Verzicht

in #deutsch7 years ago

An diesen Mittwoch saß ich bei der Arbeit und überlegte mir ob es diese Woche es geben würde, über das ich schreiben könnte. Ehrlich gesagt war ich nicht sehr optimistisch. Auch wenn es immer keine Dinge gibt, die neu oder besonders sind, ist doch die allgemeine Tendenz der Alltag. Doch wie man unschwer erkennen kann gibt es doch etwas, das mich diese Woche beschäftigt hat.

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Kurz nachdem ich an meinen Blog gedacht hatte, kam das heutige Thema unerwartet auf mich zu. Bei einem Gespräch mit Evan, dem Physiotherapeuten, kamen wir auf das Thema Ramadan und darauf, dass dieser morgen beginnen würde. Man könnte jetzt sagen: „Ja gut, aber was interessiert mich das?“ Doch mich interessierte das schon. Wie schon in vorherigen Beiträgen erwähnt ist der Großteil der Bevölkerung in Malaysia Muslime. So wollte ich mich auf jeden Fall mehr über diesen Fastenmonat informieren. Im Juni werde ich zu einer Gastfamilie fahren, um dort das Ende von Ramadan zu feiern, aber dann ist es ja schon fast zu spät, um sich darüber Gedanken zu machen. Also entschloss ich mich am Mittwoch für die nächsten Tage selbst den Ramadan in leicht abgeänderter Form auszuprobieren.

Bevor ich ich jetzt allerdings über meine Erfahrung berichte, möchte ich einen kurzen Crashkurs in Sachen Ramadan geben. Ich habe mich in das Thema zwar etwas eingelesen, möchte aber keine Garantie auf Richtigkeit geben. Ramadan (was übersetzt „der heiße Monat“ heißt) ist der neunte Monat des islamischen Mondkalenders und verschiebt sich auf Grund einer anderen Zeitrechnung immer um elf bis zwölf Tage gegenüber dem westlich etablierten gregorianischen Kalender. Man glaubt dass in diesem Monat der Koran herabgesandt wurde, doch warum genau der neunte Monat als Fastenmonat auserkoren wurde, konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Das Fasten ist eine der fünf Säulen des Islams, die jeder Muslime befolgen sollte. Die Fastendauer ist je nach Aufenthaltsort unterschiedlich, reicht aber allgemein gesagt von der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang.

