Schauplatz: Haargenau dort, wo sich Fuchs und Hase »Gute Nacht« sagen.
Diese Nachricht breitet sich aus wie ein Lauffeuer:
„Im Dorf öffnet ein Restaurant seine Türen.“
(Nein, von mächtigen Pforten kann auch beim besten Willen keine Rede sein.)
Den Vergleich mit dem Lauffeuer verwende ich nicht ausschließlich, weil der Begriff sich umgangssprachlich sowie flächendeckend etabliert zu haben scheint, sondern, in diesem speziellen Fall, ist er der Tatsache geschuldet, dass die Räumlichkeit sich im örtlichen Feuerwehrgerätehaus befindet. Um es auf den Punkt zu bringen: Das Gasthaus erstreckt sich über das gesamte Stockwerk, unter dem die fahrbaren Untersätze der Spritzenmänner geparkt sind.
Bevor ich jedoch das Restaurant in den Fokus rücke, verweilen wir für einen Augenblick bei dem besagten baulichen Objekt, welches nahezu mittig im Dorf zu finden ist. Somit noch zentraler liegend, als das (im Vergleich zu einem Bauernhaus) fast schon monumentale Gotteshaus. Wahrhaftig bemerkenswert in einem Land, welches sich selbst, als »vom Katholizismus geprägt« bezeichnet. Möglicherweise noch gewichtiger der Umstand, dass zwei der letzten drei Kardinäle aus den Randbezirken des Dorfes stammen und einer von ihnen zudem vom polnischen Papst »selig« gesprochen wurde. (Was immer dieses Ritual für das Leben danach auch bedeuten mag.)
Aber (welch weltliches Wunder), das Gebäude der Feuerwehr konnte seine zentrale „Stellung“ bis heute bewahren – trotz mehrfach korrigierter Bebauungspläne seitens des Ortsrates. Möglicherweise sollte auch der Umstand nicht ohne Erwähnung bleiben, wie der Stellenwert einer Freiwilligen Feuerwehr auf dem Balkan (in diesem Fall Kroatien) einzustufen ist. Dieser, meist „bunt zusammengewürfelte Haufen“, ist eine feste und über die Dorfgrenzen hinweg, unantastbare Institution. Nicht nur, weil sie vornehmlich zügig anrückt, wenn vom Frühjahr bis in den späten Herbst hinein der Bauer das Feuerzeug der Sense vorzieht, um seinen Grünflächen einen neuen »Look« zu verleihen.
Noch gewichtiger die Tatsache, dass das jährlich abgehaltene Feuerwehrfest ein absolutes „Muss” für Alt und Jung darstellt. Spanferkel, Lamm am Spieß, Kuchen und Alkohol bis zum Abwinken sind dabei nicht wegzudenkende Bestandteile der Sause. Aber mindestens ebenso beliebt – die unvermeidliche Blechmusik, da nahezu jede Freiwillige Feuerwehr auch eine Musikkapelle „in sich“ beherbergt.
Und ab jetzt, bei mir vor der Haustür – Auch noch ein Restaurant.
Verantwortlich für die Abläufe innerhalb dieser kulinarischen Anlaufstätte ist die Tochter eines ortsansässigen Bauern, der aus der Milch seiner Kühe täglich die verschiedensten Käsesorten herstellt und die Endprodukte auf Märkten oder im eigenen Hofladen anbietet. Für den unbefangenen Betrachter dieser Konstellation scheint dies wie »Faust auf Auge« zu passen. Der kleine Haken an der Sache verdankt seine labile Stabilität dem Umstand, dass ich den Käse mehrfach probierte und ihn (trotz bester nachbarschaftlicher Beziehung mit dem Erzeuger) schlicht und einfach als festen Bestandteil der geschmacklichen Langeweile abstempele.
Ob nun zumindest die Tochter in der Lage sein wird, meine sensiblen Geschmacksnerven in eine Art Freudentaumel zu versetzen, das wird sich in Kürze herausstellen.
Der von mir zusammengerufene Familienrat hat nämlich einstimmig beschlossen, das Abenteuer eines Restaurantbesuches schnellstmöglich in Angriff zu nehmen, damit man beim Small Talk im Dorf sich nicht weiter als Blinder benimmt, der sich wortgewaltig über die Spektralfarben auslässt.
Anka, die Besitzerin der kleinen Mühle, welche ohne das alte Mühlrad seit Jahren ein zahnloses, tristes Dasein fristet, ist hier bereits einen Schritt weiter. Gestern ließ sie meine Frau wissen, am Abend einer Einladung in das neue Etablissement zu folgen. Anstatt preiszugeben, von wem dieses großzügige Angebot stammt (was mich persönlich brennend interessiert hätte, denn wer hält es einen langen Abend mit ihr aus?), verkündigte sie lieber, was auf ihrem Teller landen wird. Eine Forelle soll es sein, von der im Anschluss nur noch Kopf, Schwanz und Gräten zurück in die Küche wandern können.
