Wechselspiel auf höchster Ebene: Journalisten rücken immer wieder dankbar auf in die Korridore der Macht. Und manchmal kommen sie danach als unabhängige Berichterstatter zurück. |
Alle müssen zusammenstehen, gerade in diesen Zeiten. Kein Blatt Papier darf zwischen Berichterstatter und den Gegenstand ihrer Berichterstattung passen. Jeder muss bereitstehen, wenn Not am Manne ist, auch dort einzuspringen, wo er dringender gebraucht wird. Und niemand darf sich zu schade sein, übertragene Aufgaben selbst dann zu übernehmen, wenn es bereitzustehen, wenn sein Einsatz Außenstehenden auf den ersten oder zweiten Blick ein wenig nach Günstlingswirtschaft zu schnuppern scheint.
Ämtertausch im Hochparterre
Was muss, das muss. Wenn es draußen stürmt, bleiben die Fenster möglichst fest geschlossen. Und auch wenn es einen Augenblick lang komisch riecht und sich mancher demonstrativ die Nase zuhält. Die Geschichte hat immer wieder gezeigt, dass der längere Hebel immer den längeren Atem hat.
Es ist noch immer gut gegangen, sehr gut sogar. Warum also sollte Anna Engelke nicht Vizechefin des ARD-Hauptstadtstudios werden? Und dort gewährleisten, dass weiterhin unabhängig und unvoreingenommen über die Taten der politisch Verantwortlichen im Land berichtet wird? Nur weil die Mittfünfzigerin eben noch Sprecherin von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier war, heißt das doch nicht, dass sie nicht, dass sie nicht noch etliche Jahre beim "Wiederaufbau Europas" Ursula von der Leyen) und bei der "Erneuerung des Wohlstandes" (Robert Habeck) helfen kann.
An einem Strick
Deutschlands Neidgesellschaft aber springt sofort im Karree. Ausgerechnet Engelkes Kollegen, allesamt stets für zu leicht befunden, um wichtige Schaltstellen der noch besseren Erklärung der Regierungsmaßnahmen zu besetzen, empören sich darüber, dass ehemalige WDR- und nunmehrige NDR-Journalistin zwei Jahre nach ihrem Abschied aus dem Schloss Bellevue wieder näher an die Kammern der Macht rückt und aus nächster Nähe für Millionen Fernsehzuschauer Nutzen aus den in fünf Jahren an der Seite des früheren SPD-Politikers gewonnenen Insidererkenntnissen zieht.
Jedes Mal das gleiche Theater. Und das in beide Richtungen. Kaum hatte der als ARD-Journalist auftretende Michael Stempfle den kommenden Verteidigungsminister Boris Pistorius als einen "Vollblutpolitiker, der anpackt" gelobt, saß er schon als dessen Sprecher im Verteidigungsministerium. Länger warten musste Steffen Hebestreit, der die Geschehnisse auf der Berliner Bühne jahrelang unparteiisch kommentierte, ehe er von der damaligen SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi, heute DGB-Chefin, eingestellt und später von Bundeskanzler Olaf Scholz als Regierungssprecher bestallt wurde.
Nachwuchsakademien für die Pressestellen
Bei der Taz, beim Spiegel, bei SZ, ARD und beim ZDF werden die Nachwuchsschulen der deutschen Politiksprecherei unterhalten, aus denen die größten Talente in die Champions League wechseln, wo sie sich das Rüstzeug holen, anschließend alles zu können. Manchen zieht es dann in die Diplomatie. Manchen wieder zurück zum geliebten Blatt, in den geliebten Sender. Im Weg stehen ihnen immer Divisionen von Neidern und misstrauischen Systemgegnern, die in jedem Zusammenwirken von Politik und Medien einen Versuch wittern, unliebsame Details der "uns umzingelnden Wirklichkeit" (Robert Habeck) auszublenden.
Doch es sind zum Glück nicht diese Kreise mit ihren Vorwürfen von "unvereinbarer Regierungsnähe", die den Kurs bestimmen. Ungeeignet ist jemand nicht, weil er oder sie zeitweise direkt und unmittelbar "Teil des politischen Systems" war, "das sie oder nun kritisch beobachten soll". Dass Staat, Parteien und Medien klar voneinander getrennt sein sollten, ist eine Forderung von ähnlicher Anmaßung wie die, dass Sportreporter nicht mit Spielern, Trainern und Vereinsvorständen kumpeln dürfen.
Kritische Geister in der Morgenlage
Nur weil jemand als unabhängiger Journalist*in so kritische Analysen, Reportagen und Kommentare geliefert hat, dass ein Minister, Bundeskanzler oder Bundespräsident sich sagt, so ein kritischer Geist soll mir in Zukunft schon in der Morgenlage widersprechen, ist er doch nicht unfähig, nach seinem Abschied aus den Behördenkorridoren immer noch so weiterzumachen, nun eben wieder auf der anderen Seite der Barrikade zwischen erster und vierter Gewalt. Das zeugt von Durchlässigkeit und davon, dass das Abrutschen in die Politik nicht für immer sein muss und ein Zurück möglich ist.
