Roman: Seb Hofmann - Froschperspektive (Kapitel 9.17.)

Das kann nicht einmal sie ausblenden. Ich kannte bisher diese Verzweiflung in ihren Augen nicht, die mich bittet zu verschwinden. Doch ihr fehlt die Kraft wütend zu sein und ich spüre, wie falsch es war mich erwischen zu lassen. Bereitwillig kehre ich ihr den Rücken und irre davon in der Gewissheit, sie wird sich gleich melden. Doch erstmal passiert nichts. Grübelnd und ziellos irre ich durch die Straßen bis ich nach einer guten Stunde vorm Westbahnhof stehe. Es ist dunkel und frisch. Ich sollte reingehen, etwas essen und die Zeit vertreiben. Sie wird sich noch melden. Sie kann mich ja unmöglich die Nacht draußen verbringen lassen. Sowas macht Mariola nicht. Nicht mit mir; sie lässt mich nur schmoren. Es ist Nacht. Mittlerweile ist das Sicherheitspersonal auf meinen Frust aufmerksam geworden und fordert mich auf zu gehen. Sie zwingen mich geradewegs meinem Ärger freien Lauf zu lassen, aber da sich nach und nach eine bisher recht zuvorkommende Sicherheitsmannschaft um mich versammelt, beschließe ich den Bahnhof zu verlassen. Ich sollte zu Mariola zurückzukehren, aber ich kann nicht. Ich will, dass sie sich beschissen fühlt und ich will sie für ihre Sturheit bestrafen, auch wenn ich vielleicht den Blick in ihren Augen etwas überinterpretiert habe. Sie weiß nicht einmal was ich mit dem Vieh vorhatte und trotzdem hat sie mich rausgeschmissen. Ich ziehe das jetzt durch. Es ist mittlerweile 2:23 Uhr, ich hocke auf einer Bank am Bahnhof, während sich ein nett ausschauendes Partygirl zu mir setzt und sich vor die Absatzschuhe kotzt. Sie ist meine Chance auf eine gemütliche Nacht, doch ohne Notiz von mir zu nehmen, torkelt sie heim. Sie hätte mich wenigstens ihre Haare halten lassen können. Ich irre ein Stück die Straße entlang, um mich aufzuwärmen. Noch immer widerstrebt mir die Erleuchtung heimzugehen, so tappe ich unermüdlich durch die nächtlichen Straßen, bis ich vom rot-blauen Blinklicht einer Kabinensex-Lokalität angelockt werde. Ich zögere nur kurz, folge meinem Glück und als ich eintrete, blechert eine osteuropäische Stimme: „Kabine 2“. Ich folge ihrem Kommando und betrete die aus Pressspanplatte zusammengezimmerte Kiste mit ovalem Ausschnitt in Schritthöhe. Die schrille Balkan-MILF mit üppigen Titten schaut mich verschlafen von unten an. Ich bin ratlos und versichere ihr, dass es mein erstes Mal sei. Ihr ist alles scheißegal und sie rattert die Preisliste runter. Ich verzichte auf Titten, nehme die günstige Variante und reiche 25 Euro auf ihre Seite der Pressspanplatte. Betont knackig weist sie mich mit den Worten: „Süßer, du musst ihn schon rausholen!“, darauf hin, dass sie nicht für alles verantwortlich sein will. Ich kann auch für nichts gerade stehen, doch schon spannt sie mit gespreizten Fingern ein Kondom über und beginnt sonderbar zu nuggeln. Ich schiele ungläubig auf ihre Arbeit herab, während sie mir mit vollem Mund empfiehlt besser die Pornos, die in Augenhöhe gezeigt werden, zu schauen. Kurz verwundert, dass ich tatsächlich auf mehr Motivation angewiesen bin, ist es im nächsten Moment, schon um mich geschehen und sie pickt hastig den Gummi mit einem Taschentuch runter. Ich wäre gern noch ein wenig geblieben, so zum Reden, doch der Nächste steht bereits hinter mir und wartet darauf endlich Seinen ins Loch zu halten. Mir fehlt Mariola, deshalb rufe ich Zuzanna an. Ist wohl etwas spät, also versuche ich es doch bei Mariola. Auch keine Antwort. Ich bin allein, ich bin das Opfer und mir ist kalt. Sie soll bereuen. Mir wird, meine Abhängigkeit bewusst; die Wohnung, finanziell, emotional – Ich liebe sie; ganz bestimmt. Kurz nach 6:00 Uhr die erste Nachricht. „Warum bist du nicht heimgekommen?“ Weil ich verdammt nochmal will, dass du siehst, wie ich für dich leide. „Lass uns frühstücken gehen. Es tut mir alles so leid.“ Sie soll mich gefälligst mit eigenen Augen sehen; sehen wozu sie mich getrieben hat. Alles wegen dieses blöden Köters. „Meinetwegen!“

Roman: Seb Hofmann - Froschperspektive (Kapitel 9.18.)

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