Montag 31.08. - Tag 11 der Quarantäne Wir dürfen endlich raus!
Auch heute Morgen hat SELENE wieder mächtig Schlagseite, der Wasserspiegel ist mit dem Gezeitenfluß um einen knappen Meter gefallen. Jetzt im Herbst ist genauso wie im Frühjahr der Tidenwechsel am stärksten. Okzidentialtide wird dieses „Phänomen“ genannt, wenn die Anziehungskraft des Mondes durch die Nähe zur Erde ihren Höchststand erreicht. In der Karibik ist von den Gezeiten normalerweise kaum etwas zu spüren, der Wasserstand schwankt weiger als einen Meter. In Europa dagegen, besonders an der Atlantikküste und im Ärmelkanal werden hingegen zweimal im Jahr bis zu 14 m Tidenhub erreicht, an der Atlantikküste in Nordamerika oder Novia Scottia bis zu 16 m.
Für uns stellen die fehlenden 80 cm jedoch schon ein großes Problem dar. Selene steckt im Matsch der Mangroven fest, es wird mindestens bis Mittag oder Nachmittag dauern, bis der Kiel wieder frei schwimmt. Bis dahin lässt sich die Zeit ein wenig überbrücken, denn wir müssen zuerst zum Q-Dock um unseren (völlig sinnlosen) PCR-Test zu machen. Diesmal ist es ein Bluttest den zwei sichtlich gelangweilte Krankenschwestern durchführen. Ein kurzer Piecks in den Finger, fünf Minuten warten, negatives Testergebnis wie erwartet, wir dürfen nun offiziell einreisen. Ich nutze die Gelegenheit und frage eine der Schwestern was ich mit meiner immer größer und röter werdenden Entzündung am Bein machen soll. Als ich das Pflaster entferne und ihr den „Mückenstich“ zeige, entgleist ihr Blick kurzzeitig und sie sagt nur „Hospital“. OK, es ist noch früher Vormittag, dass sollte heute noch gut zu schaffen sein. Die ganze Prozedur am Q-Doch hat keine halbe Stunde gedauert und somit hängt Selene immer noch schief im Matsch. Man könnte jetzt warten und mit dem Dinghy zur anderen Seite der Bucht fahren, um unsere Einreiseformalitäten zu erledigen. Aber wir wollen so schnell wie möglich raus hier, keine Sekunde länger in diesem Mückenloch. Also probieren wir sämtliche Tricks, die man versuchen kann, wenn das Schiff auf Grund geht. Alleine Rückwärtsfahren bringt nicht viel, Selene bewegt sich keinen Zentimeter. Zweiter Versuch per Dinghy, Martin drückt und schiebt den Bug abwechselnd von beiden Seiten nach rechts und links und tatsächlich tut sich langsam was. Leider aber nicht genug um den Kiel aus dem Matsch zu bekommen. Wir müssen versuchen irgendwie über den Wall an Sand und Schlamm zu kommen. Möglichkeit eins: Warten bis das Wasser hoch genug steht – nö, keine Lust. Möglichkeit zwei: Den Tiefgang verringern. Dazu könnte man sämtlichen Ballast über Bord werfen (wäre ziemlich blöd) oder wir legen Selene einfach auf die Seite und gewinnen dadurch ein paar Zentimeter. Das klingt erstmal spektakulär, ist aber gängige Praxis. Manchmal hilft es schon das Schiff heftig ins Schaukeln zu bringen und mit dem Kiel die Sedimente aufzuwühlen bzw. eine größere Mulde am Grund zu schaffen. Mit ordentlich Rückwärtsschub und Unterstützung per Dinghy kann das schon reichen. Bei Selene leider nicht, und so greifen wir zum letzten bewährten Mittel, indem wir eine lange Leine am Spifall befestigen und über den Zug an der Mastspitze das Boot auf die Seite legen. Das wiederum klingt einfacher als es ist, denn mit unserem 5 PS Außenborder ein 5 Tonnen Schiff mal eben über den Mast zu kippen ist etwas gewagt. Martin im Dinghy, ich am Steuer, Kommunikation per Handzeichen, denn wir machen seit nun mehr einer halben Stunde einen Heiden-Raddau in den Mangroven. Mit jedem Versuch, Selene zu krängen wird der Spielraum unter dem Schiff größer, sie bewegt sich immer mehr von vorne nach hinten, von links nach rechts, … Herrschaftszeiten! … Das muss doch gehen. Und wie immer ist es der letzte Versuch, der schließlich den gewünschten Erfolg bringt, Selene schwimmt endlich aufrecht in der Mitte der Bucht, wir können raus hier, Juhu!
