Wie meistert man schwierige Gespräche ohne Scherben zu hinterlassen?

in #deutsch7 years ago

Neulich hatte ich ein sehr seeeehr SEHR schwieriges Gespräch vor mir.


Also so eins der ganz harten Sorte. Ich musste etwas Schmerzhaftes klären, mit einem Menschen der mir nahe steht und aus bisheriger Erfahrung wusste ich, bei so was verkacke ich meistens auf voller Linie.

Immer wieder habe ich es geschafft, Menschen total vor den Kopf zu stoßen und habe meist zielsicher die schlechteste Möglichkeit gewählt, in Beziehungen aufzuräumen. Hinterher tat es mir immer total leid, dass ich mein Gegenüber verletzt hatte. Meist konnte ich ewig lange nicht verbalisieren, was in mir vorging und bin dann auf einmal total explodiert und musste extrem auf Distanz gehen von jetzt auf gleich, um mich irgendwie selber zu schützen.

Diesmal wollte ich es besser machen und habe zu diesem Zwecke vorher mit Menschen gesprochen, die mir sozial gesehen kompetenter erscheinen als ich es bin.

Ganz zum Schluss, am Tag vor dem Gespräch, besuchte ich eine liebe Freundin. Wir kennen uns schon seit 9 Jahren und sie weiß viel über mich. Dazu kommt, dass sie von Berufswegen Therapeutin ist und mir mit Freuden direkt die Realität um die Ohren haut.

Ich hab ihr die Situation um dieses Gespräch herum lange geschildert und wir haben versucht herauszukristallisieren, wie die ganze Sache zusammenhängt. Was meine Anteile sind und wo die Anteile meines Gegenübers liegen.

Wie so oft im Leben zeigte sich zu der Situation aktuell eine Parallele aus meiner Kindheit. Ein sich wiederholendes Muster, welches ich unter keinen Umständen so weiter führen wollte. Immerhin bin ich heute erwachsen und kein Kind mehr.

Inzwischen glaube ich, wenn wir im Hier und Jetzt größere Probleme der zwischenmenschlichen Art haben, finden wir den Ursprungsschmerz dazu praktisch immer in der Beziehung zu unseren Eltern. Wenn uns Dinge emotional schmerzlich treffen, dann ist die Ursache meiner Meinung nach in uns selbst und nur bedingt im Verhalten des Anderen.

Ein Beispiel gefällig?

Mich machen Menschen, die nicht in die Pötte kommen wahnsinnig. Das treibt mich echt zur Weißglut. Wenn Leute immer jammern aber nix ändern, boa da könnt ich ausflippen. Warum? Weil ich selber diesen Anteil in mir trage und das kann ich absolut nicht leiden. Je länger ich an mir arbeite, umso geringer wird der Teil in mir, aber er ist da, immer schon gewesen. Warum lehne ich das so ab, an mir und an Anderen? Weil mein Erzeuger genau so ist. Er hat viel geschwätzt, aber es war immer nur hohles Gelabere. Als Kind verstand ich das natürlich nicht und jedes gebrochene Versprechen brach mir das Herz. Sein Verhalten und seine Worte gaben mir das Gefühl nicht mehr wert zu sein als der Dreck unter seinen Schuhen.

Heute weiß ich das und wenn ich dieses Verhalten im Außen oder bei mir finde, reflektiere ich und versuche, mir dessen voll bewusst zu werden. Dadurch gelingt es mir, mein Gegenüber wertfrei zu sehen und losgelöst von meinem Schmerz aus der Kindheit. Dennoch ist der Impuls oft da und manchmal erkenne ich ihn erst hinterher. Schon oft war ich sehr hart gegenüber anderen Menschen, wobei die Härte eigentlich mir selber gegolten hat.

