Als Deutscher mit Migrationshintergrund werde ich morgen zum ersten Mal einen Stimmzettel ausfüllen.
Die Einbürgerung war nicht einfach -- vier einstündige Sprachprüfungen, unzählige Formulare ausfüllen, zweitausend Euro Gebühren an die US Regierung, und sechs Monate ohne Reisepass, nachdem ich meine Staatsbürgerschaft aufgegeben habe. Deutscher zu werden hätte ich mir als Student an der Uni nie vorstellen können, obwohl ich damals die übersetzten Werke von Hermann Hesse verschlang, die Kunst von Albrecht Dürer bewunderte, und die einzigartigen deutschsprachigen Komponisten liebte. Die deutsche Sprache lernte ich erst später im Rahmen meines Masters Studiums in einem Intensivkurs.
Mein erster Arbeitsplatz in Deutschland wurde mir angeboten, als ich noch in Amerika war. Meine Erinnerungen an meinen ersten Arbeitsplatz und meine erste Wohnung in Deutschland sind noch sehr lebhaft. Ich kam mit Bewunderung für Deutschland an. Die gepflegte Landschaft, Gärten, Häuser und Innenstädte wirkten wie ein Traum – sie übertrafen meine bereits hohen Erwartungen. Die Ordnung, Sauberkeit, Arbeitsbedingungen und Sicherheit waren, meines Erachtens, auf der ganzen Welt einmalig. Damals in den 80er Jahren konnten sogar Frauen Nachts bedenkenlos mit dem öffentlichen Verkehr fahren oder zu Fuß in den Großstädten unterwegs sein.
Ohne parteipolitisch zu sein, möchte ich erwähnen wie schockiert ich als neu Eingebürgerter war, als ich dies von der Integrationsbeauftragten des Bundes las:
“Deutschland ist vielfältig und das ist manchen zu kompliziert. Im Wechsel der Jahreszeiten wird deshalb eine Leitkultur eingefordert, die für Ordnung und Orientierung sorgen soll. Sobald diese Leitkultur aber inhaltlich gefüllt wird, gleitet die Debatte ins Lächerliche und Absurde, die Vorschläge verkommen zum Klischee des Deutschsein. Kein Wunder, denn eine spezifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifizierbar."
"Diese kulturelle Vielfalt ist auch anstrengend, aber sie macht die Stärke unserer Nation als eine offene Gesellschaft aus. Die Beschwörung einer Leitkultur schafft dagegen nicht Gemeinsamkeit, sondern grenzt aus. Sie gießt Öl ins Feuer, um sich selbst daran zu wärmen."
Als ich hier ankam, habe ich sehr schnell eine spezifische deutsche Kultur „identifiziert“. Sobald ich mir die mühe gemacht habe, mich an meine neue Heimat anzupassen, wurde ich mit offenen Armen aufgenommen. Diese Anpassung war für mich eine Selbstverständlichkeit und keine Zumutung.
Die Integrationsbeauftragte des Bundes schrieb:
“Auch Einwanderern kann man keine Anpassung an eine vermeintlich tradierte Mehrheitskultur per se verordnen, noch unterstellen, dass sie Nachhilfeunterricht benötigen, weil sie außerhalb unseres Wertesystems stünden.”
Doch, man kann und soll von uns Einwanderern erwarten und verlangen, dass wir uns an euch anpassen. Es ist schön, wenn die Deutschen die Kulturen von uns Einwanderern schätzen und daran Freude finden, aber sie sollten sich nicht an uns anpassen müssen. Die Deutschen, wie alle Völker, haben auch das Recht stolz auf ihre Kultur und Errungenschaften zu sein.
Meine Vorfahren sind während der Kolonialzeit aus Europa nach Amerika gekommen. Sie lebten im Süden. Trotz unserer verhältnismäßig kurzen Geschichte, sind wir auf unsere Kultur stolz . Wir haben großartige Novellisten und Musiker – Jazz, Blue Grass, Country, Blues, & Rock & Roll. Wie Deutschland und alle Nationen, haben auch wir einiges aus unserer Vergangenheit wovon wir lernen mussten und worüber wir nicht stolz sind.
