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RE: Innere Stimme oder Depression

in #deutsch5 years ago (edited)

Und ich frage mich immer, warum der Mensch so sehr nach all dem überflüssigen Komfort und nahezu absoluter Sicherheit strebt.

Und du glaubst im Ernst, ein asketisches Leben bewahrte dich vorm deutschen Zettelkrieg? Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, las ich von "Hartz IV-Bewerbern", denen die Antragsformulare zu komplex waren, um sie korrekt auszufüllen zu können ...

Er ist sogar bereit, jederzeit nicht nur seine eigene Freiheit für das Versprechen von Sicherheit aufzugeben.

Auch wenn es bitter schmecken mag: Ohne Geld nix Freiheit.

Du solltest bei all deiner edlen Theorie die Praxis nicht aus den Augen verlieren. Ich weiß z. B., was es heißt, gegen deutsche Behörden kämpfen zu müssen, die meiner ausländische Freundin kein Besuchsvisum gewähren wollten (was wiederum die Voraussetzung dafür war, die Sprache lernen und irgendwann hier leben zu können). Hätte ich nicht das Geld gehabt, ihr mehrmalige (fast zwanzigstündige) Fahrten zur deutschen Botschaft in Jakarta plus Hotelübernachtungen zu bezahlen, die Flugtickets und die für die nötigen Übersetzungen unzähliger Dokumente anfallenden Kosten zu übernehmen, monatelang mit der deutschen Botschaft zu kämpfen, wir wären wohl gescheitert.

Nur, um sich von seinem Nachbarn entscheidend ab setzen zu können, mehr zu haben und um etwas Besseres zu sein.

Damit kannst du kaum mich meinen.
Statussymbole interessieren mich nicht.

Ich habe als Single jahrelang problemlos in einer Mini'wohnung' gewohnt, obwohl ich genug Geld gehabt hätte, um mir mehr zu leisten, aber ich brauchte es einfach nicht. Allerdings ändert sich so Einiges, wenn man nicht mehr nur für sich selbst verantwortlich ist. Auch hinsichtlich der Art zu wohnen gilt es dann, Kompromisse zu schließen und die Wünsche des jeweils anderen zu respektieren.

Warum lebt der Mensch nicht bescheiden, dafür aber umso entspannter?

Trotz der m. E. unbestreitbaren Wichtigkeit finanzieller Stabilität gibt es auch völlig andere Gründe dafür, sich mit etwas zu beschäftigen, als das Streben nach Reichtum (z. B. Neugierde oder den Wunsch, etwas zu verbessern). Mein Stromspeicher und meine PV-Anlage sind beispielsweise ein finanzielles Minusgeschäft, aber ich wollte einfach meinen Teil dazu beitragen, dass Strom nicht nur aus dreckigen Kohlekraftwerken oder radioaktiven Müll produzierenden Atommeilern stammt. Sobald man jedoch in irgendeiner Weise aktiv wird und etwas Neues ausprobiert (man denke auch an die Beschäftigung mit Kryptowährungen - oder in meinem Fall mit mathematikbasiertem Sportwetten), steht nahezu zwangsläufig die staatliche Schikanefalle in Form mehrere Seiten umfassender Formularberge, Steuern, Gebühren, vertrackten, oft kaum verständlichen Regelwerken und juristischen Fallstricken bereit. Im Falle von Stromspeicher und PV-Anlage ist z. B. der Zwangseintrag aller möglichen und unmöglichen Daten ins Marktstammdatenregister (ein Wort, das sich so nur deutsche Bürokraten ausdenken können) eines der auf einen lauernden Bürokratieungetüme.

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Lieber @jaki01,
ich bin in D geboren und muss mich um einen Aufenthaltsstatus nicht kümmern. Ich beziehe auch keinerlei Stütze, lebe dabei aber keineswegs asketisch. Im Jahre 1952 geboren, hat man Gift und tödliche Strahlung noch völlig unbedacht in der Welt verteilt und besorgten Kritikern das Oswald'sche Verdünnungsgesetz um die Ohren gehauen. Damals wurde in nahezu jedem Haushalt Kohle, Holz oder Öl verfeuert und im Winter gab es daher garantiert dicke Luft zusammen mit dem Pesthauch des KFZ-Verkehrs und der ungefilteterten Industrieabgase mitten in unserer prosperierenden Industriestadt.
Die Welt ist seitdem sehr viel besser geworden! Das mag man als rezenter Stoffphobiker im Mikrogrammbereich kaum glauben, doch du lebst in einer um Potenzen reineren Welt, als ich sie bis heute überlebt habe. Was natürlich kein Argument sein soll, gegen weitere Anstrengungen hin zur Nullemission.

Askese? Ich habe keine Ansprüche und lebe mit einer absolut selbstständigen Frau zusammen, die schon in ihrer Jugend gegen die vorherrschende Meinung einer unfreundlich gestimmten Gesellschaft kämpfen musste, weil sie mit 17 ein Kind bekommen hat und auch noch nach dem alten Schweinegesetz schuldig geschieden war. Sie hat es trotz aller Gegner geschafft, als Krankenschwester examiniert zu werden. Diese immer hart kämpfende Arbeitertochter und Löwenmutter hat sich im Laufe der Jahre zu einem gesellschaftlichen Schrapnell entwickelt.

Ich selbst habe trotz der Herkunft und nie nachlassenden Protektion als Direktorenenkel stets antizyklisch gelebt, also unerreichbar für jeden Versuch mich fügig auf Norm zu bekommen. Niemals habe ich das veranstaltet, was man erwartet hat. Ich bin kein reicher Erbe, unfassbar unberechenbar, frei von Zwängen und daher eine Art Individuum, das es im Staat gar nicht geben dürfte. Zusammen sind meine Frau und ich die personifizierte Subversion. Wir fliegen unter nahezu jedem Radar.

