Erstveröffentlichung auf steemit! Level-One - Ein Science Fiction Roman - Komplettausgabe - Kapitel 2 - "Theorien"

in #deutsch7 years ago

 Kapitel 2. Theorien    

Bildnachweis: Antiv3D (istockphoto.com - Stock-Fotografie-ID:619375240)

20 Jahre später

Applied Physics Laboratory Johns-Hopkins Universität.    

Endlich war er da, der Tag an dem Ihr endlich der lang ersehnte Durchbruch gelingen würde. In den letzten zwei Jahren waren Ihre privaten Hobbies aber auch Zwischenmenschliches für Ihr Projekt auf der Strecke geblieben. Heute musste es funktionieren, sonst würde Sie dieses Projekt abbrechen und sich einem neuen Bereich mit deutlich mehr Privatleben widmen. Diese Abmachung mit sich selbst gab Ihr in den letzten Wochen die notwendige Kraft für die vielen Überstunden. Jetzt war der Punkt erreicht, an dem es entweder entschieden vorwärts ging oder gar nicht mehr. Karen hatte einen der besten Jahresabschlüsse Ihrer High-School gehabt. Sie war ein Überflieger und besaß fundamentale Kenntnisse der Physik und Biologie und hatte ein ausgeprägtes Gespür für Fremdsprachen. Nach dem erfolgreichen Abschluß Ihres Colleges in Ihrer Heimatstadt bekam Sie das Angebot an der Johns-Hopkins Universität im Bereich der Biomechanik zu forschen. Das nahm Sie gerne an, zählte die Uni doch zu den Top Adressen dieser Welt, wenn es um biochemische Entwicklungen für Unternehmen ging.  Ihre Kollegen schätzten dort Ihr Fähigkeiten, speziell für Kunden aus dem Ausland, eine Brücke zwischen den Kulturen über die Sprache zu schlagen. Hier konnte Sie Ihre Sprachbegabung ausleben und wurde dadurch gleichzeitig Teil spannender Projekte, die Sie ohne Ihre Sprachbegabung nie so schnell von innen gesehen hätte.  Mit Ihren 26 Jahren war Karen das Küken in dieser Einrichtung obgleich Sie durch Ihre langen zu einem strengen Zopf gebundenen Haare und Ihren kastanienbraunen Augen und den leicht sonnengebräunten Teint durchaus ein wenig reifer aussah. Ihre Eltern wanderten vor dreißig Jahren aus Spanien in die USA ein und wurden in New York sesshaft. Ihr Vater war ein Spanier wie aus dem Lehrbuch, streng, gezügelt und doch liebevoll und hingebungsvoll, wenn Sie Ihn brauchte. Als er vor einigen Jahren starb brach Ihre Welt für einige Zeit vollkommen zusammen. Sie versteckte sich nur noch tiefer hinter der Arbeit, und nur die Arbeit am Institut half Ihr über den Kummer hinwegzukommen. Geprägt von der strengen Lebensführung Ihres Vaters, hatte Karen eine tief in sich verwurzelte Hartnäckigkeit, die Ihr stets gute Dienste leistete.  Sie lieferte immer öfter erfolgreiche Arbeitsproben ab. Ihre Arbeit auf der Universität wurde interessiert verfolgt. Auch vom Verteidigungsministerium, obgleich sie dieses nur erahnte. Sie wusste, dass das Militär regelmäßig Projekte an die Johns-Hopkins-Universität vergab, war aber nur am Rande damit in Berührung gekommen. Ihr Aufgabengebiet war die Antriebsentwicklung von kommerziellen Raumfahrtschiffen. Genauer ging es bei all Ihren Projekten in der Vergangenheit um die Nutzung biochemischer Vorgänge in der Antriebsentwicklung. Transportraumschiffe konnten in der Vergangenheit nur einen Bruchteil an Ladung, gemessen an Ihrem Gesamtgewicht aufnehmen. Um ein Kilo Masse in den erdnahen Orbit zu schießen mussten noch bis vor Kurzem fünfzigtausend Dollar in Treibstoff investiert werden. Karens Aufgabe war es diesen Antrieb auf ein Minimum seines Verbrauchs bei gleicher Leistung schrumpfen zu lassen, und somit die Tragekapazitäten und damit verbundenen Reichweiten anwachsen zu lassen. Bei einem Ihrer sechsmonatigen Auslandssemester im chinesischen Hochland lernte Sie von den Einheimischen verschiedene Gewächse kennen, die mit Heilanwendungen, nicht aber für eine Verwendung im Treibstoff einer Rakete aufgefallen waren. Zurück im Institut waren Ihr während Ihrer Arbeit mit diesen Gewächsen die positiven Eigenschaften einiger dieser Pflanzenextrakte bei der Verwendung als Treibstoffzusatz aufgefallen. Sie hatte die Theorie entwickelt, das wenn Spinnen Netze weben können, deren Haltekraft ein hundertfaches Ihres Eigengewichtes aushalten können, und wenn Pflanzen ein Kraftwerk in nur einer einzigen Zelle unterbringen können, dann wäre auch die Natur imstande Treibstoffe hervorzubringen, die ein Raumschiff in die entferntesten Winkel des Alls befördern können. Der Wettlauf um die Ressourcen anderer Planeten hatte im kalten Krieg begonnen und würde in den nächsten Jahrzehnten nach längeren Pausen, angeheizt durch globale Wirtschaftskrisen, in eine neue heiße Phase treten. Spätestens wenn das Erdöl aufgebraucht und feststand das wir mit regenerativen Energien keinen vollständigen Ersatz liefern können, würde der Wettlauf um neue abbaubare Ressourcen auf anderen Planeten und Monden eine neue Intensität annehmen, das war sich Karen sicher. Und dann wären alternative Antriebe zwingend notwendig. 

