1942
Quedlinburg.
Der Domschatz des Damenstifts, überwiegend aus Geschenken des ottonischen Herrscherhauses bestehend, wird sorgfältig in Kisten verpackt und ausgelagert, um ihn vor Bombenangriffen zu schützen. In einer Höhle unter der Altenburg, nahe dem ehemaligen Kaisersitz Quedlinburg, wird der Schatz auf Weisung Heinrich Himmler's verborgen und regelmäßig inventiert. Die Kostbarkeiten suchen ihresgleichen! Man betrachte nur einmal das einzigartige Samuhel-Evangeliar...
Diese Handschrift, im 9. Jahrhunderts vom Mönch Samuhel mit Goldtinte geschrieben, wurde im 13. Jahrhundert in diesen prachtvollen Einband gebunden. Auf Kalbspergament berichtet das über 1000 Jahre alte Buch vom Leben und Wirken Jesu. Man nimmt an, das es das Geschenk des Sachsenkönigs Heinrich gewesen ist. Weitere Informationen darüber findet ihr hier.
Am 12. April 1945 waren noch alle Kisten vorhanden.
Was dachte Lieutenant Joe T. Meador, als er an einem Tag im April 1945 den Eingang zur Altenburg-Höhle betrat? Eigentlich war sie von alliierten Landsleuten bewacht, aber es gelang ihm irgendwie, diesen Umstand zu umgehen. Nun stand er allein und ungestört vor den Kisten und begann, einige Objekte daraus zu entnehmen. Wahrscheinlich, so kann man sicherlich vermuten, hat er gedacht: Das ist die Gelegenheit! Und er hat sie genutzt.
Meador, 1916 in Amerika geboren, hatte Kunst studiert. Er besaß also ein Auge für das, was da vor ihm lag. Zwar war ihm nicht vollends klar, um was genau es sich handelte, doch Artefakte wie dieser Reliquienkasten mussten von enormen Wert sein. Und so entnahm er still und heimlich, was ihn seine Hände zu tragen erlaubten. Insgesamt 12 Stücke verschwanden. Zeugen oder eine Spur - er hat nichts davon hinterlassen. Von nun an sollten 44 Jahre vergehen, bis die Welt eines der Objekte wieder zu sehen bekommt.
1988
Das Evangeliar taucht auf!
Der internationale Kunstmarkt gerät in Aufruhr, als plötzlich das Samuhel-Evangeliar zum Verkauf steht. Niemand von offizieller Seite konnte den Eigentümer ermitteln. Darüber herrschte eisernes Schweigen und so konzentrierten sich 1989 die Kulturstiftung der gerade wiedervereinigten Länder und das Bundesministerium des Innern auf eine Finanzierung und unter dramatischen Umständen gelang es schlussendlich, den Codex für einen "Finderlohn" von 5 Millionen D-Mark zu erwerben. So weit, so gut. Aber wo war der Rest?
Inoffizielle Ermittlungen.
Agent of the german government hatte ihn die New York Times genannt. Doch das war Willi Korte beileibe nicht, im Gegenteil. Einen offiziellen Auftrag hat es nie gegeben. Der Kunstdetektiv agierte auf eigene Faust. Noch vor der Wende wurde er persönlich vom Kustos der Stiftung Preußischer Kulturbesitz angesprochen und unter vier Augen mit dem Domschatz vertraut gemacht. Dem Mann waren offizielle Wege verwehrt, aber wenn Korte auf eigene Verantwortung... höchster Diskretion... dann...
Und ohne autorisiert zu sein, reiste Korte nach Washington. Er begann die freigegebenen Archive zu durchsuchen, denn es gab die Vermutung, das der Schatz im Zuge der Besetzung Deutschlands irgendwie in die USA gelangt ist. Alles andere lag im Dunkeln. Korte musste herausfinden, welche Einheit Quedlinburg eingenommen hatte und dann, ob in den Berichten dieser Einheit ein Vermerk zur Altenburg-Höhle zu finden war. Eine zeitraubende Sisyphusarbeit.
Die Spur führte zum vierten Kavallerie-Regiment, doch das Kriegstagebuch gab die Namen der Offiziere nicht her und Korte steckte fest. Erst besagter Artikel in der New York Times sollte ihm weitere Türen öffnen. Korte hatte sich um die Veröffentlichung des Falls bemüht und mit Beharrlichkeit einen Journalisten bearbeitet, bis dieser schließlich eine eigene Story herausgab. Es entstand Druck auf den Kunstmarkt und so kam es zu einem denkwürdigen Treffen.
Ein Gespräch ohne Worte.
Das Antiquariat Kraus in New York, kam Korte zu Ohren, wäre in den Deal um das Samuhel-Evangeliar involviert gewesen. Er suchte das Antiquariat auf und sprach mit einem Mitarbeiter. Das Gespräch verlief zunächst einseitig. Korte befragte ihn zum Domschatz, versuchte Antworten zu kriegen. Doch der Mitarbeiter hielt sich bedeckt und schwieg. In diesen Kreisen verbietet die Berufsehre, über seine Auftraggeber zu sprechen. Er wählte stattdessen einen anderen Weg, legte Korte schweigend eine Landkarte von Texas vor und platzierte einen Bleistift darauf. Aber er platzierte ihn nicht irgendwie. Die Spitze zeigte auf Whitewright, eine Kleinstadt nördlich von Dallas!