Das ist schon alles, was du wissen musst, um zu verstehen dass ich kein Verständnis dafür habe, wenn Menschen sich über einen ungerechten Staat beklagen. Wir haben bisher nur die Vorteile aus dem Staat gezogen und fühlen uns hervorragend in D aufgehoben. Das einzige auf das ich dafür bisher verzichten musste, sind Ansprüche. Da Ansprüche neben dem Sklavendasein moderner Angestellter und der Selbstüberschätzung der Dünkelbürger ausschließlich zu blödsinniger, überflüssiger gesellschaftlicher Gockelei führen, ist es auch überhaupt nicht schwer, auf Luxus und Status zu verzichten.

... dass ich kein Verständnis dafür habe, wenn Menschen sich über einen ungerechten Staat beklagen.

Geht am Punkt vorbei: Ich sprach nicht von ungerecht, sondern von (extrem) bürokratisch (meinte damit aber durchaus auch "invasiv in die Privatsphäre eindringend").
Ich meinte außerdem nicht nur (wenn auch in sehr starkem Maße) den 'Staat', sondern auch andere Aspekte des immer komplizierter werdenden Lebens.

Ich behauptete überdies nicht, 'alles' sei verglichen mit früher schlechter geworden (dass du jedoch ausgerechnet eine sauberer gewordene Umwelt ins Feld führen zu können glaubst, liegt wohl daran, dass du von einem absoluten, auf die industrielle Revolution folgenden 'Verschmutzungs-Extrempunkt' ausgehst), kritisiere aber einen ganz konkreten Punkt, der mich persönlich sehr frustriert. Akzeptiere das, auch wenn du diese Frustration nicht teilst, denn Menschen und ihre Empfindungen sind nun mal verschieden.

... ist es auch überhaupt nicht schwer, auf Luxus und Status zu verzichten.

Es ist jedoch verdammt schwer, sich der übebordenden Bürokratie und staatlichen Kontrollsucht zu entziehen.

Wenn du deine Nische bzw. deinen Tümpel gefunden hast, in der/dem du dich wohlfühlst, ist das wunderbar.

Es ist jedoch verdammt schwer, sich der übebordenden Bürokratie und staatlichen Kontrollsucht zu entziehen.

Ich verstehe den Grund nicht, warum das jemand tun will, lieber @jaki01. Der Grad der Schwere von Überbordendem geht mir wohl ab. Weil ich denke, dass man sich Notwendigkeiten in dem Maße fügt, wie man sich ihnen auch entzieht. Auf die Weise findet jedes Individuum Ruhe in seiner Nische, ohne die gewiss niemand gut leben kann.

Ich verstehe den Grund nicht, warum das jemand tun will, lieber @jaki01.

Ich will einfach in Ruhe, unbehelligt, unter Achtung meiner Privatsphäre und selbstbestimmt leben.

Vielleicht hast du mein Gedicht "Staatsbesitz" gelesen, in dem ich zum Ausdruck bringe, dass ich diese Selbstbestimmtheit als in vielen Bereichen für nicht gegeben betrachte?

Oft wird unserer kleinen Tochter Aufgewecktheit, Fröhlichkeit und Chuzpe attestiert. Ich frage mich dann immer, ob (wie lange) das so bleibt, sobald sie sich in den Fängen des deutschen 'Bildungs'systems befindet ...?

Du weißt sicher, dass die Tochter gar nicht Euch gehört. Der Staat überlässt sie nur eurer Obhut. Ich bin mir sicher, dass Kobold und Du stark genug sind, immer zu dem Kind zu stehen. Insofern kannst du dich beruhigen. Was beiträgt, irgendwann zur Ruhe zu finden. Absolute Selbstbestimmung ist in einem verfassten Staat nicht zu haben. Da gibt es Regeln.

Du weißt sicher, dass die Tochter gar nicht Euch gehört. Der Staat überlässt sie nur eurer Obhut.

LOL, niemand gehört dem Staat. Sie gehört auch nicht uns, sondern sich selbst. Das ändert aber nichts daran, dass ich sie besser unterrichten könnte als eine staatliche Einrichtung das vermag.

Absolute Selbstbestimmung ist in einem verfassten Staat nicht zu haben.

Solange diese Selbstbestimmung nicht die Rechte anderer beschneidet, werde ich aber genau dafür eintreten!

Die „Fänge des deutschen Bildungssystems“ sind das Beste, was dir der bürgerlich-wirtschaftliche Konsens über die Länderparlamente zuspielt. Den darüber liegenden Rest zur Befriedigung deiner Ansprüche, musst du in Eigenleistung erledigen. Oder du kämpfst aktiv auf Ebene der Bildungspolitik, indem du zum Beispiel Forderungen an deinen Abgeordneten sendest. Vielleicht stand der gerade auf dem Schlauch und freut sich über deine kluge Anregung..

Die „Fänge des deutschen Bildungssystems“ sind das Beste, was dir der bürgerlich-wirtschaftliche Konsens über die Länderparlamente zuspielt.

Ich könnte und würde meine Tochter mit Sicherheit besser unterrichten, als es das durch das Wort "Mangel" am besten charakterisierte Bildungssystem tun wird.

Den darüber liegenden Rest zur Befriedigung deiner Ansprüche, musst du in Eigenleistung erledigen.

Ich will vor allem in Ruhe gelassen werden. Um zum Anfang zurückzukommen: Es sind der staatliche Regulierungswahn und Formularkrieg, die das Leben teilweise zum Kampf werden lassen. Aber was schreibe ich? Niemand zwingt dich, das genauso zu sehen ...