Um zu der Feststellung zu gelangen, dass sich die Meinungsfreiheit in unserem Land auf dem Rückzug befindet, braucht es wahrlich kein abgeschlossenes Studium der Politikwissenschaften. Es reicht vollkommen aus, wenn man mit offenen Augen und Ohren durch das Leben geht und nichts weiter tut als sich gelegentlich politischen Nachrichten auszusetzen. Für die Entdifferenzierung und die Verrohung der medialen Diskussion ließen sich viele Beispiele nennen, vielleicht zu viele, weswegen es an dieser Stelle nur ein einziges Zitat, stammend vom österreichischen Journalisten Andreas Unterberger, auf den Punkt bringen soll: „Damals sprach man von der ‚demokratischen‘ Revolution, heute von ‚populistischen‘ Bewegungen. Aber ‚demos‘ und ‚populus‘ heißen beide genau dasselbe, halt einmal Griechisch und einmal Lateinisch.“
Im Zuge der totalen Politisierung jedes Lebensbereichs scheint diese Unart, einander nur noch Ad-Hominem-Angriffe an den Kopf zu werfen, immer weiter um sich zu greifen, was in der letzten Konsequenz dann genau das verhindert, was eigentlich der Kern des öffentlichen Diskurses sein sollte: Die Orientierung am besseren Argument, die wirklich ergebnisoffene Lösungsfindung. Jeder wird anhand eines Oberbegriffs, wie zum Beispiel „rechts“ oder „sozialistisch“, „libertär“ oder „populistisch“ eingeordnet, was den bequemen Nebeneffekt hat, dass man sich nicht länger mit Argumenten herumschlagen muss. Stattdessen werden diese Wörter, welche jedermann anders definiert (wenn sie denn überhaupt definiert werden), mit Emotionen und Vorurteilen aufgeladen, einander dann an die Köpfe geworfen und das Ganze ähnelt eher aufgebrachten Krabbelgruppe als einer Diskussion zwischen erwachsenen Menschen.
Nehmen wir doch einmal den Begriff „libertär“. Wenn Sie mich als Autor einem Lager zurechnen wollten, so wäre das der Liberalen / Libertären sicherlich das richtige. Aber was bedeutet dieser Begriff?
Bildlich gesprochen ist der Begriff „libertär“ ein großes Zelt, unter dem sich drei Gruppen zuhause fühlen. Alle drei eint die Skepsis gegenüber einer starken Zentralregierung. Sei es aus moralischen oder zweckmäßigen Gründen, alle drei Lager würden anstelle eines übermächtigen Staates gerne eine Reduzierung und Dezentralisierung politischer Macht sehen, sodass in Deutschland nicht länger Berufspolitiker und Bürokraten den Ton angeben, sondern – welch Blasphemie! - die Menschen über ihr Leben bestimmen und die Früchte ihrer Arbeit verfügen können. Uneinigkeit herrscht lediglich darüber, wie weit man diese Dezentralisierung treiben kann.
Die klassischen Liberalen sind der Meinung, dass es die Aufgabe des Staates ist neben der Jurisdiktion, der Polizei und der Armee noch ein Mindestmaß an Infrastruktur und Bildungsinstitutionen zur Verfügung zu stellen. Die Minimalstaatler würden es gerne bei den ersten drei Ausgabenposten belassen. Und die Voluntaristen sähen am liebsten auch diese in einen Bereich überführt, wo freiwillige Kooperation an die Stelle von Staatsgewalt träte. Ich wette mit Ihnen, dass ein Großteil der Leute, die den Begriff „libertär“ verwenden, sich dem Lager aber nicht zurechnen, dies nicht so hätten beschreiben können.
Wofür wir also plädieren, ist eine Demokratisierung unseres politischen Systems. Ein Beispiel: Nehmen wir einmal an, dass es eine Volksabstimmung über die Frage gäbe, welche Rentenversicherung die Menschen in Deutschland bekommen. Die Abstimmung ist national und die Mehrheit entscheidet, welche Einheitslösung eingeführt wird. Nehmen wir darüber hinaus an, dass Sie zur Wahl gehen und 50 Millionen andere Bürger es Ihnen gleichtun. Ihre Stimme ist also eine von 50 Millionen. Böse Zungen würden behaupten, dass das nicht sehr viel ist. Ein Lösungsansatz, den wir befürworten würden, wäre, wenn man diese Entscheidung (und alle ihrer Art) kleineren Einheiten übertragen würde: Bundesländern, Bezirksregierungen, Kreisen, ja sogar einzelnen Städten, Stadtvierteln oder Straßenzügen, wenn dies denn möglich ist.