Vergleichbar mit Papas Käse hat auch der räuberische Süßwasserfisch einen kurzen Anreiseweg bis zur (in diesem Fall) Schlachtbank. Der Fischweiher (mit angeschlossener Zuchtstation) liegt keine drei Kilometer außerhalb des Dorfes und erfreut sich bei Ausflüglern einer mittelprächtigen Beliebtheit. Passabel bis saumäßig aus dem Grund, da den Ortsansässigen nicht der Ruf als enthusiastische Wanderleute vorauseilt und Touristen lieber das Gotteshaus als das Gewässer ansteuern. Zumal die Massentaufe in dieser Region auf keine existierende Tradition zurückblicken kann. Aber offenbar rechnet sich das glitschige Unterfangen dennoch – wahrscheinlich, weil die gezüchteten Fische im Umkreis von mehr als dreißig Kilometern an jedem Freitag (wie der Käse) auf den Marktplätzen angeboten werden.
Der Faktor, vorab bereits verkünden zu können, was am Abend vertilgt werden soll, legt somit die Vermutung nah, die Speisekarte gelassen und ohne Zeitdruck (der sich automatisch im Restaurant aufbaut, wenn ein Kellner neben dem Tisch steht und nervös von einem auf das andere Standbein schaukelt) am heimischen PC-Monitor zu durchstöbern. Kaum diese Vermutung der körpereigenen Denkfabrik zur Bearbeitung überlassen, öffnet sich auch das digitale Dokument der kulinarischen Verheißung.
Als Willkommen-Häppchen (auch Amuse Gueule genannt) wird mir endlich der offizielle Name der Pilgerstätte serviert: »Lenalux«. Zweierlei stößt mir hierbei refle(u)xartig auf: Wieso stolpern meine Gedanken spontan zu Annalena Baerbock und wo hat man in der Geschäftsführung bezüglich der Namensgebung das „X“ aufgetrieben, das es im kroatischen Alphabet überhaupt nicht gibt? Schwamm drüber! Ich sollte mich besser auf das Wesentliche konzentrieren – und das sind die Zeilen auf der Speisekarte, an deren Ende stets ein Euro-Betrag verzeichnet ist.
Die Genuss-(B)Fibel eröffnet mit den Vorspeisen und schließt ab mit den Desserts. Dazwischen tummeln sich Verheißungen, die entweder aus dem tiefen Teller gelöffelt, unter Zuhilfenahme der Hände dem Mund nähergebracht oder mit Messer und Gabel passgerecht klein geschnippelt werden. Beim Pfannkuchen mit Vanilleeis und Sauerkirschen angekommen, frage ich mich, wo beim Studium des Dokuments meine noch anfänglich lebhafte Euphorie verblieben ist? Wurde sie beim Bohneneintopf mit heimischer Wurst von Darmblähungen heimgesucht oder rutschte sie auf dem Käsebelag der Pizza Margherita aus und zog sich einen Bänderriss im Sprunggelenk zu?
Eines scheint unzweifelhaft – sie hat sich spürbar aus dem Geschehen verabschiedet.
Ich möchte an dieser Stelle überhaupt nicht verheimlichen, dass es ein Restaurantbetreiber mit mir als Gast nicht immer leicht hat. Dabei (so zumindest meine Sicht auf die Dinge) sind meine Anforderungen keineswegs übertrieben oder gar als überzogen zu bezeichnen. Bei einem solchen Kaufvertrag erwartet der „Anbieter von unvergesslicher Gastfreundschaft“ von meiner Seite, dass ich seine Leistung auch bis auf den letzten Cent nach der Kommastelle vor dem Verlassen des Tempels begleiche (ihn vergüte). Ich gehe lediglich davon aus, dass meinen Erwartungen entsprochen wird und ich mich an einer Speisefolge erfreuen kann, die ich so am heimischen Herd nie und nimmer hinbekommen kann. Verlange ich damit das Unmögliche?