Aus meiner Sicht ist Kultur mit Mentalität stark verbunden. Im Süden ist es oft extrem heiß und feucht, deswegen sind Gelassenheit und Bequemlichkeit ein Merkmal der Kultur. Hier in Deutschland waren Gelassenheit und Bequemlichkeit klimatisch und geographisch nicht angebracht. Jeder Mensch ist anders, aber man kann, meiner Erfahrung nach, von einer nationalen und regionalen Mentalität reden.
Aus meiner Sicht als gebürtiger Amerikaner beschreibe ich einige Merkmale der deutschen Mentalität so: Gründlichkeit, Genauigkeit, Präzision, Effizienz, Schlichtheit aber auch Kompliziertheit, systematisch, pünktlich, fleißig, technisch Begabt, fachmännische Kompetenz und Können, Sinn für Ästhetik, Korrektheit, Ordnung, und Sauberkeit. Natürlich sind nicht alle Deutschen so, aber hier sind diese Eigenschaften stärker ausgeprägt als in meiner alten Heimat.
Wie immer, bei mir geht es um die Musik. So eine Mentalität kann auch fantastische einmalige Musik hervorbringen.
Foto is eine Collage, Beethoven von Wiki Commons
Ja, solche Einwanderer wie Sie sind die totale Ausnahme. Zudem kommen Sie aus einem westlichen Land und nicht aus der Wüste oder dem Busch.
Hoffentlich wählen Sie morgen nciht eine dieser Parteien, die für den Niedergang verwantortlich sind.
Sehr schöner Artikel. Ich komme aus einer richtigen Multi Kulti Familie in der dritten Generation. Ich kann Dir spanisch vorkommen oder sehr friesich in Platt, bin in Engish und Deutsch bilingual aufgewachsen und trotzdem fehlen mir oft die Worte.
Wenn ich im Ausland bin vermisse ich all die Qualitäten die Du oben beschreibst und das deutsche Brot.
Wenn ich hier bin fühle ich mich oft Alien.
Ganz seltsam sogar für mich selbst...
Wunderbar ausgedrückt. Ich glaube es geht vielen so wie du es beschreibst. Wenn man hier ist, vermisst man dort. Wenn man dort ist, vermisst man hier ;-)
Für mich hier als Dazugekommener ist es eigenartig. In Deutschland kann man alle Kulturen der Welt bewundern und zelebrieren außer einer -- deutsche Kultur. Da haben wir Deutschen mit Migrationshintergrund ein bisschen mehr Freiheit, die deutsche Kultur zu würdigen. Aber sogar ich überlege ich mir das, bevor ich das tue.
Wenn ich andere Länder besuche, finde ich Kleinstädte wesentlich interessanter als Großstädte. Der Grund -- die Großstädte, im Vergleich, sind ein kultureller Einheitsbrei.
So wie es ausschaut, wird es in den westlichen Nationen in ein paar Jahrzehnten überall einen Einheitsbrei geben. China, Japan und die meisten anderen Länder werden noch ihre Kulturen behalten. Naja ...
Der eigentlichen These, daß wenn ich irgendwo neu bin, es erstmal drum gehen sollte sich zu integrieren (sprich sich kompatibel zu machen, also anzupassen) stimme ich zu. Mit dem Begriff der deutschen Leitkultur tue ich mich aber schwer. Ich finde das Wort "deutsch" passt da nicht, weil, wenn wir schon so grob verallgemeinern: Stell dir jemanden aus Hamburg vor - er soll sich entscheiden: Mehr Gemeinsamkeit mit einem Bayern oder mit einem Dänen ? Wen würde er wohl nehmen ? Oder ein Bayer, der zwischen nem Berliner und nem Südtiroler wählen kann. Ich würde es lieber (mittel-)europäische Kultur nennen. Das Konzept Deutschland ist da etwas überholt. Entweder wir denken global - dann bin ich Europäer. Oder wir denken regional, dann bin ich aus dem Ruhrpott, oder Hesse, oder sonstwoher .... aber diese Ebene da mittendrin - deutsch sein - verliert für mich gerade brutal an Wichtigkeit.
Was die Regionalunterschiede betrifft, gebe ich dir Recht. Oben wollte ich das kurz andeuten:Jeder Mensch ist anders, aber man kann, meiner Erfahrung nach, von einer nationalen und regionalen Mentalität reden.
In Deutschland ist es nicht politisch korrekt von einer germanischen Identität zu reden, aber als Dazukommender erkenne ich schon Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten unter den Deutschsprachigen in Europa. Dennoch, wie du schreibst, sind die Regionalunterschiede manchmal stärker. Allerdings gibt es ebenso eine Deutschkultur, die die Deutschen verbindet.
