Ich schreibe heute über meine liebste Schreibübung: Freewriting, auf Deutsch wohl eher «freies Schreiben». Diese Übung habe ich vor ungefähr drei Jahren kennengelernt. In meinem Schrank tummeln sich mittlerweile hunderte Seiten, welche ich zum allergrössten Teil noch nie durchgelesen habe. Ich freue mich schon auf den Moment, wenn mein «zwanzig Jahre älteres Ich» diese Blätter irgendwann wiederfindet und sich für ein paar schöne Momente in alte Zeiten zurückversetzen kann.
Der Fokus ist auf dem «Wie» und nicht auf dem «Was»!
Die Übung ist eigentlich sehr schnell erklärt: Schreibe! Konzentriere dich nicht darauf was du schreibst, sondern vielmehr wie du es tust. Lass deinem Bewusstseinsstrom freien Lauf und versuche nicht zu reflektieren. Du musst dich dabei überhaupt nicht auf Schreibfehler oder unschöne Formulierungen achten. Das Einzige was zählt ist, dass sich die Finger bewegen. Wenn dir nichts anderes als «Ich weiss nicht, was ich schreiben soll!» in den Sinn kommt, dann schreibst du eben das! Lass das Gefühl direkt sprechen und versuche es nicht erst mit dem Verstand zu analysieren und es damit zu zersägen. Gib dem inneren Perfektionisten keine Möglichkeit rumzumeckern.
Im Laufe der Zeit werden dadurch, wie von selber, innere Blockaden abgebaut und du lernst dabei so intuitiv zu schreiben, wie du sprechen kannst. Im gleichen Atemzug verbessern sich übrigens auch deine Sprech-Fertigkeiten.
In dem Buch, in welchem ich über diese Form des Schreibens gelesen habe, wird empfohlen, jeweils mit Stift und Papier zu üben. Ich habe dies über mehrere hundert A4-Seiten auch getan. Spätestens seit meiner vergangenen Weltreise bin ich aber komplett auf die digitale Alternative gewechselt. Denn ich war es leid tonnenweise Papier mit mir rumzuschleppen 😂. Zudem schreibe ich viel langsamer von Hand und meine Schrift ist jetzt nicht gerade die schönste der Welt und dies macht es mir manchmal unmöglich, meine eigenen Wörter zu dechiffrieren...
Wenn du freies Schreiben am Computer oder am Laptop übst, kannst du auch die Bildschirmhelligkeit auf 0 stellen, die Augen schliessen oder aus dem Fenster schauen. Sieht zwar komisch aus für alle, die dich dabei beobachten, aber effektiv ist es trotzdem ;).
Desweiteren macht es Sinn diese Übung künstlich zu limitieren und zwar in dem du dir entweder einen Countdown oder eine maximale Wörtergrenze setzt. Manchmal gebe ich mir selber auch gewisse Themen vor, welchen ich mich während der Übung widmen möchte. Die Gefahr ist einfach, dass man dann schnell wieder darauf achtet, was man produziert und nicht wie.
Ein Beispiel
Am einfachsten erklärt sich diese Übung anhand eines Beispiels. Ich werde von nun an fünf Minuten schreiben und dabei einfach den Fokus auf dem Schreiben haben, ganz ohne irgend eine Idee zu haben, wohin mich meine Finger tragen werden:
Ist ganz lustig was dabei entstehen kann. Plötzlich enstehen Kurzgeschichten oder auch schon Mal Romananfänge, die man theoretisch weiterführen könnte. Manchmal meldet sich auch einfach das Unbewusste und schreit irgend etwas in den Kanal rein, was man selber gar nicht genau verstehen kann. Jaja, irgendwas kommt mir sicher in den Sinn, darum mach ich jetzt einfach weiter und versuche so locker wie möglich zu bleiben, plötzlich taucht ein Gedanke auf, der es wert ist geteilt zu werden. Vielleicht auch nicht, aber das tut nicht viel zur Sache. Hauptsache es schreibt und man versteift sich nicht darauf irgendetwas erreichen zu wollen. Denn alles was es braucht für eine erfolgreiche Übung ist hier und jetzt schon da.
Wenn man es aus diesem Standpunkt betrachtet, hat diese Übung mit Sicherheit auch meditativen Charakter und könnte auch helfen Stress zu kompensieren. Mal nicht von hier nach dort hasten, noch schnell diesen Task erledigen und dabei ein Schwätzchen halten, nein! Voller Fokus auf das, was hier ist und hier im Moment sitze ich halt in meinem Zimmer und warte darauf, dass die fünf Minuten um sind. Meine Finger erledigen den Rest.
Früher hat es mich enorm aufgeregt, dass ich schneller denken kann, als meine Finger schreiben konnten. Obwohl ich heute viel schneller schreiben kann, reicht es immer noch nicht ganz. Die Übersetzung vom Gedanken, vom Gefühl in ein konkretes Satzgebilde zu verwandeln kann ganz schön kniffelig sein manchmal. Dafür kann man dann diese Gedanken und Gefühle mit seinen Mitmenschen einfacher teilen. Faszinierend.
Im englischsprachigen Raum habe ich schon freewriting challenges gesehen, welche ich ziemlich interessant gefunden habe. Jemand gibt ein Wort vor und die anderen können dazu einen Freewriting-Text verfassen. Zwar nicht mehr komplett "free" aber was soll's. Hättest du Lust darauf?
