Der Ellenbogen gehört nicht grundlos zu den Themen, denen man sich in der Anatomie zuerst widmet. Schließlich ist er das meistgebrauchte Gelenk - zumindest unter Medizinstudierenden. So jedenfalls das Vorurteil, aber: Ist da auch was dran? Zusammen mit drei meiner Lokali-Kollegen habe ich das Neid- und Missgunstpotential der angehenden Mediziner genauer untersucht.
Klein und unschuldig ist es, das Olecranon – der Knochenvorsprung der Ulna, der dem Ellenbogen seine typische, formschöne Gestalt gibt und der sich so wunderbar zum Dinge-Wegschubsen eignet. Evolutionär entstanden, um sich zur Seite hin verteidigen zu können. Doch seit der Säbelzahntiger im heutigen Alltag immer seltener aus dem Hinterhalt angreift, ist er zum nutzlosen Ort trockener schrumpeliger Haut geworden – theoretisch. Denn praktisch soll er in der Studierendenschaft der Mediziner sehr beliebt sein, um seine Mitstreiter sinnbildlich auszuschalten und ein Überholen unmöglich zu machen.
Angekurbelt durch starkes Konkurrenzdenken zeigen sich Neid und Missgunst unterschiedlich stark ausgeprägt tatsächlich bei einer hohen Prozentzahl von Studierenden. Stufe 1, obgleich nervtötend, ist dabei noch relativ harmlos und zeichnet sich durch das permanente Vergleichen von Lern- und Prüfungsergebnissen aus. Direkt nach Bekanntgabe der Ergebnisse fliegen „Hallo“ und „Wie geht’s dir?“ aus dem Pool der Small-Talk-Floskeln und werden abgelöst durch „Naaaa, wie lief Biochemie bei dir? Welche Note hast du? Wieviel Punkte?“ Darauf aufbauend folgt Stufe 2, in der sich manch Übereifriger die genannte Punktzahl merkt und zuhause in der Seminargruppenübersicht heraussucht. Zack, kann man so auf die Matrikelnummer des Gefragten zurückschließen und von nun an in einer eigens angelegten Exceltabelle das Abschneiden der Kommilitonen akribisch nachverfolgen. Gerade in der Vorklinik, wo die Klausurergebnisse als Aushänge der Matrikelnummern veröffentlicht werden, erweist sich dieses Verhalten als sehr effektiv, um seine Kommilitonen besser einschätzen zu können. Klingt verrückt, passiert aber wirklich.
Und dann gibt es da den Punkt, an dem man feststellt, dass der gestalkte Kommilitone besser oder schlechter ist. Herzlich willkommen auf Stufe 3, die es in zweifacher Ausführung gibt: „Puh, also der hat ja auch kein Leben neben dem Studium, anders kann man solche Ergebnisse ja nicht erreichen“ oder aber „Hilfe, und so jemand will mal Patienten behandeln, wenn er selbst eine derart leichte Klausur nicht ordentlich schafft“. Egal, was die Note des Anderen besagt, er wird mit Verachtung abgestraft, denn genau das ist das Charakteristikum der Stufe 3, ein Degradieren und Schlechtreden von allen, die sich im vergleichbaren Umfeld befinden.
Folglich verdienen besagte Leute es dann auch nicht, an eigens erworbenen Informationen Anteil zu nehmen. Und so werden gute Klausurtipps für sich behalten, irrelevante Fakten nicht als solche kommuniziert und generell die Scheuklappen angelegt, wenn es darum geht, wichtige Details für die Allgemeinheit zusammenzutragen. Diese Stufe 4 zeugt bereits von grober Hartherzigkeit den Mitmenschen gegenüber, kann aber – man lese und staune - tatsächlich aber noch getoppt werden: und zwar durch das Vernichten vorhandener und Verbreiten falscher Infos. Auf Stufe 5 gibt es zum Glück nur eine Handvoll Kommilitonen, aber diese reichen bereits aus, wenn sie handgeschriebene Notizen aus dem Präpsaal entwenden und so einer ganzen Lerngruppe die Vorbereitungen vermiesen oder gar dafür sorgen, dass der halbe Jahrgang wichtige Dinge nicht lernt, „weil Prof. Müller gesagt hat, dass das Thema nicht drankommen wird“.