Dein Punkt mit Europa – gäbe es eine vereinbarte Zweitsprache, die Europaweit benutzt und verstanden würde, gäbe es echte demokratische Institutionen... und, und, und, dann... Aber zur Zeit werden Bürgermeister in Katalonien mit Gefängnis bedroht, weil sie ihre Bürger wählen lassen wollen. Wir sind heute weiter von einem gemeinsamen Europa entfernt, als wir vor zehn Jahren waren. Global denken – leider sind die echten Globaldenkenden Banken und Corporations, die im Bund mit nicht demokratisch gewählten Eliten Sachen wie TTIP durchsetzen wollen.
Den Wunsch von einem vereinten Europa und einer Welt habe ich auch, aber in der jetzigen Welt in der wir uns befinden, ist Deutschland, was die Selbstbestimmung betrifft, meine Realität. Welteinheit und ein demokratisches Europa sind eben meine Hoffnungen.
du sprichst jetzt viele Themen an (von TTIP und europäischen Institutionen bis zu Regionalunterschieden die sich politisch auswirken (CSU) - ich habe gerade die Berliner runde zu eurer Bundestagswahl 2017 geschaut, darum befürchte ich, daß mein Statement etwas politisch wird) ... den Punkt mit den Katalanen muß ich kurz klarstellen (da bin ich dummerweise persönlich involviert) ... wenn er es nicht will, wird kein katalanischer Bürgermeister eines Rechtsbruchs beschuldigt werden, Ada Colau hat deutlich gemacht, daß (in ihrem Fall Barcelona) Wahllokale da sein werden, auch wenn ihr als Bürgermeisterin der Stadt keine aktive Rolle nachgewiesen werden kann ... Fakt ist , daß Herr Puigdemont sich ausgesprochen dämlich angestellt hat, und jetzt Teile der politischen Opposition verloren hat... damit ist die Seperatistenbewegung nur noch 75% von dem was sie unter Artur Mas hatte (der war der wirkliche Demagoge in dem Spiel auf katalanischer Seite)
Ansonsten stimme ich dir zu, daß es mit Europa zur Zeit etwas schwierig ist, aber du sagst ja selber, daß der Gegner global antritt - also was bleibt uns anderes übrig als an der "Hoffnung" Europa (Originalzital K. Göring-Eckart gerade eben - bist du bei den Grünen ??) zu arbeiten,... nationale Lösungen werden uns nicht weiterbringen (und bitte nicht so negativ mit europa, zumindest das Europäische Parlament macht zögerliche Fortschritte :-).
In diesem ganzen kontext ist aber doch das wort deutsch überflüssig. Wenn du (mittel-)europäisch nicht magst, wie wär´s mit christlich abendländischer Kultur ? (PS - solche disskusionen führt man im mumble (o.ä.) und nicht in kommentaren von nem Teil, daß wie you tube für halbinterlektuelle ausschaut) ... und wie ist das eigentlich mit dem chat, läuft da was im sinne von regelmäßigen treffen von leuten mit gleichen interessen ? (sorry, ich bin absolut neu hier und digital emigrant :-)
Exzellente Punkte! Besonders Punkt 5. Ich habe viel dazu recherchiert und was ich da gefunden habe. Auweia. Wieder ein Club, der sich selbst gegründet und finanziert hat.
Schön gesagt, danke.
Mir fällt spontan ein Amerikaner ein, dessen Musik ansich eine ganz andere Welt ist und nicht vergleichbar mit den alten Meistern, aber ein Stück hat es mir besonders angetan, die 4:33 von John Cage :)
Jedes mal ist es anders :-)
Ja :-D
Schöne Anregung, über sich als Deutschen nachzudenken. Ich habe das mal versucht und dann musste ich über Europa schreiben und daraus ist eine recht lange Abhandlung geworden. Hier zu finden:
https://steemit.com/deutsch/@erh.germany/europa-du-wunderschoenes-biest
Ich selbst bin Aussiedlerin bzw. Heimkehrerin aus Russland. Wir kamen 1974 nach Deutschland. Ich bin so gesehen Deutsche - der Abstammung wegen und weil ich seit meinem 4. Lebensjahr hier lebe. Daher finde ich es schwierig, einen Blick auf mich selbst zu tun und zu sagen, was eigentlich typisch Deutsch ist. Ich finde, das können andere - so wie du - besser. Eine Zeitlang lebte ich in den USA, Californien.