Und dabei blieb es nicht. Der Mitarbeiter legte dem vermeintlichen "Regierungsbeauftragten" auch einen Brief vor, in dem es um die Regelung eines Nachlasses geht. Ein gewisser John Farley, Direktor der First National Bank in Whitewright, hatte sich darin an die Kunstexperten gewandt. Es waren entscheidende Hinweise, mit denen Korte nun eilig ein Flugzeug in Richtung Dallas bestieg.
1990
Whitewright, Texas.
Doch Farley stellt sich als harter Brocken heraus. Korte konnte ihn nicht dazu bringen, Informationen preiszugeben. Der Direktor der Bank spielte auf Zeit. Und die war knapp. Es blieb zu befürchten, das weitere Stücke aus dem Domschatz verkauft werden könnten. Aber ohne Beweise oder stichhaltige Indizien kam Korte nicht weiter. Da veröffentlichte William Honan einen weiteren Artikel in der Times. Korte's Freund in der Redaktion war nicht untätig gewesen. Ihm gelang es, den Namen eines Offiziers zu finden, der genau auf die gesuchte Person passt: Joe Tom Meador! Und eben jener Offizier stammte aus Whitewright.
Nun schoben sich die Puzzleteile zu einem Bild zusammen, das eine schlüssige Indizienkette ergab. Ob sie auch zum Schatz führen würde, blieb allerdings fraglich. Meador war 1980 gestorben und hatte sein Geheimnis mit ins Grab genommen. Also konfrontierte Korte die Erben in Whitewright. Begleitet von einem Filmteam suchte er sie auf. Die jedoch ließen sich nicht aus der Ruhe bringen und verweigerten jede Aussage.
Stillstand?
Zum Glück nicht, denn die Meadors hatten sich bereits in eine missliche Lage gebracht. In der Schweiz tauchte nun ein weiteres Stück aus dem Domschatz auf und wurde zum Verkauf angeboten. Es handelte sich um das Evangelistar des heiligen Wiperti. Dieser Verkauf war offenbar nicht mehr aufzuhalten gewesen, als Korte sie um Kooperation bat. Und nun wurde die Sache zu heiß. Bankdirektor Farley wusste genau, wo sich die Objekte befanden und als er vom Verkauf eines weiteren Wind bekam, nahm er sich Jack Meador zur Brust und redete ihm ins Gewissen...
20. Juni 1990
Mit Erfolg! Auch wenn der alte Jack Meador nicht gleich einlenken wollte, schließlich nahm er doch Kontakt mit Korte auf. In der Folge ging alles sehr schnell. Die Erben öffneten ihr Schließfach in der First National Bank von Whitewright. Und tatsächlich, in einfachen Pappkartons wurden die meisten der fehlenden Stücke vom Domschatz gefunden. Es war eine Sensation und Korte am Ziel!
1993
Quedlinburg.
Die ganze Angelegenheit war nun hochoffiziell und nach Verhandlungen, Vergleichen und Zahlungen kehrte der Domschatz endlich nach Quedlinburg zurück. Doch zwei Stücke sind noch immer nicht gefunden. Ein Bergkristallflakon und ein Reliquienkreuz. Also haltet die Augen offen! :-)
Was für eine lange und doch sehr spannend Geschichte. Es ist immer sehr erstaunlich wie solche Schätze über die Jahre wandern!
Wer weiß welche alten verborgenen Schätze und Schriften sich noch alles in Privatbesitz befinden..
oh ja, wer weiß! ich bin sicher, noch vieles liegt verborgen in privaten tresoren reicher leute. lg
sehr spannend geschrieben, komme zwar aus der weiteren Region aber wusste um diese Geschichte noch nicht.
dafür weißt du eine menge andere dinge :-) ich freu mich drauf. lg
Das ist eine echt aufregende Geschichte. Wäre auch der Stoff für einen Roman ...
in der tat hat der journalist der times später ein buch darüber herausgebracht. lg
Eine Kurzkrimi der mir gefallen hat. Danke!
wenn man so viele stunden in einen post investiert hat,
dann freut einen so ein feedback sehr. danke zurück. lg
Cooler Montagabendkrimi :)
danke dir :-) lg
Sehr sehr schön. Die Geschichte liest sich fast wie ein Krimi und die Fundstücke sind beeindruckend! Wo holst du das bloß immer alles her? Danke dir.
ich zieh mir das aus der nase :-) bin selber erstaunt, wie viel da drin ist. lg
weltweiter Kunstraub, wer hat was wann wem geraubt ? eine spannende Geschichte in jedem einzelnen Fall .
Falls die Menschheit erwachsen werden sollte, hören diese Räuber'spiele' auf.
du bist zuversichtlich, das gefällt mir. aber ich halte für unrealistisch, dass das je aufhört. die gier des menschen nach reichtum, status, werten, eigentum, etwas besonderes haben und besonders sein - das wird nicht enden. die geschichte hat es bewiesen und um das verhalten zu ändern, muss man schon weit und utopisch in die zukunft schauen, in der hoffnung auf ein miteinander, von dem wir, zumindest heute, noch keine ahnung haben. lg
ich höre gern die Geschichten von Christa Jasinski (FreeSpirit-TV Schweiz) und "rauben" muß nicht sein, erhöhen der eigenen Kreativität ist ein richtiger(er) und freudvoller(er) Weg. Siehe mein aktueller blog-Beitrag zum Allgäu.
Der Krieg kennt keine Regeln wer auf der Gewinnerseite steht holt sich was er braucht, das war schon immer so und wird auch immer so sein .
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