Und schon sind die fünf Minuten um und ich verabschiede mich.
herzlich,
Noël
Hey was für ein schöner Artikel! Ich kenne das intuitive Schreiben und habe in der Vergangenheit auch mal darüber gebloggt. Aber irgendwie ist es bei mir in Vergessenheit geraten. Danke für die Erinnerung! Auch ich werde wieder ganz intuitiv schreiben, denn das sind einfach die besten Texte. Danke fürs Teilen!!
haha, yesss! Das geht mir manchmal auch so. Ist wohl eine Nebenerscheinung der Informationsüberflutung, welcher wir uns tagtäglich ausgesetzt sind.... :P Aber auf jeden Fall schön, dass ich dich wieder darauf aufmerksam machen konnte. Mögen sich unendlich viele Texte aus deinem Herzen ergiessen! :)
Danke!!! Ebenso!! :-)
✨🙏
Ein sehr guter Post, der für mich sehr hilfreich ist. Ich bin die Sorte von Mensch, der versucht einen Satz bereits während des Schreibens druckreif zu Papier zu bringen (hab ich gerade auch gemacht!). Ich sollte erst NACH dem freien Schreiben des Textes Korrekturen machen und nicht während des Schreibens. Ich empfinde das selbst als eine gewisse Schreibblockade, weil mich mein "Perfektionismus" daran hindert meinem Schreibfluss freien Lauf zu lassen. Ich werde deine Übungen und Tipps beherzigen und mir auch das empfohlene Buch besorgen. Vielen Dank für deinen tollen Artikel!
Schön, dass ich mit meinem Worten auf Anklang gestossen bin! Ich habe selber einen extrem nervigen Perfektionisten in mir drin, der mir ständig Salz in die Suppe schütten will - massenweise! Glücklicherweise ist man dem nicht schutzlos ausgeliefert. Regelmässiges Üben und auch publizieren hier auf Steemit können Wunder wirken. Ich wünsche dir auf jeden Fall, dass du einen Weg findest, wie du frischer von der Leber weg schreiben kannst!
Vielen Dank, Noël! So bin ich wohl nicht allein mit meinem Perfektionismus! Sehr beruhigend! Resteemed und nochmal auf deinen Kommentar ein voller upvote! Dein Artikel sollte - meine ich - viel mehr upvotes bekommen. Beste Grüße aus München!
Ja, wir sitzen wohl im selben Boot ! Danke dir Peter, das ist sehr gütig von dir :)!
Hallo Noël,
vielen Dank für den tollen Artikel!
Ich habe so bewusst noch nie Freewriting betrieben, werde das aber auf jeden Fall mal testen 😊.
Bei mir ist es sehr oft so, dass ich nach einer Weile in eine Art "Flow" komme während des Schreibens und dann gar nicht mehr wirklich nachdenke, was ich da schreibe - es verselbstständigt sich irgendwie (Es kommt allerdings schon auch auf das Thema an, über das ich gerade schreibe). Ich denke jedenfalls, das bewusst zuzulassen und nicht nur als ein "Beiprodukt" während des Schreibens zu erleben ist auch eine interessante Erfahrung.
Ziemlich paradox, dass man sich bewusst dazu entscheidet etwas möglichst unbewusst zu tun ;)
Ich bin ansonsten auch ein Fan davon, "sicherheitshalber" (😆) immer Stift und Papier dabei zu haben, wenn man mal unterwegs ist und einem etwas gutes einfällt. Bei mir passiert das zum Beispiel oft im Zug, auf dem Rückweg von der Arbeit, wenn ich meine Lieblingsmusik höre. Wenn ich da so aus dem Zugfenster gucke, verselbstständigen sich manchmal durch die Liedtexte, einzelne Worte oder Eindrücke hervorgerufen meine Gedanken ganz von selbst. Hinterher ärgere ich mich dann oft, dass ich es nicht aufgeschrieben habe, denn wenn man versucht es zu reproduzieren ist es oft nicht mehr authentisch. Ich muss mir da wirklich zukünftig öfter selbst in den Hintern treten - dein Post hat mich daran erinnert :)
Zu deiner letzten Frage: Mich würde so eine Challenge auf jeden Fall reizen, vor allem um für mich persönlich herauszufinden, wann der "Kontrollfreak" in mir oder der in den Kommentaren angesprochene Perfektionismus hoch kommt ;)
Viele Grüße
@marlasworld 🌸
Sorry, ich konnte dir erst zurückschreiben, nach dem ich meinen «Ich habe 1000 Post's geschrieben»-Artikel veröffentlicht habe.. :D
Ist auf jeden Fall sehr interessant, dass bei dir intuitives Schreiben scheinbar angeboren zu sein. Ich mag diesen Zuststand sehr. Es ist viel mehr «schreiben lassen», anstatt zu «schreiben», nicht wahr? :)
Diesen Flow der Gedanken erlebe ich täglich. Ich tauche manchmal so tief darin ein, dass ich vollkommen den "hier und jetzt"-Bezug und meine Gedankenwelt als realer erfasse als meine physische Realität. Ist schon recht witzig, kann aber auch hinderlich sein manchmal. Nicht zu empfehlen beim Autofahren zum Beispiel :P
Ich denk' mir mal was aus wegen der Challenge, vielleicht kommt das bald mal zu Stande :)
herzlich,
Noël
Ein schöner Artikel. Ich werde es bestimmt ausprobieren, wenn ich das nächste Mal wegen dem inneren Zensor nichts aufs Papier bringe.
Unbedingt! :)
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