Die Tyrell Bay Anchorage ist viel viel kleiner als z.B. die Bucht in Porsmouth/Dominica, dafür liegen hier aber an die hundert Yachten. Die meisten vor Anker, nur wenige nutzen die Moorings. Das mag vor allem daran liegen, dass den Besitzern einiger Moorings ein sehr schlechter Ruf voraus eilt, der Name „The evel Twins“ (die gemeinen Zwillinge) ist, glaube ich, recht eindeutig. Wir finden trotzdem schnell unser Plätzchen, gleich nebenan liegt die Woiee von Cora & Stan, die Bamba Maru mit Joanna und Andy, Odda II mit Siri und Harald, … So langsam verstehe ich, was den Reiz für viele Segler ausmacht, immer wieder in der selben Bucht die Hurrikan-Saisaon abzuwettern, denn es bedeutet Jahr für Jahr, die gleichen oft sehr netten, manchmal verschrobenen, lustigen oder chaotischen Menschen sowohl an Land als auch zu Schiff wieder zu treffen.
Obwohl wir ziemlich nahe an einer Mooring der "Evel-Twins" ankern, lassen sie uns vorerst in Ruhe. Dafür setzen sie am darauf folgenden Tagen mehrere kleine Boien um uns herum an denen Lobbsterkörbe unter Wasser befestigt sind. Diese Aktion zielt allerdings weniger darauf ab tatsächlich Lobbster zu fangen, es geht wohl eher darum den freien Platz zwischen den kostenpflichtigen Moorings zu begrenzen und somit die Segler an eine der Tonnen zu zwingen. Naja, wir warten erstmal ab, was da noch so kommt … Im Moment habe ich keine Zeit mir darüber Gedanken zu machen, ich will heute unbedingt noch einen Arzt konsultieren.
In der Carriacou Marina, der alten Marina an der Südseite der Tyrell Bay ist das Custom-Office, wo wir mit dem negativen PCR-Test nun endlich den Papierkram abschließen können. Die Lady im Büro ist von wenig karibischem Gemüt, kein Lächeln, kein Scherz, kein „Welcome to Carriacou“, authoritär distanziert überreicht sie uns die Formulare die noch auszufüllen sind. Ich frage sie trotzdem nach dem schnellsten Weg, eine Arzt ausfindig zu machen und nachdem sie meine inzwischen walnussgroße Entzündung am Bein sieht, sucht sie mir schnell die Nummer von Dr. Freddy in Hillsborough raus. Der Arzt ist hier eine Art Institution, jeder kennt ihn, jeder vertraut ihm, seine Tür steht immer offen. Außer für mich, leider. Die anderen Fahrgäste im Minibus sind mindestens genauso enttäuscht wie ich, dass ausgerechnet heute seine Praxis geschlossen hat. Anfangs verstehe ich die Aufregung gar nicht, aber scheinbar sorgen sich hier alle um mein Bein und so wird beraten, wo ich denn sonst hingehen kann. Einer der Fahrgäste, Mitchel, lässt es sich nicht nehmen, mit mir ein paar Straßen weiter bis zur zentralen Bushaltestelle zu gehen und mir die nächste Fahrt zum Hospital zu organisieren – so süss! Die anschließende Fahrt dauert nicht lange und so stehe ich kurze Zeit später ein wenig verloren zwischen mehreren zweistöckigen Gebäuden. Das Princess Royal Hospital liegt ein Stück auswärts der Inselhauptstadt auf einem Hügel mit einem fantastischen Blick über den Südwesten Carriacous. Der Komplex hat sonst jedoch wenig mit einem „Hospital“ wie wir es kennen zu tun.
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Ich hoffe das Bein ist noch dran. So ein entzündeter Mückenstich ist kacke. ;)
Sehr Spannend! Krasse Zeit auf dem Boot so lange auszuhalten.
LG Michael
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