Dass der Eindruck von Regierungsnähe und Kungelei, der dabei zweifellos entsteht, die Entscheidungsfindung nicht beeinträchtigt, spricht für das reine Gewissen, das die Verantwortlichen haben: Nicht einmal der Gedanke ist ihnen gekommen, dass die Ernennung der Pressesprecherin eines Politikers zur Moderatorin des "Bericht aus Berlin" im Ersten bei Wohlmeinenden den Eindruck einer "zu großen Nähe zwischen öffentlich-rechtlichen Journalist:innen und der Politik" wecken könnte. Und bei weniger Nachsichtigen als weiterer Beleg für den engen Schulterschluss gilt, der zwischen der Macht und denen herrscht, die sie eigentlich kritisch beobachten sollen.
Ist der Ruf erst ruiniert
Hier gilt die Unschuldsvermutung, auch wenn der Verdacht naheliegt, dass der Eindruck den die Ernennung Anna Engelkes in der Öffentlichkeit erwecken musste, einfach keine Rolle spielt, weil er auf der Ebene der "Intendantinnen und Intendanten der ARD" (ARD) als unwesentlich gilt. Als "Gemeinwohlmedium", das seit dem Fall Schlesinger jede Rücksichtnahme auf den eigenen Ruf abgelegt hat, ist das Erste Deutsche Fernsehen keineswegs verpflichtet, sich um die Folgen ihrer Personalentscheidungen zu scheren. Am Ende steht Anna Engelke im Regen, ein Symptom, das für das Problem gehalten wird.
Das erinnert mich ein bisschen an Steffen Seibert und das ZDF. Der schaffte damals den fliegenden Übergang vom Heute-Journal zum Regierungssprecher, unter Angela Merkel. Dem entsprechend kann man wohl mutmaßen, dass dort eine gewisse Nähe bestanden haben muss. Oder eben einen handfesten Interessenkonflikt, als Seibert schon wusste woher der Wind wehen wird und gleichzeitig seiner "unabhängigen" Tätigkeit im ÖRR nachging. Das war selbst für das staatsnahe ZDF irgendwie draufgängerisch, interessierte aber niemanden.
Seiberts langjährige Anstellung als Auslandskorrespondent in Washington D.C. wird auch nicht geschadet haben, im Bezug auf Angela Merkels eigene Nähe zu den Amerikanern. Siehe zum Beispiel ihre damalige Mitgliedschaft in der Atlantik-Brücke, oder als sich als Oppositionsführerin von der Schröder-Regierung distanzierte und einen Artikel in der Washington-Post schalten lies, der behauptete Schröder würde mit seinem Nein zum Irakkrieg nicht für alle Deutschen sprechen.
https://www.washingtonpost.com/archive/opinions/2003/02/20/schroeder-doesnt-speak-for-all-germans/1e88b69d-ac42-48e2-a4ab-21f62c413505/
Später betonte Merkel auf Nachfrage hin sie wäre niemals für den Krieg gewesen, was im Kontext des Artikels wohl als harte Lüge gesehen werden kann. Eine von vielen, meiner Meinung nach.
Die Atlantik-Brücke ist im Kontext des ÖRR tatsächlich interessant, weil eine mittlerweile berüchtigte Folge der Satire-Sendung "Neues aus der Anstalt" zensiert wurde, nachdem die angebliche Verflechtungen dokumentierte und eine Befangenheit unterstellte.
Wie dem auch sei. So wie ich es verstehe scheint das Zensur-System im ÖRR weitesgehend eher subtil zu funktionieren. In dem Sinne, dass keine klassischen Zensoren die Flure hoch und runter gehen, sondern durch das Vorhandensein einer internalisierten Selbstzensur. Soll heißen, die Implikation ist vorhanden und jedem Angestellten steht es frei dieser zu folgen. Die potenziellen Abweichlern machen so gesehen einfach keine Karriere.
WDR-Intendant Tom Buhrow verneinte übrigens das Vorhandensein einer Zensur, im Zuge einer Fragestunde, und schob daraufhin halb-gemurmelt ein, dass es in den Reaktionen natürlich gewisse "Reinigungsprozesse" gegeben würde. Details nannte er aber keine. Ich denke, dass dort die oben erwähnten Filtermechanismen greifen, in deren Zuge wohl ein Teil der Verbleibenden tatsächlich an das Narrativ der angeblichen Unabhängigkeit glaubt, weil es eben deren Meinung entspricht. Aber letztendlich handelt es sich um einen Korpsgeist.
Wir werden die Beiträge erhöhen, dann werden die Störungen ausbleiben.
TBK.