Der 2. Teil einer Provinzposse
Wer den ersten Teil der Erzählung verpasst oder den Inhalt bereits von der inneren Festplatte gelöscht hat, kann sich unter dieser Adresse wieder auf den Stand der Dinge bringen lassen: Teil 1 einer mittelprächtigen Sensation
Die Stimmung wird langsam aber sicher immer angespannter. Ich glaube, man hat einfach keine Lust mehr, sich ständig mit meinen Einwänden herumzuschlagen. Deshalb geht’s jetzt in den neu eröffneten Tempel des guten Geschmacks gleich um die Ecke. Um nicht als Spielverderber dazustehen, übergehe ich alle Bedenken und stehe jetzt vor dem Schrank, in dem an jedem Kleiderbügel und auf allen Regalböden eine Frage zu kleben scheint, die sich nicht beantworten lässt.
Jeans, Hemd und Jacke? Jeans und T-Shirt oder Jeans in Kombination mit dem von Mama gestrickten Pulli? Seit mehr als einer Minute verweile ich inzwischen reichlich unentschlossen vor dem angel-weit geöffneten Kleiderschrank und summe leise vor mich hin, die Hymne der finalen Verzweiflung. Wirkliche Glücksgefühle kommen nur auf, weil von den Füßen bis knapp unterhalb des Bauchnabels das Thema Einkleidung abgeschlossen scheint. Das Paar Schuhe für den Abstecher in die Zivilisation war rasch gefunden, da ohnehin lediglich zwei Paar greifbar sind. Einmal flach und dann noch die halbhohe Version für das extrem nasse Terrain. Zum jetzt anstehen Event sind daher die flachen Treter angesagt, da ich, obwohl Lenalux im Feuerwehrgerätehaus ansässig, keine Überflutungen bis zu den Fußknöcheln erwarte.
Das eigentliche Problem scheint sich allerdings ganz woanders ein gemütliches Zuhause eingerichtet zu haben. Nämlich meine sich nicht zu vermindernde Unlust, mich von Pommes, Čevapčići, gebratenem Schweinebauch und ungenießbarem Salat in den kulinarischen Wahnsinn treiben zu lassen. Warum wird mir von der vor Neugier fast platzenden, familiären Übermacht verwehrt, ganz gelassen ein Päckchen vollgepackter Lügen vom Wunschbaum zu pflücken, um den Dorftratsch mit dem aufzufüllen, was jeder ohnehin bereits zu wissen glaubt. „Besser als bei Lenalux wirst du dich nirgendwo sättigen können.“
Eine klitzekleine Lüge meinerseits, die niemandem Schaden zufügt und darüber hinaus nur schwerlich als solche zu enttarnen ist. Ich kann mir meinen Nachbarn Josip realitätsnah vors Auge ziehen, wie er in mit Kuhmist imprägnierten Schuhen und verschränkten Armen auf dem Dorfplatz stehend, mir fast mitleidsvoll zulächelt und mich dabei wissen lässt: „Habe ich dir nicht gleich gesagt, dass du dort so richtig lecker essen kannst. Den Abstecher dorthin hättest du dir also getrost sparen können.“ Recht hat er, der Josip. Aber leider nur in meinem Wunschtraum.
Anstatt als Lügenbaron Karriere zu machen, versucht man mich mit zukunftsorientierten Prognosen positiver zu stimmen. „Du wirst sehen, die Abwechslung wird dir richtig guttun. Erstens siehst du mal wieder andere Gesichter, hörst vielleicht ein paar Dinge, die du so nicht erfahren würdest, und um das schmutzige Geschirr muss sich auch keiner kümmern.“ Ich frage mich nur, wo sich in dieser Prognose der aufbauende Moment versteckt hat? Allein der Gedanke, dort, umgeben von Salz, Essig und Pfefferstreuer, auf das Großmaul zu treffen, der mir mit seinem Geschwätz im Gemischtwarenladen der Genossenschaft in aller Regel auf den Geist geht, treibt meine Nackenhaare in Aufruhr. Möglicherweise macht er auf dem Weg zu seiner eingedeckten Tafel auch noch einen kleinen Abstecher (mitsamt seiner debilen Entourage) an unserem Tisch vorbei, nur um einen seiner ausgelutschten Sprüche ungebeten neben meine Serviette zu legen. Das hält dann auch die stabilste Sahnesoße nicht aus und zerlegt sich spontan in ihre »Einzelteile«.
Auf jeden Fall bleibt dem Himmel nicht mehr viel Zeit, sich aufzutun, damit der Hausmeister dort oben mir eine Strickleiter zur Fluchthilfe herabsinken lässt. Ich befinde mich nämlich bereits im Aufstieg zum Tempel der allseits prophezeiten kulinarischen Glückseligkeit. Doch anstatt meiner auf Sparflamme lodernden Laune mehr Treibgas beizumischen, zähle ich wie hypnotisiert die Treppenstufen. Vom Asphalt bis zum Podest vor der Eingangstür sind, es sage und schreibe, achtunddreißig betonierte Hürden, die bewerkstelligt sein wollen. Weder meistern diese Herausforderung nach oben stocknüchterne Menschen mit einer Behinderung im Bewegungsapparat, noch der Besoffene spät in der Nacht mit verknoteten Beinen bis ganz nach unten. Vielleicht hilft die Feuerwehr mit der Drehleiter oder dem Sprungtuch aus?