Genau so bin ich an das bevorstehende Gespräch herangegangen und habe die Lage evaluiert. Es war sehr schmerzhaft, aber vieles konnte sich lösen. Ich finde, dass Gespräch ist wirklich gut gelaufen für meine bisherigen Fähigkeiten diesbezüglich.

Mit meiner Freundin sprach ich dann noch lange darüber, wie Eltern uns prägen und wie wir loslassen können.

Ein wichtiger Punkt betraf das 5. Gebot in der Bibel.

Du sollst Vater und Mutter ehren.

Mein erster im Puls war in etwa folgender:
»Leck mich am Arsch. Einen Scheiß ehre ich meinen Vater, geh mir bloß weg damit! Dieser Spasti hat weder meinen Respekt noch sonst was verdient, im Gegenteil. So ein Vollidiot.«

Dann dachte ich, mei, das ist jetzt aber doch etwas kindisch Rachel. Was bedeutet dass denn überhaupt, du sollst Vater und Mutter ehren. Muss man alles an jemandem gut finden um ihn dafür zu respektieren das er dich gezeugt hat. Immerhin verdanke ich meinem Vater mein Leben. Egal was sonst war, ist oder jemals sein wird. Er hat mich gezeugt und mir die Basis für all das hier geschenkt.

Ich denke, solange wir unsere Eltern ablehnen, lehnen wir uns selber ab. Wir und unsere Eltern sind unweigerlich miteinander verwoben, ob wir das wollen oder nicht. Und ich will mit meinem Erzeuger keinesfalls verwoben sein. Nur, was macht es mit mir wenn ich ihn so sehr ablehne und verachte, für das, was er nun mal ist?
Wie kann ich mich selber jemals 100% annehmen, lieben und ehren, wenn ich meinen Ursprung so verabscheue, geht nicht oder?

Natürlich bin ich von meinem Verstand her schon der Meinung, ich hab dem Mann vergeben. Ich weiß ja die Hintergründe für sein Verhalten und ich bin vom Kopf her weder böse noch nachtragend. Ich möchte ihn einfach nur nicht in meinem Leben weil er mir niemals gut tun wird. Aber wenn ich in mich rein horche, wenn ich mich als Teenager fühle oder als kleineres Kind, dann ist da so viel Schmerz, Frust, Angst, Wut und Trauer. Dann möchte ich ihn anschreien, treten, schlagen, beißen, ihm sagen wie scheiße ich ihn finde und wie sehr er mich anwidert und das ich ihn niemals lieben werde, NIEMALS!

Und BÄM verliert der ach so vernünftige Verstand gnadenlos gegen das kindliche Herz in meiner Brust. Gegen das 5 Jährige Kind in mir, dessen Selbstbewusstsein in Trümmern liegt und gegen den Teenager der rasend ist vor Wut aber kein Gegenüber hat um das Gefühl zu zeigen. Wenn das Herz spricht, hat die Vernunft einfach nicht mehr viel zu melden.

Und genau jetzt schaue ich den Menschen an, mit dem ich reden muss und merke, wie all das, was ich für meinen Vater fühle, sich auf die Person übertragen hat und das die Intensität meiner Gefühle nicht das Hier und Heute betreffen, sondern mein Gestern.

Und so kann ich dann ganz anders in dieses Gespräch hinein gehen. Ich muss trotzdem nicht gut finden, was der Mensch tut, aber ich erkenne mich selbst und kann meine Emotionen unterscheiden und verhalte mich damit fair und verantwortungsbewusst. Ich greife niemanden an für etwas, was nur mit mir zu tun hat denn diese starken kindlichen Gefühle, können sehr vernichtend sein und wie ein Tornado alles um mich herum mitreißen.

Wie geht es euch damit? Kennt ihr solche Situationen, in denen ihr Menschen unangemessen stark verurteilt, weil euch Emotionen aus eurer Kindheit einholen und wie geht ihr dann damit um?

Und wie bereitet ihr euch vor, wenn ihr merkt, ihr steht vor einer sehr heiklen, großen Herausforderung?

