Häufig wirft man mir vor, eine radikal liberale Einstellung zu haben. Der Tenor ist, dass die vollkommene Abwesenheit jeder Illusion letztlich auch keine Lösung sei.
Fortschritt sei schließlich nur machbar, wenn zuerst eine Utopie da ist. Eine Richtung, wie die Gesellschaft sich entwickeln soll.
Ich antworte dann, dass bisher noch jede Utopie ins Gulag führte. Als Menschen müssen wir akzeptieren, dass jede Handlung, die wir unternehmen, unabsehbare Folgen hat. Eine Vision für die Gesellschaft führt, davon bin ich überzeugt, immer zu unerwünschten Nebenwirkungen. Es ist egal, was eigentlich bezweckt werden sollte. Geben wir das Ziel vor, vermitteln dieses Ziel einer Gesellschaft mit politischer Macht, dann wird die Idee sich verselbstständigen.
Die Idee wirkt bei ihrem Erdenlauf schließlich immer und überall ihrem urspünglichen Sinn entgegengesetzt und vernichtet sich dadurch.
– Max Weber
Unser einziges Mittel dagegen ist die Vernunft und das Vertrauen, dass ein scharfes Argument stärker ist als Gesetz und Befehl. Leider vermisse ich gerade das in unserer Zeit. Ich glaube, dass das gut gemeinte das Gegenteil vom Guten ist.
Die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts sollten uns allen zeigen, dass Gesellschaftsentwürfe sich nicht von oben herab durchsetzen. Es sind die Eliten, die Gesellschaften zerstören, nicht der Handwerker, der die Dinge so nimmt, wie sie sind.
Verantwortungsethik vs. Gesinnungsethik
Da wir schon bei Max Weber sind, lassen wir ihm doch länger zu Wort kommen:
[…] Sie mögen einem überzeugten gesinnungsethischen Syndikalisten noch so überzeugend darlegen: dass die Folgen seines Tuns die Steigerung der Chancen der Reaktion, gesteigerte Bedrückung seiner Klasse, Hemmung ihres Aufstiegs sein werden, – und es wird auf ihn gar keinen Eindruck machen. Wenn die Folgen einer aus reiner Gesinnung fließenden Handlung üble sind, so gilt ihm nicht der Handelnde, sondern die Welt dafür verantwortlich, die Dummheit der anderen Menschen oder – der Wille des Gottes, der sie so schuf. Der Verantwortungsethiker dagegen rechnet mit eben jenen durchschnittlichen Defekten der Menschen, – er hat, wie FICHTE richtig gesagt hat, gar kein Recht, ihre Güte und Vollkommenheit vorauszusetzen, er fühlt sich nicht in der Lage, die Folgen eigenen Tuns, soweit er sie voraussehen konnte, auf andere abzuwälzen. Er wird sagen: diese Folgen werden meinem Tun zugerechnet. »Verantwortlich« fühlt sich der Gesinnungsethiker nur dafür, dass die Flamme der reinen Gesinnung, die Flamme z.B. des Protestes gegen die Ungerechtigkeit der sozialen Ordnung, nicht erlischt. Sie stets neu anzufachen, ist der Zweck seiner, vom möglichen Erfolg her beurteilt, ganz irrationalen Taten, die nur exemplarischen Wert haben können und sollen.
Aber auch damit ist das Problem noch nicht zu Ende. Keine Ethik der Welt kommt um die Tatsache herum, dass die Erreichung »guter« Zwecke in zahlreichen Fällen daran gebunden ist, dass man sittlich bedenkliche oder mindestens gefährliche Mittel und die Möglichkeit oder auch die Wahrscheinlichkeit übler Nebenerfolge mit in den Kauf nimmt, und keine Ethik der Welt kann ergeben: wann und in welchem Umfang der ethisch gute Zweck die ethisch gefährlichen Mittel und Nebenerfolge »heiligt«. […]
Max Weber,
Zitat von. Textblog
Zuerst veröffentlicht auf: sniemeyer.de, hier
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