Diesen Vorgaben und der sich daraus ergebenden Logik folgend, würde ich also nie ein Restaurant betreten, um kurze Zeit später auf ein Wiener-Schnitzel, industriell vorgegarte Pommes, eine salzige Sardelle, eine Zitronenscheibe und einen Salat im Essigbad blicken zu wollen. Unberücksichtigt die Tatsache, dass ich Fleisch ohnehin nicht sonderlich spannend finde. Das Service-Personal darf nicht aufdringlich wie die Verkäuferin bei Deichmann sein, dennoch so kompetent und aufmerksam, dass das doppelarmige Rudern oder ein Pfiff durch gespitzte Lippen überflüssig bleibt. Gleichzeitig sollten sie mir aber auch nicht auf der Pelle hängen und sich so erhaben fühlen, mir vorzuschreiben, wann mein Glas nachgefüllt werden sollte. Bei solchen Handlungen neige ich dazu, dem Übereifrigen zu raten, doch lieber im Hintergrund das Besteck zu polieren oder seine ledernen Laufschuhe neu zu besohlen.
Jetzt wird mir vor der Haustür ermöglicht, dem heimischen Herd eine Auszeit zu gönnen, trotzdem kulinarischem Genuss zu frönen und dem Hungergefühl schrittweise das gierige Maul zu stopfen. Das klingt spannend – aber mir geht nicht nur die Euphorie flöten, sondern »Lady Tristesse« hat es sich im Flaum meiner Nackenhaare gemütlich eingerichtet. Diesen inneren Strömungen, die mich unweigerlich ins Bad der Frustration schwemmen werden, muss mit aller Macht entgegengesteuert werden. Denn bereits zu diesem Zeitpunkt das Besteck lustlos zur Seite zu schieben, käme einer kleinen Katastrophe gleich. Eine Art von Selbstisolation. Ich würde mich von null auf hundert in die Position des Außenseiters beim Dorftratsch manövrieren, da ich nichts Verwertbares beizusteuern habe, wenn es um »Lenalux« geht.
Und augenblicklich scheint es kein anderes Thema zu geben.
In solch zerfahren anmutenden Situationen kann eine zweite Meinung vergleichbares wie ein kleines Weltwunder bewirken. Da unzweifelhaft in dem vorangegangenen Satz die Betonung auf das Verb „kann“ ausgerichtet ist, bleibt mir keine andere Wahl, als den Versuch zu starten, um dem positiven Denken eine Chance einzuräumen, um danach jegliche Deklination von „können“ zu löschen.
Wer eignet sich für kleine bis mittelgroße Phänomene besser als meine Frau? Für die unfassbaren, also die ganz großen Wunder, sollen doch die mit den komischen Hüten im Vatikan zuständig sein. So wurde es mir zumindest zugetragen. Die Schatulle mit eigenen, sorgfältig einsortierten Erfahrungen aus jener Quelle ist bei mir allerdings noch immer verwaist. Ganz im Gegensatz zu der, in der ich die gut gemeinten Ratschläge meiner Frau regelmäßig einsortiere.
Nicht der unterwürfige Gang nach Canossa ist vonnöten. In diesem Fall erweist sich die Überstellung der Bitte in Sachen »Lenalux« (mit der Dringlichkeitsstufe 1 im Anhang) als Spaziergang. Vom Zimmer mit der großen Couch, in der man nicht nur auf und zwischen Kissen, sondern auch ausgiebig zwischen und in Buchseiten versinken kann, sind es lediglich fünf Meter bis zum Schreibtisch. Diese Distanz überwindet die Herzdame im Eiltempo. Sie wirft einen Blick auf den Bildschirm des Monitors und erwartet von mir so etwas, wie eine Antwort auf die Frage, mit der sie mir vor meinem noch immer ungläubig dreinschauenden Blick herumwedelt.
„Was willst du jetzt von mir hören?“ Wenig überraschend schiebt sie dann doch lieber die Antwort gleich nach. „Wir gehen dorthin und essen was. Danach haben wir mit Sicherheit noch genügend Zeit, Bilanz zu ziehen.“
Wieso schaffen es manche Menschen, ohne größere Umleitungen zu nutzen, mit nur wenigen Wörtern den »Laufenden Keiler« zu erlegen, während ich mich noch von Gebüsch zu Strauch quäle, um zum richtigen Absch(l)usspunkt zu gelangen? Aber mit dieser Direktive im Ohr wirkt die Speisekarte plötzlich sogar noch bedrohlicher auf mich. Da der Restaurantbesuch eine beschlossene Sache zu sein scheint, fühle ich mich augenblicklich von eingekochten Bohnen, Hackfleisch in fettigen Brötchen und lappigen Pfannkuchen umzingelt. Sie alle gieren nach Verkostung und anschließender guter Beurteilung. Dieser Gang könnte zwar weder in Canossa noch auf dem Schafott – aber (in Betracht ziehe ich es auf jeden Fall) in der Notaufnahme enden.
Ich ziehe Zwischenbilanz: Begeisterung für mittelprächtige Sensationen sollte sich anders anfühlen!
Der 2. Teil wird folgen. (Wenn ich lebend aus der Sache herauskomme.)
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