Als Kind wurde mir oft gesagt, dass ich groß und stark werden muss. Denn wenn ich mal groß bin, dann darf ich auch all die coolen Sachen machen, die Erwachsene dürfen. Lange aufbleiben, unendlich viel Süßkram essen und den ganzen Tag vor der Glotze abhängen. Irgendwann wurde dann aus dem “groß werden” das “erwachsen werden” – zu den ganzen Vergünstigungen kamen auf einmal Verpflichtungen hinzu. Ich habe immer versucht, diesem Ideal gerecht zu werden und bin, zumindest eine Zeit lang, erwachsen geworden.
Ich bin heute 30 Jahre alt, und doch fühle ich mich wie ein Sechzehnjähriger. Ich akzeptiere die Verantwortung, erwachsene Dinge tun und sagen zu müssen – und doch habe ich nicht das Gefühl, erwachsen zu sein. Noch vor zweieinhalb Jahren hab mich schon eher wie ein erwachsener gefühlt. Ich habe meine Zeit hauptsächlich mit Zocken und Binge-Watchen von Serien verbracht, aber ich ging einem vernünftigen, erwachsenen Job nach und hatte eine eigene Wohnung und ein Auto. Standard für einen “Mann” von 27 Jahren würde ich sagen.
Damals wog ich allerdings auch 165 Kilo. Ich war krankhaft übergewichtig und oberflächlich völlig im Reinen damit. Zwar nicht in der Lage, auf normalen Stühlen zu sitzen, mehr als ein Stockwerk zu gehen ohne zu schwitzen oder beim onanieren meinen Penis zu sehen, aber für mich war alles “okay”. Okay insofern, als dass ich mich mit meiner momentanen Situation abgefunden hatte. Ich ging jahrelang meiner Routine aus arbeiten, Zeit vertreiben und schlafen nach und bin dabei immer dicker und einsamer geworden. Ich war auch schon immer ein sturer Mensch mit der Überzeugung, mich selbst gut zu kennen, daher fand ich zahllose Gründe, meine Lebenssituation vor mir selbst und anderen zu rechtfertigen. Über die Jahre habe ich so viele soziale Kontakte und viel Selbstwertgefühl verloren, mich selbst und mein Umfeld vernachlässigt und meistens nur die Zeit zwischen zwei Schlafphasen totgeschlagen. Ich habe nicht wirklich “gelebt”, aber ich bin meinen Pflichten als Erwachsener immer nachgekommen. Ich habe gearbeitet und Geld ausgegeben.
WARUM ICH LIEBER GROSS BIN
Heute bin ich 30, wiege um die 75 Kilo, bin verheiratet und habe ein Haus. Außerdem arbeite ich nicht mehr. Ich tue die Dinge, die mich erfüllen und mir Spaß machen – und mit einigen davon verdiene ich mein Geld. Ich dürfte wohl durchaus als Erwachsener durchgehen, aber ich fühle mich nicht danach. Mit dem Verlust von 90 Kilo Körpermasse verliert man auch viele negative Eigenschaften – und gewinnt unendlich viele positive dazu. Eine davon ist ein gänzlich neuer Blick auf die Welt. Wenn man sich mehr als 2 Jahre quälen kann, um ein Ziel zu erreichen – ein neues Leben zu bekommen – kann man einfach alles. Man verliert den Respekt vor Grenzen, außer vor den eigenen. Man gibt sich nicht mehr mit schnell und einfach zufrieden – man will alles, egal wie lange es dauert. Denn eine Sache lernt man zwangsläufig, wenn man sich tatsächlich entscheidet sich zu ändern: geduldig zu sein.
ENTSCHEIDEND IST, SICH ZU ENTSCHEIDEN
Die meisten Menschen in meinem aktuellen Umfeld haben meine Veränderung miterlebt und können sich die Frage vermutlich selbst beantworten, Leute die mich früher nicht kannten fragen mich allerdings öfter mal, wie man eine solche Veränderung des Körpers und des Geistes hinbekommt. Ich habe jedes Mal das Bedürfnis, eine hilfreiche und befriedigende Antwort zu geben, damit mein Gegenüber auch versteht, was ich gemacht habe, allerdings gelingt es mir nur selten, denn nichts daran ist einfach, wenn man den Willen dazu nicht hat.
Ich habe das gemacht indem ich mich entschieden habe aufzuhören Dinge zu tun, die mir schaden. Ich habe mich entschieden mein Leben zu ändern. In jeder weiteren Sekunde ab diesem Moment habe ich mich auf’s Neue entschieden das nicht in Frage zu stellen. Jede Sekunde, bis heute und in alle Ewigkeit.
Ich habe angefangen und nie aufgehört – so einfach. Ich habe erreicht, was ich erreichen wollte und das Leben bekommen, das ich mir gewünscht habe. Das war einerseits einfach – denn ich wusste immer schon, wie es geht – und doch eine Qual, denn ich musste mich selbst besiegen. Heute bin ich der Mensch, von dem ich vor zweieinhalb Jahren geträumt habe – und so viel mehr. Ich habe mich entschieden, ich habe durchgehalten und ich wurde belohnt. Ich bin heute weniger erwachsen als vorher – aber ich bin endlich groß geworden.
Eine total mitreißende Geschichte, habe sie regelrecht verschlungen! Danke, dass du so offen deine Erfahrungen mitgeteilt hast, das ist ziemlich mutig! In deinen Worten steckt außerdem eine ziemlich inspirierende Energie, die hat mich eben aus meinem Feierabend-Koma gerissen 😆👍🏽 Dir noch einen schönen Abend, liebe Grüße Yaraha 🌷