Vor fünf Jahrzehnten erschien John Lennons Solo-Debüt „Imagine“, das heute als Hauptwerk des Ex-Beatles gilt. Nun erscheint die kleine Schallplatte noch einmal - als dickes Boxset voller Demos und nie gehörten Versionen.
Ein letztes Husten noch, dann ein „one, two, three“ und schon beginnt John Lennon eine der schönsten Melodien zu singen, die die Popmusik bis heute kennt. „Imagine there’s no heaven, it’s easy if you try, no hell below us, above us only sky“, heißt es in „Imagine“, der träumerischen Klavierballade, die nicht Lennons größter Hit, bis heute aber seine nachhaltigste Komposition ist. Erschienen ist das Lied vor 47 Jahren auf dem gleichnamigen zweiten echten Solo-Album des Ex-Beatle, der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung kein Jahrzehnt mehr zu leben hatte.
John Lennon, damals Anfang 30, immer noch frisch von den Beatles getrennt und immer noch sehr verliebt in Yoko Ono, war auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft. Drei sehr experimentelle Alben hatte er gebraucht, um sich von der Umklammerung der Band zu lösen, mit der er die Popmusik revolutioniert hatte. Jetzt, Anfang der 70er, wollte der Matrosensohn aus Liverpool mehr sein als ein Sänger. Lennon sah sich als Mitkämpfer der Bürgerrechtler und Studenten, er sang gegen den Vietnam-Krieg und forderte „Power to the People“ (Liedtitel).
Musik, die auch fast 50 Jahre nach ihrer Entstehung nicht schal geworden ist, wie das unter Mitarbeit von Lennons Witwe Yoko Ono veröffentlichte Boxset „Imagine – The Ultimate Collection“ verrät. Auf sechs CDs und Blu-Rays verteilt finden sich hier 140 neu gemischte und remasterte Songs, die alle Hörerwartungen abdecken. Einerseits sind da die rohen Originalmixe, für heutige Hörgewohnheiten leicht verwaschen und karg klingend. Daneben stehen die sogenannten ultimativen Abmischungen, von Soundingenieur Paul Hicks unter Aufsicht von Yoko Ono Lennon in den legendären Abbey Road-Studios angefertigt. Und für echte Freaks gibt es zudem noch Surround- und Quadrasonic-Mixe als endgültiges Hörerlebnis.
Überraschende Entdeckungen inklusive. Als er sich durch Kartons von Originalbändern arbeitete, entdeckte Toningenieur Rob Stevens ein Band, auf dem nur „John Lennon“ stand, dazu das Aufnahmedatum und das Wort „Demo“. Beim Abhören wurde klar: Es handelt sich um die früheste Demo-Aufnahme von „Imagine“, ein „minimalistisches Home-Recording, auf dem sich John Lennon selbst am Klavier begleitet“, wie Stevens beschreibt. Entstanden ist die historische Aufnahm vermutlich im georgianischen Landhaus Tittenhurst Park im englischen Berkshire, wo Lennon und Ono „Imagine“ Anfang 1971 gemeinsam konzipierten, wie es heute offiziell heißt. Im letzten Jahr erst war Yoko Ono als Mit-Autorin des Stückes anerkannt worden. Während der Aufnahmen hatte sie parallel ihr Experimentalwerk „Yoko Ono/Plastic Ono Band“ fertiggestellt.
Die politische Künstlerin und schräge Muse, der Lennon nacheiferte, verhalf den Liedern des zuweilen launischen und unter Alkohol auch mal handgreiflich werdenden Jahrhunderttalents zu mehr Tiefe. Lennon, der mit leichter Hand unsterbliche Melodien entwerfen konnte, sehnte sich immer nach dem Komplexen, Schwierigen - etwas, so heißt es im Song „How do you sleep“ in Richtung Paul McCartney, das bei den Beatles nicht möglich war. Auf „Imagine“ gelingt ihm die Balance zwischen unwiderstehlichen Akkordfolgen und gebrochenem Sound. Dank der Bearbeitung im Studio klingen alle Songs originalgetreu, haben aber einen Klang, aus dem Lennons Gesang mehr hervorleuchtet als aus den bekannten früheren Abmischungen.
„Es geht um John“, sagt Yoko Ono, die in der Stimme ihres Mannes den Schlüssel zum Geheimnis der emotionalen Wirkung von „Imagine“ sieht. Wem die nicht ausreicht, der kann zur Begleitung die beiden Lennon-Filmklassiker „Imagine“ und „Gimme Some Truth“ anschauen, die pünktlich zur CD-Veröffentlichung in remasterten Versionen erscheinen.
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