Mittwochabend. Der letzte „normale“ Tag bevor ich fasten würde ging zu Ende. Mit dem Wissen, dass ich um 5 Uhr aufstehen musste, um noch etwas frühstücken zu können ging ich etwas früher als sonst schlafen. Doch scheinbar hatte mein Körper nicht vor um diese Zeit aufzustehen und Essen zu sich zu nehmen. So verschlief ich das Morgengebet, das den Start in den Tag markiert. Um knapp 7 Uhr wach bemerkte ich, dass ich nun noch gut zwölf Stunden ohne Essen und Trinken auskommen musste. Genau in diesem Moment, als ich an das Trinken dachte, merkte ich wie gerne ich jetzt ein Glas Wasser getrunken hätte, doch das hätte bedeutet den Ramadan nach nicht mal zwei Stunden abzubrechen. Das kam für mich nicht in in Frage und ich dachte mir nur, dass die nächsten Tage ja heiter werden können. Also fängt man an zu arbeiten. Die Wasserflasche, die einen normalerweise immer begleitet hatte den Platz in meinem Zimmer nicht verlassen und hatte für die nächsten Tage frei. Bei Sonnenschein eine Stunde lang Bewohner motivieren sich körperlich zu betätigen stand wie jeden Tag an. Normalerweise trinke ich alleine in dieser Stunde circa einen halben Liter. An diesem Tag waren es genau null Liter. Während alle nach einer ausdauernden Stunde geschafft zurück ins Home gehen und dort erstmal etwas kühles trinken und sich für zehn Minuten entspannen, stand ich da und schaute zu. Während man so in seiner Arbeit vertieft ist merkt man eigentlich nicht sehr viel, davon dass man das letzte Mal gestern Abend etwas gegessen und getrunken hat. Sichtbar wird das erst wieder beim Mittagessen. Nachdem ich das Essen an die Bewohner ausgegeben hatte, wäre jetzt die Zeit in der ich etwas zu mir nehme. Heute aber nicht. Man fühlt sich etwas deplatziert, wenn alle um einen herum essen und man selbst nur sagen kann, dass man auch mal fasten möchte. Also hatte ich auf einmal etwas, das für mich irgendwie komisch war. Ich hatte Zeit, viel Zeit. Während eines normalen Arbeitstags habe ich eine gute halbe Stunde frei, um mich danach wieder an die Arbeit zu machen. Auf einmal hatte ich doppelt so viel Zeit. Tja ich war etwas überfordert mit so viel Freiraum und nutzte die Zeit auf sozialen Netzwerken. Mit dem Blick auf die Uhr kam für mich auch immer die Information, wie lange ich noch fasten musste. Meine Arbeitszeit ging vorbei und es war fast schon wieder Zeit für das Abendessen. Schon bevor die Essensglocke zweimal ertönt versammeln sich jeden Tag alle Bewohner um 18 Uhr im Gemeinschaftsraum um wieder etwas essen zu können und eigentlich esse ich dann gemeinsam mit ihnen, wenn ich da bin. Dieses Mal nahm ich allerdings nur mein Essen, stellte es zurück und verteilte dann wieder an meine Bewohner das Essen. Noch über eine Stunde musste ich warten, bevor ich etwas essen konnte und so war ich wieder aus meinem normalen Tagesablauf herausgeworfen und überlegte mir was sich in dieser Zeit noch anstellen lassen würde. Das Ergebnis war nicht wirklich produktiv, aber irgendwie vergeht die Zeit ja immer. Dann war es so weit: Mein erstes Iftar (Fastenbrechen) war nun gekommen. Normalerweise begeht man das Fastenbrechen traditionell damit, dass man zuerst eine Dattel isst. Da ich aber keine Dattel hatte begann ich meine erste Mahlzeit des Tages mit Wasser. Kühles Wasser kann auch ein Genuss sein, wenn man seit über 20 Stunden nichts mehr getrunken hatte. Obwohl das Essen an diesem Tag nicht außergewöhnlich war freute ich mich umso mehr endlich etwas essen zu dürfen. Für gewöhnlich trifft man sich bei einem Iftar mit der Familie und begeht gemeinsam das Fastenbrechen. Da ich aber der einzige war, der überhaupt gefastet hatte wurde daraus bei mir nichts. Trotzdem hatte ich die übliche Gesellschaft meiner Bewohner, die mich teilweise beobachteten, als würde ich das erste Mal hier essen. Jeder der behauptet, dass Essen nicht glücklich machen kann sollte diesen Moment erleben. Ein unglaubliches Glücksgefühl paarte sich mit Gefühl dankbar für dieses Essen zu sein. Darum soll es auch im Ramadan gehen. Der Verzicht auf Essen und Trinken soll einem bewusst machen, dass all dies ein Geschenk ist und wir es schätzen sollten anstatt es für selbstverständlich zu halten. Neben Essen und Trinken gibt es aber noch mehr auf das gefastet wird. Darunter beispielsweise auch Schimpfwörter. Eine sehr gute Sache oder?