Merken Sie etwas? Wenn man diese Dinge nüchtern ausformuliert, so ganz ohne erhöhten Blutdruck und Gekreische, ist eine wirkliche Diskussion möglich. Die eine Person legt ihre Gedanken dar, die andere Person hört zu und kann im Anschluss ihre Kritik an dem Gesagten äußern. Man erhält ein gesamtheitliches Bild der Position eines Anderen und wird nicht länger mit aufgeladenen Labels abgespeist. So haben Sie nun (hoffentlich) gemerkt, dass die libertäre Position eine sehr individualistische ist. Sie verzichtet darauf den Menschen vorzugeben, wie sie ihre Kinder erziehen, welche Medien sie konsumieren und welche Weltbilder sie in ihren Köpfen haben sollen. Stattdessen sieht sie vor, dass sie sich im weitesten Sinne selbst regieren und jeder Mensch nach seiner Façon selig werden kann. Natürlich impliziert diese Art des laissez-faire auch eine gewisse Toleranz gegenüber anderen Lebensentwürfen, was Ludwig von Mises in seinem Buch „Liberalismus“ folgendermaßen auf den Punkt brachte: „Ein freier Mensch muss es ertragen können, dass seine Mitmenschen anders handeln und anders leben, als er es für richtig hält, und er muss es sich abgewöhnen, sobald ihm etwas nicht gefällt, nach der Polizei zu rufen.“
Dass sich viele Libertäre eher dem kulturkonservativen Spektrum zurechnen lassen und beispielsweise mit Skepsis darauf schauen, wenn in Kindergärten das biologische Geschlecht der Kinder zum sozialen Konstrukt erklärt wird, ist sicher richtig. Na, und? Die Frage, ob man eher progressiv oder konservativ, alten Bräuchen und Traditionen zu- oder abgeneigt ist, verliert doch offensichtlich ihre Sprengkraft, wenn man die Gesellschaft entpolitisieren will. Man fordert die Freiheit, so zu leben, wie man es für richtig hält, schließlich nicht nur für sich, sondern auch Menschen mit anderen Präferenzen! Wenn man aber zu schreien anfängt, sobald jemand „Nation“ oder „Deutschland“ sagt – und so infantil sind die Gruppen wirklich, die wie Türsteher an den Rändern des staatlich festgesetzten Meinungskorridors stehen - , versteht man das natürlich nicht.
Persönlich ist mir niemand bekannt, der seine politische Weltsicht auf niederen Motiven gründet. Ich habe es immer so empfunden, dass, wenn sich jemand zur Politik äußert, er mit bestem Wissen und Gewissen versucht, Probleme in unserer Gesellschaft auszumachen und ihnen auf den Grund zu gehen. Wenn dies der Wahrheit entspricht und uns das Interesse an Lösungen eint, die allen weiterhelfen, warum lassen wir es dann zu, manipuliert und gegeneinander aufgestachelt zu werden?
Darum achten Sie auf ihre Medienwahl, seien Sie kritisch mit den Journalisten, deren Texte Sie lesen, und hören Sie gelegentlich auch die Stimme der Gegenseite an. Wenn Sie merken, dass diese von außen nur in ihrer Person angegriffen wird, ihre Argumente aber nie adressiert werden, sollten Sie darüber nachdenken, was das über die Angreifenden sagt. Wir müssen als Individuen Objektivität und Ehrlichkeit von unseren Medien einfordern, ganz besonders zu Zeiten, in denen die Grautöne aus dem Sichtfeld verschwinden und man vielerorts nur noch die Extreme sehen will.
Dieser Text erschien (in leicht abgewandelter Form) zuerst auf ef-magazin.de
Sehr guter Text, dem kann ich mich nur anschließen.
Tausend Dank =)
Ich nehme an, in Österreich ist die Lage ähnlich..
Ja, ein freier Mensch tut das ohnehin. Bei Deutschen ist das natürlich anders. Aber in nächster Zeit dürfte sich das ändern - und zwar nicht nur deswegen, weil das Handy gestohlen wurde, sondern weil die Polizei immer weniger auf Anrufe reagieren dürfte. Die müssen schließlich die Statistik sauberhalten, und das erfassen von Straftaten stört dabei gewaltig.
Oh, und einen Nachtrag noch: Morgen werde ich die aktuelle eigentümlich frei hier auf Steemit verschenken. Was ihr dafür tun müsst, um sie zu bekommen, muss ich mir noch überlegen ;)
Bis dahin, genießt das gute Wetter!
Sehr schön, dass so ausführlich und nüchtern erklärt zu sehen. Ich wette, die meisten Menschen sind eigentlich freiheitlicher eingestellt, als ihr Wahlverhalten vermuten lassen würde. Denn sie mischen sich zumeist nicht in das Leben ihrer Mitbürger ein und wollen selber nach ihrer Art den Tag verbringen. Oder vielleicht ist das nur ein Wunschdenken von mir.
Ich denke, da hast du recht. Die meisten Menschen leben schließlich nach dem Nicht-Aggressionsprinzip - es scheitert dann eben auf der intellektuellen Ebene. Deswegen versuche ich ab und an*, freiheitliche Argumente verständlich aufs Papier zu bringen ;)
Die Hoffnung stirbt zuletzt.