Bei Ihrer Arbeit am Institut hatte Sie sich mit den thermischen Reaktionen verschiedener Pflanzen beschäftigt. Ihr Ziel waren neue Stoffe für außergewöhnliche Extreme zu schaffen, Hitze und Kälte absorbieren oder zum rechten Zeitpunkt abstoßen zu können. Eines Tages wurde Ihr klar, dass Ihre Forschungen neben dem Einsatz in der kommerziellen Raumfahrt auch in einer ganz anderen Richtung dienen konnten. Und so standen eines Morgens unvermittelt zwei Bedienstete des Militärs in Ihrem Büro und baten Sie, Sie zum nächsten Militärstützpunkt und Zentralorgan für die militärischen Forschungen auf dem Campus zu begleiten. Mitarbeiter des Militärs, hochrangige Offiziere waren im Gebäude nichts Besonderes, denn Forschung für das Militär war auf dem Campus allgegenwärtig. Robotertechnik für den Einsatz an vorderster Front, Drohnenentwicklung für Aufklärung und gezielte nicht bemannte Angriffe, die Palette der militärischen Anwendungen waren weit gefächert. Kurzer Hand wurde Ihr ein Projekt im Regierungsauftrag übergeben. Ziel des Projektes war weiterhin die Entwicklung eines optimierten Antriebes, aber es wurde Wert daraufgelegt, das auch konventionelle Lenkwaffen von diesen Eigenschaften profitieren konnten. Das klang spannend, wenn Sie auch gewissen Zweifel hegte, sich auf einen solchen Deal einzulassen. Schließlich würden am Ende sogar Menschen ums Leben kommen, wenn Ihr Projekt Erfolg hatte. Allerdings verfügte Sie von jetzt auf gleich über unbegrenzte finanzielle Ressourcen und Freiheiten in der Universität. Ihre Arbeit wurde mit jedem Tag aufregender, und schon bald hatte Sie Ihre ethischen Bedenken beiseite gelegt in der Hoffnung, dass die Menschheit mehr von Ihren Ergebnissen profitieren würde als das Militär. Das Fieber das jeden echten Forscher antreibt hatte Sie gepackt.  

Heute war wieder so ein Tag, an dem Sie durchflutet von Neugier und Aufregung mit weit aufgerissenen Augen stundenlang vor Ihrem PC saß. Und Sie hatte sich gut auf den heutigen Tag vorbereitet.  „Heute wird es klappen!“, sagte Sie immer wieder zu sich selbst. Sie summte leise zu den Tönen von George Michael, der aus Ihrem Laptop Ihre Arbeit beflügelte. Er gab Ihr die Ruhe, um diese Arbeit zu einem für Sie zufriedenstellendem Ende zu bringen.  Karen wusste das Sie kurz vor dem Durchbruch stand. Sie spürte förmlich wie nah Sie Ihrem Ziel war. Irgendetwas fehlte jedoch noch in Ihrer Berechnung. Sie startet das theoretische Rechenmodell wieder und wieder. Nach kurzer Kalkulation aller Daten zeigte der Bildschirm ein schematisches Modell eines Antriebs der wieder und wieder zündete, einen kurzen Verbrennungsvorgang zeigte und dann mit einer Fehlermeldung den Abbruch quittierte. Um das Projekt erfolgreich präsentieren zu können, brauchte Sie zumindest einen dauerhaften Verbrennungsprozess, optimaler Weise mit einem höheren Energieausstoß als das herkömmliche Treibstoffgemisch. Dieses Ziel schien noch nicht erreicht. Aber Karen war ehrgeizig und dachte gerne quer um sich ein Bild aus verschiedenen Perspektiven zu machen. Sie dachte darüber nach was Ihr Vater in diesem Augenblick wohl getan hätte. Hätte er sich zufrieden gegeben mit den Resultaten? Hätte er aufgehört. Ganz bestimmt nicht. Die Ergebnisse am Bildschirm zeigten, dass Sie Ihrem Ziel schon ein unglaubliches Stück näher gekommen war. Mit dieser Art der Treibstoffmischung  würde Sie unglaubliche Schubkräfte entwickeln können, allerdings nur mit einer stabilen Verbrennung. Sie fühlte sich als stände Sie am Abgrund und wusste, wenn Sie jetzt springt und alles auf eine Karte setzt, trägt der Sturm des Erfolgs Sie ganz nach oben, oder lässt die Windstille des Misserfolgs Sie gnadenlos nach ganz unten fallen. Karen entschied sich zu springen. 

Zwei Wochen noch, dann sollten die ersten Tests im Reaktorblock des Versuchsgeländes weit draußen in der Wüste beginnen. 

Sie nahm sich eine weitere Tasse Kaffee und startete eine weitere Sequenz.  

  Kapitel 3. "Beobachter" erscheint am 02.10.2017 exklusiv hier auf Steemit