I. Die Berufung
„Splatsch.“ Das Gehirn des Zombies entwich seinem Kopf durch das Einschussloch, das Helvece vor wenigen Momenten in seinem Kopf erzeugt hatte. Seufzend beugte sie sich über den Körper des Zombies, griff nach dem nahestehenden Benzinkanister und übergoss ihn langsam mit der enthaltenen klaren Flüssigkeit. Um sie herum befand sich nur dunkler, undurchdringlicher Wald, doch sie konnte ab und zu leise Schreie aus der Umgebung vernehmen. Wahrscheinlich von Überlebenden, die den umherstreifenden Zombies zum Opfer fielen.
Sie seufzte und griff routiniert in ihre Jackentasche, um ihr Feuerzeug hervorzuholen, doch dann hielt sie inne.
War sie denn vollständig verrückt geworden? Das Feuerzeug brauchte sie doch jetzt nicht mehr. Jetzt, da sie diese Kräfte hatte. Während sie den Zombie mit sehr viel mehr Benzin, als eigentlich benötigt war, durchnässte, schweiften ihre Gedanken hin zum Ende der letzten Woche…
„Helvece, Helvece, Helvece…“ Sie griff sich an den Kopf. „Helvece, wie kannst du nur so verplant sein und immer alles Wichtige vor dir herschieben, anstatt es prompt zu erledigen?“ Vor ihr auf dem Tisch lagen ihre lieblosen Versuche, etwas für die morgige Hausarbeit zu fabrizieren. Wieso musste der Dozent ihr auch immer die doofen Themen reinwürgen, dachte sie sich.
Ihr Kopf tat weh, sie hatte seit 48 Stunden nicht mehr geschlafen und neben ihrem Tisch häuften sich die Flaschen des vitalisierenden Tee-Getränks, welches sie immer trank, wenn der Unistress zunahm. Irgendwie war es schon komisch, dass sie noch nicht vor lauter Müdigkeit umgekippt war, aber aus unerfindlichen Gründen fühlte sie sich gleichzeitig erschöpft und angeregt. An ihrem übermäßigen Tee-Konsum konnte das nicht liegen, außer der Hersteller hatte seine Rezeptur dramatisch verändert.
„Ich brauche eh erstmal eine Pause.“ Sie drehte sich in ihrem Stuhl um und betrachtete ihr Zimmer.
Es war nicht groß, vielleicht 10, 12 Quadratmeter, doch für sie waren das Quadratmeter, die ihr allein gehörten und in denen sie sich vollkommen frei bewegen konnte. Das war ihr Hoheitsgebiet und niemand durfte es ohne ihre Zustimmung betreten.
An der Wand hingen ein paar Fotos, auf denen sie mit ihrer besten Freundin zu sehen war. Doch das war jetzt Geschichte, dachte sie sich. Sie wohnte jetzt in Berlin und ihre Freundin in München. Ab und an skypten sie, aber so intensiv wie früher, war ihre Beziehung nicht mehr.
Während sie ihr kleines, aber feines Bett musterte, fiel ihr Blick auf die danebenstehende Uhr. „Toll, noch 8 Stunden bis zur Abgabe und ich habe weder eine gut geschriebene Hausarbeit vor mir liegen, noch Lust an ihr zu arbeiten. Ich sollte mich einfach kurz ins Bett legen und meine Gedanken ordnen.“
Helvece stand auf, warf sich auf das weiche Bett und kuschelte sich in ihre flauschige Decke. Sie schloss die Augen und versank im dunklen Nichts.
„Piiiiiiip, piiiiiip, piiiiip!“
Ein Geräusch riss sie aus dem Schlaf. Der Wecker? Nein, sie hatte als Wecker ihren Lieblingssong eingestellt und wenn dieser so klingen würde, wäre es nie ihr Lieblingssong geworden. Plötzlich dämmerte es ihr. Ja, das muss die Hausklingel sein. Aber wer klingelte um diese Zeit und wie lange hatte sie überhaupt geschlafen?
Helvece schleppte sich zur Tür und öffnete sie langsam. Vor der Tür stand eine ältere Frau in einem dunklen Mantel, die sie skeptisch ansah.
„Ein Dinoschlafanzug? Wirklich?“ Helvece fragte sich, auf was die Frau hinauswollte. „Ich bin ja immer wieder davon erstaunt, wie sich junge Leute kleiden, doch das werde ich wohl nie verstehen. Jedenfalls,“ sie räusperte sich. „Würden sie mich hereinlassen?“ Helvece zuckte mit den Schultern und trat von der Tür zurück. Wer genau war diese Frau und was wollte sie?