Wie schon erwähnt beginnt die Zeit des täglichen Fastens um die Morgendämmerung. Für Penang bedeutet das 5:42 Uhr. Wenn man vorher noch etwas essen will muss man also zeitig aufstehen. Ich glaube ich war ganz froh, dass ich vollkommen alleine um diese Uhrzeit im Home frühstückte. In kompletter Stille konnte man so den Tag beginnen und obwohl ich überraschend wach war hielt mich nichts mehr, dass ich bis um 9 Uhr noch wachbleiben musste. Deswegen gönnte ich mir noch ein paar Stunden Schlaf bevor ich wieder arbeiten musste. Auch wenn ich jetzt gerne etwas über ein auftretendes Hungergefühl schreiben würde, bei mir traf das nie ein. Scheinbar hatte mein Körper von Beginn an akzeptiert, dass ich ihn testen wollte und wieder einmal aus meiner Komfortzone ausbrechen wollte. So hatte ich bis zum Abend nicht das Verlangen endlich wieder etwas essen zu können. Als es dann aber soweit war hatte ich mit einer Suppe, einem großen Teller Reis und Kuchen ein Drei-Gänge-Menü. Wie am Abend zuvor schon war ich nach meinem Iftar vollkommen satt. Meine Selbsteinschätzung, was ich essen kann war scheinbar sehr optimistisch, denn ich war wortwörtlich randvoll und erstmal außer Gefecht gesetzt. Darum hieß es erstmal entspannen und einfach mal nichts tun. Eigentlich war mein Plan gewesen, auf einen Markt zu gehen und dort zu sehen, wie die Malaien das Iftar dort begehen, aber so satt wie ich war konnte ich mich dazu nicht aufraffen, Außerdem war ja jeden Abend die Möglichkeit da, sich mit Essen nochmals voll zu schlagen.

Während meinen vier Tagen des Fastens habe ich mir auch einige Gedanken darüber gemacht. Sicher werden sich einige wieder fragen warum ich das gemacht habe. Ich möchte dazu ein paar Gedanken äußern. Für mich war es auf jeden Fall klar, dass ich in einem muslimisch geprägten Land auch mit der Kultur auseinander setzen werde. Wäre dem nicht so wäre ich wohl bei AFS an der falschen Stelle gelandet. Ein Teil dieser Tradition ist eben der Ramadan und auch wenn in meinem Projekt nur zwei von fünfzig Bewohnern Muslime sind, sollte mich das nicht davon abhalten. Nächsten Monat erlebe ich zum Abschluss des Ramadans das Leben in einer muslimischen Gastfamilie, aber ich wollte schon vorher wissen wie es denn ist sich auf diese Weise des Verzichts einzustellen. Außerdem wollte ich, wie oben schon beschrieben, wieder aus meiner Komfortzone und schauen in wie weit sich die christliche Fastenzeit mit dem Ramadan gleicht. Doch dann fiel mir ein, dass ich ja auf viel mehr verzichte.

Ich habe mich dazu bereit erklärt für elf Monate in ein mir fremdes Land zu gehen und auf meine Familie und Freunde zu verzichten. Ich verzichte auf westliches Essen und esse mich durch die asiatische Küche. Weihnachten zusammen mit der Familie oder ein geselliger Abend mit Freunden, die man schon ewig kennt. Für ein Jahr nicht greifbar. Das sind nur ein paar Beispiele, aber lohnt sich das alles? Lohnt sich es auf etwas zu verzichten? Ich kann diese Frage ganz klar nur mit „Ja!“ beantworten. Wie oben beschrieben: Wenn man auf etwas verzichtet, dass man als so selbstverständlich wie Wasser ansieht schätzt man es umso mehr, sobald es wieder da ist. Außerdem muss man sich immer vor Augen führen, dass die meisten von uns in einer so glücklichen Lage sind, dass sie sich keine Sorgen um Essen oder Trinken machen müssen. Andere Menschen auf der Welt freuen sich darüber mehr, als wenn man ihnen etwas teureres schenken würde. Es ist nicht leicht sich immer bewusst zu sein, was uns alles gegeben ist und deswegen bin ich froh vier Tage am Ramadan teilgenommen zu haben und im Juni wieder damit anzufangen. Ab morgen nehme ich mir dann allerdings das Recht des Reisenden heraus und unterbreche meine Fastenzeit hier.
20. Mai 2018

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