Typisch für Californien finde ich - und das sind jetzt subjektive Eindrücke:
Ich finde, einen Unterschied solltest du beim Thema Einwandern machen. Ob jemand hier freiwillig ist oder hierher geflüchtet ist. Für Menschen, die es sich nicht ausgesucht haben, ihr Land zu verlassen, ist die Anpassungsleistung die von ihnen verlangt wird, enorm schwierig. Wie ein Identitätsverlust.
Deine Punkte über America/California entsprechen meine Wahrnehmung.
Statistisch gesehen sind anerkannte Flüchtlinge sowieso eine Ausnahme. In solchen Fällen gebe ich dir Recht, aber sogar da ist zu bemerken, dass sie bereits in mehreren sicheren Ländern gewesen sind, bevor sie hier ankamen. Ich verstehe warum sie nach Deutschland weiterreisen, die Unterstützung ist großzügiger. Dennoch sind sie freiwillig hier.
Mein Eindruck ist, dass wir überwiegend mit Wirtschaftsmigranten zu tun haben. Klar, in dieser Situation kann ich ihre Beweggründe voll verstehen ... aber das ist eine komplexe Angelegenheit, die ich nicht kurz als "Reply" beantworten kann. Bei Gelegenheit empfehle ich dieses Clip von Altkanzler Schmidt über Einwanderung und Integration
Das hast du super geschrieben. Volle 100% und resteemed :-)
Es hat eine gewisse Überwindung gekostet, aber ich wollte meine Bewunderung und Dankbarkeit für Deutschland und die Deutschen mal ausdrücken.
das ist absolut toll geschrieben, da sage ich als gebürtige Deutsche mal DANKE.... gefällt mir
ich habe zu danken :-)
Ein spannendes und wichtiges Thema und ich finde es sehr interessant, deine Meinung dazu zu lesen.
Als Deutscher, der sich selbst nicht so wirklich mit den deutschen Tugenden identifizieren kann, finde ich das Thema persönlich etwas schwierig.
Einerseits denke ich schon, dass sich Zuwanderer nach Möglichkeit integrieren sollten und nicht in einer Art Parallelgesellschaft weiterhin nur nach ihren eigenen kulturellen Werten leben sollten.
Andererseits kann man jemandem, der sich an unsere Gesetze hält und die Freiheit anderer nicht einschränkt auch nicht vorschreiben, wie er zu leben hat. Das widerspricht meiner Vorstellung von einer freien Gesellschaft.
Wir sind eigentlich nicht weit auseinander. Ich bin zwar kreativ und hartnäckig, aber mir fehlen auch viele deutsche Tugenden : -)
Die Aussage von Martin Luther King Jr. ist für mich der richtige Weg. Er träumte von einer Gesellschaft, wo ein Kind auf Grund seines Charakters gemessen wird, und nicht auf Grund seiner Hautfarbe.
Allerdings ist mir bewusst, dass wir mit Hilfe-vor-Ort zehn- bis zwanzigfach mehr Menschen helfen können. Aber zurück zum Thema, was mich betrifft, sollen die Deutschen von mir erwarten, dass ich mich hier anpasse, und nicht umgekehrt.
Das kann man auf jeden Fall auch so unterschreiben. Ich fände Hilfe vor Ort auch besser und ich warte auf den Tag, an dem wir endlich kapieren, dass wir nur in Frieden leben können, wenn es allen Menschen auf der Welt gut geht. Wenn wir aufhören einer der größten Waffenexporteure der Welt zu sein und statt dessen unsere Energie darauf verwenden, den Menschen in ärmeren Ländern auch ein lebenswertes Leben zu ermöglichen.
Amen brother. China nimmt keine Migranten auf, aber sie scheinen zu begreifen, wie man Freunde gewinnt, während China und (in diesem Fall) Afrika davon profitieren. Das sind Projekte, die Langzeitwirkung haben.
Das läuft im Stillen schon seit Jahren, nicht nur in Afrika. In der Karibik habe ich das auch beobachtet.
China setzt auf Aufbau. EU setzt auf "Open Borders" und große "Integrationsprojekte."
Super, sehr cooles Projekt. Danke für das Video!
Simply a gorgeous experiment
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schade, ich komm zu spät zum upvoten.