„Sie haben sich ja wirklich ausgetobt?“ Die Frau musterte ihr Zimmer und das darin befindliche Chaos.
„Gerade ist Klausurenphase und ich hatte nicht wirklich die Gelegenheit aufzuräumen“, raunte Helvece der Frau zu. „Wenn ich gewusst hätte, dass Sie mich mit ihrer Anwesenheit beehren, hätte ich davor aufgeräumt“, fügte sie genervt hinzu.
Die Frau überging ihre Bemerkung. „Also gehört es auch zu ihren Klausurvorbereitungen, dass sie Ihren Schreibtisch verkohlen, oder Ihren Kleiderschrank in zwei saubere Hälften teilen?“
„Bitte was?“ Helvece wunderte sich, was die Frau meinte. Sie sah sich in ihrem Zimmer um und auf einmal fiel ihr der riesige Brandfleck auf ihrem Schreibtisch auf. Ihre Dokumente, wo waren ihre Dokumente hin? Was sollte sie denn morgen nun präsentieren? Sie hatte nichts, einfach gar nichts! Panisch begann sie damit, ihren Schreibtisch abzusuchen, doch bis auf einen kleinen Haufen Asche in der Mitte ihres Tischs, befand sich darauf nichts außer Luft.
„Oh. Mein. Gott! Was soll ich denn jetzt morgen vorzeigen.“
Während alldem musterte sie die Frau mit einem neutralen Blick. Sie wandte sich an Helvece.
„Wenn sie mich fragen, haben sie momentan weit größere Probleme, als eine nicht fristgerecht eingereichte Facharbeit.“ „Ach ja!“, Helvece fuhr sie an. „Meine Eltern werden mich umbringen und mich im schlimmsten Fall von der Uni nehmen. Was könnte schlimmer sein?“
Während Helvece sie anfauchte, verzog die Frau keine Miene und erwiderte mit ruhiger Stimme: „Schauen Sie sich mal ihr Zimmer an. Wer weiß, wie das Haus aussehen würde, wenn wir Sie später gefunden hätten? Noch sind Sie nur eine Gefahr für sich selbst, doch noch ein paar Tage und sie gefährden auch die Menschen um Sie herum.“
„Ich tue was?“, Helvece sah sie verdutzt an.
Die Frau fuhr unbeirrt fort: „Schauen Sie sich den Schreibtisch an. Ich denke in ein paar Tagen wird davon nicht mehr viel übrig sein. Sie richten Ihre Kräfte unbewusst gegen das, was Sie in diesem Raum am meisten stört. Und aktuell scheinen Sie eine riesige Aversion gegen Ihre Hausarbeit zu haben. Wenn ich Ihren Kleiderschrank so betrachte, dann scheint sich in ihm auch etwas zu befinden, dass Sie ungemein stört, doch dazu müsste ich ihn mir mal genauer ansehen.“
Die Frau bewegte sich langsam auf den Schrank zu, doch Helvece griff sie am Arm und sah ihr tief in die Augen. „Sie sagen mir jetzt sofort, was Sie in meiner Wohnung machen, sonst rufe ich meinen Nachbar her und der ist Polizist.“
„Ok.“ Die Frau erwiderte Helvece festen Blick. „Setzen Sie sich, das was jetzt kommt, könnte Sie etwas aus der Fassung bringen.“
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Ich möchte euch mit auf eine Reise in die geheime Welt nehmen. Hier in meinem Blog erscheint regelmäßig ein Kapitel aus den Arcanum Chroniken.
Die ungefähre Handlung und die Charaktere stammen aus dem Videospiel „Secret World Legends“ vom Entwickler Funcom. Doch ich möchte an dieser Stelle nicht einfach die Hauptgeschichte nacherzählen, sondern die von Funcom geschaffene Welt als Ausgangspunkt für eine eigene Interpretation verwenden.
Damit ihr noch tiefer in die Welt eintauchen könnt, werde ich die Texte mit Bildern aus dem Spiel und Musikstücken (über YouTube) anreichern. Ihr könnt dann einfach auf die befindlichen Links klicken und so eine audiovisuelle Erfahrung machen. Natürlich könnt ihr auch eure eigene Musik hören oder gar keine. 😉
Link zum Spiel: https://www.secretworldlegends.com/
Lind L. Taylor