke für die schöne Geschichte...dafür gibt's ein 100 % upvote und an meinen Wand kommst du auch noch ;)
Wünsche dir einen tollen Freitag :)

Wow danke dir, das rührt mich sehr <3
Ich hoffe ich kann damit Menschen ermutigen, über ihre Beziehungen nachzudenken und vielleicht mal etwas zu klären was ihnen auf dem Herzen liegt, es lohnt sich.

wieder Mal ein suuper Artikel Rachel! Es freut mich sehr, das ihr euch beide wieder gefunden habt! Ich habe mit meinem Stiefvater wohl eine ganz ähnliche Situation und noch so einige Rechnungen offen. Ich hoffe uns gelingt es irgendwann auch, reinen Tisch zu machen :)

Danke Liebes. Ich wünsche es euch auch, das ihr schafft aufzuräumen.
Ich hätte früher nie gedacht das ich ihm jemals wirklich vergeben kann, ich war so tief verletzt von ihm.
Heute kann ich ihn mit all seinen Fehlern annehmen und wenn er sich wieder mal narzisstisch verhält, weiss ich, dass er einfach nicht aus seiner Haut kann und trag ihm das nicht nach. Ich lass mir allerdings auch nichts mehr bieten und sage deutlich, was ich erwarte und wo meine Grenzen sind.
So funktioniert das mit gegenseitigem Respekt sehr gut.
Und ich muss ja nie wieder mit ihm unter einem Dach leben, Gott sei Dank :D

Sehr schön geschrieben, deine Texte berühren mich sehr. Schön wie offen und ehrlich Du darüber schreibst. Schade das es so viele Jahre gedauert hat bis ihr Euch wieder angenähert habt. Aber schön das ihr ein weg gefunden habt.

Ja das ist wirklich schade aber nicht mehr änderbar :)
Ich habe nicht mal gewusst das diese Szene ihn verletzt hat, woher auch, er hat es mir nie gesagt.

Great. Thanks for sharing. I'm starting to follow you.

Schöner Text liebe Rachel.
Schön das Du dich mit deinem Stiefvater ausgesprochen hast nach der Zeit und ihr so sehen konntet was die Gründe vor das jeweilige Verhalten waren.

Danke.
Ich glaub das ist das wichtigste bei solchen Konflikten.
Wenn man merkt das der andere genauso verletzt war wie man selber, kann man sehr leicht vergesse was war und sich gegenseitig eine neue Chance geben.

Cant understand the language but the picture is really beautiful . I guess its all about family .

It's about her relationship to her stepfather and her biological father, who never has been a father to her.

Oh sad story ! Thank you so much for the clarity !!

You are welcome!

Yeah andalucia is right, but now i have a good relationship with my stepfather :)

Ich freue mich für dich, dass du euch Aussprechen konntet. Und ich hoffe, trotz all dem, was du über deinen biologischen Vater sagst, dass auch ihr eines Tages zueinander finden werdet. Klar muss er sich dazu verändern...

Ich glaube nicht, das ich jemals zu meinem Erzeuger finde und ehrlich gesagt, möchte ich das nicht.
Ich habe ihm so unendlich viele Chancen gegeben offen und ehrlich zu mir zu sein aber er kann nicht. Wenn er den Mund auf macht kommen nur Ausreden, Schuldzuweisungen an die Menschen die ich liebe und Lügen heraus.

Ich kann seinen Charakter nicht ausstehen, wir haben nichts gemeinsam ausser das was er mir angetan hat.
Ich kann ihm keinen Meter vertrauen und er hat zugelassen das ich überhaupt erst in die Missbrauchssituation hinein kam. Ich will nicht einmal, das er jemals meinen eigenen Kindern zu nahe kommen wird.
Er hat mich einfach zu oft verraten mir zu oft versprochen, er würde sich verändern blablabla.

Ich hab ihm zuletzt gesagt, wenn er es schafft mit mir ehrlich über all die Themen zu reden und mir erklären kann warum er sich so verhalten hat, dann kann ich darüber nachdenken, es jemals wieder mit ihm zu versuchen.
Das war vor 5 Jahren und seither hab ich nicht von ihm gehört, weil er das nämlich nicht kann.
Es gibt Menschen, die braucht man einfach nicht.
Ich hab eine tolle kleine Familie und einen Vater der immer für mich da ist, wenn ich ihn brauche und auf dessen Wort und Liebe ich mich jederzeit verlassen kann. Mehr brauch ich nicht :)

Das kann ich total verstehen, wenn er mehrere Chancen hatte und alle nicht genutzt hat, dann hat er es, so hart es auch klingen mag, nicht verdient... Aber er ist dabei derjenige, der (eine wundervolle Tochter) verliert !!

Danke, seh ich auch so.
Ich habe mir ein sehr erfülltes und glückliches Leben erarbeitet mit Menschen die mich wirklich wertschätzen und aufrichtig lieben wie ich bin.

Manchmal muss man einfach annehmen das jemand das nicht kann. Ich weiss warum er es nicht kann und es tut mir leid, das er so eine schwierige Kindheit hatte, die ihn bis heute nicht loslässt.
Aber da muss er alleine raus finden.
Sollte er irgendwann ankommen und sich wirklich entwickelt haben, lässt sich über alles reden. Aber vorher sicher nicht.
Dafür liebe ich mich selbst zu sehr :)

Toll, toll, toll! Danke das du das mit uns teilst! Du kannst unglaublich gut schreiben! Resteemed! :-)

Ui danke, freut mich das dir meine Worte so sehr gefallen <3 Ich hoffe immer, das jemand etwas daraus mitnehmen kann für sich und sein Leben.

Werd direkt mal deinen Kanal auschecken.

Erneut eine sehr offene und bewegende Geschichte von dir. Ich freue mich, dass sich für dich noch alles soweit zum Guten gewendet hat und du jetzt wieder einen Vater hast, egal ob er nun leiblich ist, oder nicht.

Danke :)
Genau, Blutlinie oder nicht spielt keine Rolle, ein Vater wird man durch die Beziehung :)
Danke für deine lieben Worte.

Danke, Rachel...

Fühl dich umarmt und alles Gute dir und deiner Familie.

Danke dir, Rachel!

Sehr offen, sehr mutig, sehr gefühlvoll - dein guter Weg, eine schwierige, traumatische Situation gelöst zu haben. Und das zu einem frühen Zeitpunkt im Leben, wo alle Beteiligten Einsicht haben und Veränderung bewirken können. Manchmal aber ist dieser Weg unmöglich, da bleibt nur, sich in Dankbarkeit zu verneigen und sie in Frieden ziehen zu lassen. Danke, daß du dieses Thema aufgegriffen hast.

Danke.
Ich habe auch Sachen im Leben die nicht geregelt werde konnten und können.
Manche dinge muss man, wie du selber sagst, einfach loslassen.
Schön das du dir Zeit genommen hast um zu lesen und zu kommentieren.

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