*https://steemit.com/deutsch/@menckensgeist/liberale-argumente-richtig-vermitteln-es-ist-eine-frage-der-perspektive-freiheitswoche
Ein schöner Text und in abgewandelter Form (gut das die Katze nicht so weit zurückblicken kann, gab ja auch noch kein Internet) auch schon vor 150 Jahren als Plädoyer verfasst.
Vernunft ist nichts für die Industrie der Aufmerksamkeitserregung. Wie will man sonst in die Empörungsindustrie nahtlos übersetzen?
Wohl wahr, wohl wahr. Vernunft ist auch unvereinbar mit emotionaler Konditionierung.
Das altbewährte Prinzip "Teile und Herrsche" funktioniert leider immernoch viel zu gut und wurde von den Machtinhabern bereits so perfektioniert, dass es oftmals leider aussichtslos erscheint dagegen anzukommen.
Vor 10 Jahren hatte ich noch die Hoffnung, dass wir durch das Internet die Chance zur Besserung haben, da sich jetzt jeder Mensch eigenständig informieren kann.
Leider wird durch diese Echokammern aufgezeigt, dass diese Hoffnung vergebens war und momentan sieht die Entwicklung eher danach aus, dass diese Echokammern bald auch obsolet werden, wenn die Zensur noch weiter voranschreitet.
Ja. Was soll ich dazu noch sagen? Es könnte besser um uns bestellt sein..
Ich kann Dir da nur voll zustimmen. Wenn Dialoge intellektuell redlich geführt würden, wären alle Beteiligten darum bemüht, gemeinsam zu einem möglichst realitätsnahen Verständnis des Sachproblems zu gelangen und ggf. zu verstehen, warum andere Teilnehmer der Diskussion aufgrund anderer Interessen, Ziele oder Werte zu einer anderen Antwort auf das Sachproblem kommen. Im heutigen Politk- und Medienbetrieb geht es in der Regel aber gar nicht darum: Vielmehr geht es um Machtpolitik, die eigene Position unabhängig davon, ob sie sachgerecht ist oder nicht , durchzusetzen. Wenn die Argumente fehlen, dann natürlich mit persönlicher Diffamierung. Das muss sich in der Tat ändern.
Hinweis: Zur Situation der Meinungsfreiheit in Deutschland und ihre Bedeutung für die Zukunft unserer Gesellschaft habe ich mich ausführlich in meinem Blog geäußert.Falls Interesse: https://steemit.com/politik/@friedrichfischer/warum-wir-in-deutschland-und-europa-wieder-eine-offene-diskussionskultur-benoetigen
Freut mich, dass ich nicht der Einzige bin, der an dem Ast sägt ;)
Hi! I am a robot. I just upvoted you! I found similar content that readers might be interested in:
https://ef-magazin.de/2018/02/28/12350-meinungsfreiheit-und-diskussionskultur-ideologische-echokammern-nuetzen-niemandem
Du schon wieder..
Die Menschen sollten einfach mal alle aktiv werden.
Das würde schon einiges bewegen und einen guten Anfang darstellen.
Aktiv.. in welche Richtung denn?
Das ist egal! :)
Hauptsache sie werden politisch aktiv. Tun etwas.
Anstatt immer nur zu meckern.
Ich glaube, was du brauchst, ist eine klarere Sicht auf die Probleme dieser Welt. Lies 'mal Oliver Janichs "Die Vereinigten Staaten von Europa" und dann reden wir weiter.
(Glaub mir, wenn ich sage, dass ich es mehr als bereue, das Buch zwei Jahre vor mir hergeschoben zu haben.)
Ich denke ich habe eine recht klare Sicht auf die Dinge.
Zumindest klar genug für nen Überblick.
Ich weiß nicht ob es was ändern würde wenn alle politisch aktiv werden.
Ich gehe aber davon aus, dass sich nicht alle einfach fügen werden und so mitspielen, wie es in BPKs oder Kongressen/ Sitzungen abläuft.
Vielleicht würden dann mehr Leute verstehen, dass irgendwas nicht ganz richtig läuft?
Vielleicht würde es auch eine Partei geben welche sich für eine Verbesserung oder Änderung des Systems im demokratischen Rahmen einsetzt? Beispielsweise eine direktere Demokratie.
Ich weiß nicht genau was passieren würde.
Dies will ich mir auch gar nicht anmaßen.
Ich will eigentlich nur aussagen, dass alles besser ist als rumzuheulen, seine Lebensenergie nur negativ zu nutzen, destruktiv vorzugehen.
Wir brauchen Konstruktivität und vielleicht sogar Empathie.
Auf jeden Fall eine offene Diskussion, wobei auch die Gegenseite versucht den Gegenvorschlag zu verstehen.
Denn ich gehe mal davon aus, dass Menschen welche politisch aktiv sind und sich damit befassen auch wirklich etwas verändern wollen. Und zwar ins bessere. ;)
Buchtipps find ich aber immer toll.
Mal schauen ob ich rankomme! :)
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