Die letzte Stufe erklommen, blinkt mir eine schriftlich hinterlasse Aufforderung entgegen, die mich noch nachdenklicher werden lässt. »Guraj« steht da schwarz auf weißes Plastik gedruckt. Für alle „Nichtbalkanesen“ sei gesagt, dass dieses Wort dazu einlädt, den Türgriff nicht zu ziehen, sondern zu drücken. Kein Problem. Trotzdem ist es mir vollkommen neu, wenn eine Kneipentür in Richtung Gastraum geöffnet wird. Wer sich von Lenalux und vom Alkohol tief in der Nacht verabschiedet (aus welchem Grund auch immer), torkelt mit Sicherheit nicht in Richtung Ausgang, um sich bei einem plötzlich doch recht komplizierten Unterfangen, wie das Herbeiziehen eines Türflügels, selbst einklemmen zu wollen. Der Drang nach draußen in Richtung Frischluft muss stets mit einem Sturz auf die Türklinke gewährleistet sein.
Kaum stehe ich in dem verhältnismäßig kleinen Raum, der oft auch als Empfangs-Lounge bezeichnet wird, also dort, wo Gäste auf den Rest der Sippschaft warten oder nach dem Essen in weiser Voraussicht noch schnell der Magenbitter heruntergespült wird, wünsche ich mir nichts sehnlicher als einen sofortigen Ohnmachtsanfall. Der Grund für diesen Herzenswunsch wird gespeist von den Klängen, die aus dem eigentlichen Restaurant zu meinen Ohren vordringen. Ein Akkordeon (Schifferklavier, Quetschkasten) und zumindest eine Gitarre begleiten eine männliche Stimme, die sich an der Sorte Lieder abmüht, bei denen eine Ohnmacht gerechtfertigt scheint. Meine Frau weiß exakt, was sich in meinem Kopf abspielt, ergreift meine Hand und sagt: „Stell‘ dich nicht so an. Es wird dich nicht umbringen.“
Sie kennt meine Wünsche nicht …
Es haben sich gar zwei Gitarristen eingefunden. Was das Repertoire noch die Performance des Trios hin zum Erträglichen beeinflusst. Kaum die Stühle gerückt und in sitzender Position, mit freier Sicht auf die weiße Tischdecke und die unverwüstliche Menagerie, nähert sich auch schon die Servicekraft mit einem breiten Lächeln und den Speisekarten.
Darf man überhaupt noch Servicekraft sagen?
Heutzutage blickt da doch niemand mehr durch. Kürzlich befand ich mich in Geberlaune und verteilte das Kompliment an meine Haar-Designerin mit den Worten: „Dir als Friseuse, kann so schnell niemand das Wasser reichen.“ Anstatt direkt im Anschluss an meine Verkündung mir einen Preisnachlass in Aussicht zu stellen, überkamen mich panische Ängste bezüglich meines Skalps. Alles deutete darauf hin, dass die Furie mir im nächsten Moment die Kopfhaut abzieht. „Friseurin heißt das. Ich bin doch keine Amateur-Nutte!“
Zum klassischen Bild fehlte nur noch der Schaum vor dem Mund. Während meine Gedanken sich bei der Amateur-Nutte verhakten, bestäubte die Friseurin weiter meinen Hinterkopf mit Verfluchungen.
Das Studium der Speisekarte kann ich mir ersparen, da ich das fünf bedruckte Seiten umfassende Manifest bereits mehrfach am Schreibtisch durchstöbert habe. Ich klappe das Plastikteil trotzdem auf, nutze allerdings die Gelegenheit, über den Rand hinweg das Terrain zu erkunden. Der Gastraum verbreitet für mich den Charme eines Lagerraums. Viel Höhe, noch mehr Breite und die Behaglichkeit einer Bahnhofsvorhalle. Hier wurde offensichtlich kein Aufwand gescheut, den Raum so ungastlich wie möglich zu halten. Die anderen Gäste beobachtend, kommen mir allerdings Zweifel auf, ob ich nicht doch zu kritisch mit meiner Beurteilung bin? Da wird sich bestens und vor allem lautstark unterhalten, weil man wohl die Musik zu übertönen versucht oder es wird gespeist und mit halb vollem Mund noch ein paar Textzeilen mitgesungen.
Den letzten Strohhalm zum Greifen nah, schaufele ich mir Zuversicht bei, da bei einer niedrig geschraubten Erwartung eine positive Wendung einem Feiertag gleichkommt.
Der erhoffte Feiertag entpuppt sich als Volkstrauertag. Ein Blick auf den Teller, der vor mir steht, lässt definitiv keine andere Deutung zu. Der von mir georderte Fischteller kann zwar als Teller eindeutig identifiziert werden. Was allerdings den Fisch betrifft, dahingehend suche ich noch nach den passenden Vergleichen und noch intensiver nach Worten. Hier ist rein gar nichts auszumachen, was nicht zuvor in der Küche durch eine Mehlpampe und im Anschluss durch das heiße Frittierfett gezwungen wurde. Ganz beiläufig wird mir zudem veranschaulicht, dass der Tintenfisch in Wahrheit ein Fisch und keine Meeresfrucht ist, wie ich es bis jetzt fälschlicherweise annahm.
Danke, Lenalux, für die Aufklärung.
Ein Teilstück einer Zitrone und etwas Undefinierbares, was aber als Sauce-Remoulade dargeboten wird, setzten dem ganzen Desaster die Krone auf.
Eines ist jetzt schon so sicher wie das Amen in der Kirche – das Thema Lenalux werde ich möglichst über einen längeren Zeitraum hinweg vom Themenkatalog des Dorftratsches versuchen fernzuhalten. In mir würden sich augenblicklich furchtbare Erinnerungen wieder eine Plattform suchen, während der gesamte Rest aus der Nachbarschaft mich mit Mitleid überschüttet, da ganz offensichtlich scheint, dass meine Geschmacksnerven ihren Dienst verweigern oder mir bereits ins Grab vorab geeilt sind.
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