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(Bildquelle Pixabay CC0 Lizenz)

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Hallo Rachel, ich kann sehr gut nachvollziehen, was du meinst. Ich finde mich im Hier und Jetzt auch oft mit uralten Kindheitsgefühlen konfrontiert. Wenn ich ein schweres Gespräch habe, plane ich stets im Voraus wie ich was sagen möchte, aber wenn es dann ein Gegenüber gibt, entwickelt sich doch immer eine eigene Dynamik, die schwer steuerbar ist. Ich führe sehr schwere Gespräche deshalb gerne schriftlich. Dann kann ich mir vorher ganz genau überlegen, was ich ich wie sagen will und bekomme garantiert auch alles unter, was mir wichtig ist. Wenn das Gegenüber dann ebenfalls schriftlich antwortet, hat es dieselbe Möglichkeit. Auf diese Weise verhindert man auch, dass es allzu hitzig / dramatisch wird - für mich, mit Neigung zu impulsivem bis cholerischem Verhalten in Extremsituationen unglaublich erleichternd!

Ich hoffe sehr, dass dein schwieriges Gespräch gut gelaufen ist!!!

Hmmm ja, schriftlich hat Vor und Nachteile, man sieht die Emotionen des Gegenübers dafür weniger und versteht schneller etwas falsch. Dafür kann man besser überlegen, was man wie sagt.

In engen Beziehungen kann ich es mir allerdings nicht vorstellen, solche Gespräche schriftlich zu führen.
Ja das Gespräch ging gut auch wenn der Inhalt trauriger Natur war un daher traurig endete. Ich denke, wir haben es gut hinbekommen, gemeinsam.

Ja, das stimmt. Schriftlich bekommt mal wirklich häufiger mal etwas in den falschen Hals, weil die Betonung oder auch die Mimik fehlt. So ganz elementare Gespräche würde ich auch nicht schriftlich führen wollen - es kommt halt wirklich auf die Umstände an. Schön, dass dein Gespräch, trotz Traurigkeit, gut lief - gemeinsam!

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Hey, danke für deinen Text. Ich kann mich zum Großteil damit identifizieren. Ich habe meinem Erzeuger bis dato nicht vergeben, nicht vergeben können.. und das nagt an mir immer wieder.

Das Problem ist, dass ich ihn komplett ausgeblendet hab, er existiert nicht mehr für mich. Dadurch vermeide ich die psychische Auseinandersetzung mit diesem Problem, weil ich mir unbewusst denke: "Hey, er ist nicht mehr Teil deines Lebens, warum sollte ich mich damit beschäftigen?" - Und dadurch kommt es immer wieder zur unterbewussten Manipulation an meinen Entscheidungen.

Viele situativ falsche Entscheidungen kann ich oftmals auf jene Beeinflussung zurückführen, sofern ich mir die Mühe mache, mich aktiv damit auseinanderzusetzen.

Sich im Moment eines Gespräch darauf zu besinnen, woher und warum bestimmte Reaktion hervorsprießen, ist eine Aufgabe, die ich noch nicht gemeistert habe. Aber ich arbeite dran.

Gruß, O.

Ich fühl da voll mit dir und mir gehts immer wieder genauso.
Wann ich an den Punkt komme, wirklich aus tiefstem Herzen voll zu verzeihen, ich weiss es nicht. Für mich selber hoffe ich, dass ich es irgendwann schaffen werde.

Danke für deine Offenheit.

Ein sehr wertvoller Beitrag! Für uns Leser, aber auch für dich. Durch Schreiben bekommt man für sich selbst Klarheit.

Danke mein Lieber.
Ich find es so wichtig das wir viel über unsere Gefühle und das daraus resultierende Verhalten nachdenken. So verringern wir den Schmerz für uns und unsere Lieben und können stärker und klarer in die Zukunft gehen.

Wao so nice post keep it up bro

thanks ^^