Worauf jenes sehr unsoziale Verhalten von Menschen basiert, bei denen Mitgefühl eigentlich elementar für die Studienwahl sein sollte, darüber lässt sich nur spekulieren. Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus der Unzufriedenheit mit sich selbst, dass man doch zu Abizeiten immer der Beste war und dies nun mit allen Mitteln bleiben möchte, und der Eifersucht, dass andere viel weniger tun müssen, um dieselben oder gar bessere Ergebnisse zu erzielen. Andererseits spielen auch echte Ängste mit hinein, gerade bei Studenten, deren Weiterstudieren nach dem Physikum durch ihren Teilzeitstudienplatz nicht gesichert ist und die sich deshalb von allen anderen abheben müssen, um doch noch irgendwo einen der limitierten Klinikplätze zu ergattern.
Aber ganz ehrlich: Die Schlimmsten sind wir Mediziner in Sachen Neid und Missgunst sicher nicht, obwohl einige der hier pointierten Darstellungen das vermuten lassen. Schauen wir nur einmal auf die angehenden Juristen, die aus Bibliotheksbüchern ganze Seiten herausreißen, damit niemand anderes dieses exklusive Wissen erwerben kann und sie somit aus der Masse herausstechen. Im Gegensatz zu uns können sie sich nämlich nicht sicher sein, nach ihrem Abschluss eine Anstellung als Anwalt o.ä. zu finden, wenn sie nicht zu den Besten gehören.
Über die Jobsuche müssen wir uns bei dem akuten Ärztemangel nun wirklich keine Sorgen machen. Solltest du dich also in einer der oben beschrieben Stufen wiedergefunden haben, dann fahr doch bitte einen Gang zurück, hör auf, dich zu vergleichen und fang lieber an, nach bestem Wissen und Gewissen zu lernen, zu leben und leben zu lassen. Im Stationsalltag angekommen zählt nicht mehr, wie viele Studierende relativ gesehen schlechter waren als du, sondern einzig, welche Fähigkeiten du jetzt mitbringst. Deshalb die Moral von der Geschicht: Wenn jeder an sich selber denkt, ist an alle gedacht – oder auch: Wenn jeder seine Ellenbogen dafür benutzt, um sich über seinem Buch aufzustützen, lernt er nicht nur für sich selbst viel mehr dazu, sondern kann auch seine Umgebung nicht unnötig behindern.
Diesen Post verdanken wir einer lieben Freundin, die eine herausragende Medizinstudentin ist. Wer mehr dazu lesen will, kann hier den Artikel und hier das zugehörige Medizinerforum finden.
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Als Arzt macht man sich doch heutzutage am besten selbstständig und da interessieren die Noten doch eh nicht so wirklich...
Auch in der Klinik suche ich ja einen Arzt der schnell Entscheidungen treffen kann, ich suche also jemanden der Verantwortung übernehmen kann und seinem Wissen voll vertraut. Dies lernt man aber nicht an der Uni, sondern im Berufsleben.
Heißt einen Bücherwurm-Einser-Studenten, der zu Zittern anfängt wenn er mit fremden Menschen reden muss, brauch man in der Praxis nicht.
Klingt für mich etwas mehr danach, als geht es den Damen und Herren eher darum den Elten o.ä. zu beweisen, dass man sich auch wirklich anstrengt und seine Zeit nicht mit Partys und Co vergeudet. Was sollen denn bloß die stolzen Eltern denken, wenn andere Studenten bessere Noten als der eigene Spross haben?
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