Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen

Davon hat schon jeder gehört: die Gesellschaft sollte doch so aufgebaut sein, dass jeder nach seinen Fähigkeiten dazu beiträgt und jeder nach seinen Bedürfnissen erhält, was er benötigt. Für besonders naive Zeitgenossen klingt dieses Ideal wahrscheinlich vielversprechend. Wie können diese bösen Raubtierkapitalisten nur dagegen sein, dass jedermanns wichtige Bedürfnisse erfüllt werden?

Nun denn, was sind denn wichtige Bedürfnisse? Nehmen wir an, Menschen würden nicht nach ihrer Leistung bezahlt, sondern nach ihren Bedürfnissen. Sofort taucht die Frage auf: wer entscheidet über die Wichtigkeit von Bedürfnissen? In einer Welt von knappen Gütern (also in der Realität) können niemals alle Bedürfnisse erfüllt werden. Zwangsläufig müssen also in einem System, das jeden nach seinen Bedürfnissen bezahlt, die verschiedensten Bedürfnisse gegeneinander abgewogen werden. Es gibt nur eine begrenzte Menge an Gütern zu verteilen. Wer bekommt sie also? Wessen Bedürfnisse sind am wichtigsten? Sollte man dem krebskranken Greis eher eine teure Behandlung schenken, oder den Kindern Schulbildung? Sollte man eher einem Arbeiter ein Auto geben, damit er schneller zur Arbeit kommt, oder einem jüngeren Elternpaar ein größeres Haus? Wir werden noch sehen, dass diese vergleichsweise luxuriösen Bedürfnisse in einer Bedürfnis-Gesellschaft niemals erfüllt werden. Richtig unangenehm wird es bei Entscheidungen wie: Wer bekommt das verbliebene Essen und wer muss hungern?

Irgendjemand muss diese Entscheidung treffen. Ob es ein zentrales Komitee ist oder ob „demokratisch“ darüber abgestimmt wird, ist zweitrangig. Wichtig ist, dass über Bedürfnisse niemals objektiv abgestimmt werden kann. Bedürfnisse sind stets subjektiv. Es gibt keinen Maßstab, der jedes Bedürfnis einwandfrei bewertet. Hat man eine zentrale Verteilungsstelle, so ist Korruption und Machtmissbrauch Tür und Tor geöffnet. Die Freunde und Speichellecker der Elite werden mysteriöserweise immer am bedürftigsten sein. Und jemand der sich bei den Machthabern unbeliebt macht, etwa in dem er ihre Bedürfnisbewertung kritisiert, der wird seltsamerweise wenig Bedürfnisse haben.

Wie bekommt man also Güter in einer Bedürfnis-Gesellschaft? In dem man fleißig ist? In dem man anderen Menschen hilft? Nein, man bekommt nur dann Güter, wenn man Bedürfnisse hat. Will man seinen Lebensstandard erhöhen, so kann man nicht einfach besser oder mehr arbeiten, sondern man muss mehr Bedürfnisse haben. Der erbärmlichste Jammerlappen ist in einer Bedürfnis-Gesellschaft der reichste Mann. Der hinterlistige Simulant wird reicher als der ehrliche Arbeiter. Der verantwortungslose Tölpel wird reicher als der fleißige Handwerker. In einer Bedürfnis-Gesellschaft ist Elend die Währung.

Schon allein dadurch, dass man durch Probleme reicher wird als durch produktive Arbeit werden die Arbeiter sehr demotiviert sein. Doch es kommt noch etwas dazu: Wer über Fähigkeiten verfügt, wird ausgebeutet. Je fähiger, desto ärmer ist man, denn desto mehr wird von einem verlangt. Produktivität wird bestraft während Untätigkeit belohnt wird. In einer Bedürfnis-Gesellschaft ist der Fähigste der Ärmste, denn von ihm wird erwartet, dass er für all die Bedürfnisse der anderen aufkommt. Möchte man nicht vollends in der Versklavung landen, so hat man seine Fähigkeiten zu verbergen, man hat seine Arbeit so schlecht wie möglich durchzuführen, damit ja niemand Fähigkeit entdeckt: Denn sollte das passieren, so hat man um so mehr zu arbeiten. Jede Art von erbärmlichem und schädlichem Verhalten wird belohnt. Und alles, was tugendhaft und ehrlich ist bestraft. Die Menschen in einer Bedürfnis-Gesellschaft lernen einander zu hassen. Sobald jemand anderer ein Bedürfnis hat, bedeutet das, dass man selbst weniger bekommt, unabhängig davon, wie fähig man ist. Jeder wird zum erbitterten Feind um die wenigen Güter, die die unermüdlichen Fähigkeitssklaven noch produzieren. Jeder tut sein Schlechtestes, um im Wettbewerb des Elends zu gewinnen. Jeder hat so viele Bedürfnisse und so wenig Fähigkeiten wie möglich.

Eine solche Gesellschaft ist die Hölle. Sie ist sogar noch schlimmer als klassische Sklaverei, denn in der kann man seine eigene Situation zumindest geringfügig verbessern, in dem man fleißig ist. Doch in einer Bedürfnis-Gesellschaft darf man seinen Fähigkeiten keinen Lauf lassen, da man sonst weniger bekommt und mehr hergeben muss. Man ist gezwungen, das eigene Leben zu verschlechtern, um mehr Bedürfnisse zu haben. Absichtlich beklagenswert und abhängig zu sein bricht den Geist eines jeden Menschen. Davon profitieren, die eigenen Fähigkeiten zu verbergen und das eigene Elend in die Welt hinauszuposaunen zerstört die Selbstachtung. Nicht seinem schlimmsten Feind wünscht man, in der Hölle der Bedürfnisse leben zu müssen!

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Es ist doch recht einfach, man kann nicht dauerhaft von anderen erwarten, dass die alle meine Bedürfnisse erfüllen, muss man schon selbst tun, oder?
Und mehr Leistung muss eben auch dazu führen, dass man mehr seiner individuellen Bedürfnisse erfüllen kann, solange diese nicht krank, pervers oder gegen die Menschlichkeit sind.
Ein weites feld, das Du hier ansprichst, ich delegiere mal ein paar SP, damit mein Bedürfniss nach mehr so diskussionswürdigem Content von Dir erfüllt wird:)
BGvB!

Schreib mir einfach, welche Themen dich interessieren, dann schreib ich entsprechende Texte. ~λ

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Schreib einfach Themen, die Dir wichtig erscheinen, habe dazu 30 SP delegiert, so dass das RC Problem nicht groß Sein sollte:)
BGvB!