Selbstgespräch (?) am Friedhof

in Deutsch D-A-CH4 years ago

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Quelle: bestattungsinfo.at

Der Friedhof ist der einzige Ort, wo man flüchten kann. Flüchten vor der Stadt. Die Stadt ist das Gefängnis, der Friedhof ist mehr oder minder eine Art Ausgang. Der Friedhof ist leer, da ist nichts, nur Steine und Raben, die spüren, dass irgendwo tief in der Erde Verwesung stattfindet. Ein biologischer Prozess. Die Toten, die leben nicht hier. Die Seelen sind zuhause oder wandern, am Friedhof verweilen sie nicht.

Es ist ein Fehler zu denken, dass der Körper nur eine Hülle ist, dass er nichtig ist, und das Einzige, das zählt, die Seele ist. Das stimmt so nicht. Denn tatsächlich kann nur in einem vor Kraft strotzenden Körper eine starke Seele wohnen. Welche Seele will hier verweilen. Keine. Steine, zerbrochene Stücke, wertlos. Nichts hält sie hier. Den Raben geht es gut, sie haben ihre Ruhe von der Stadt. Mir geht es gut, ich habe meine Ruhe von der Stadt.

Ewiges Elend in der Stadt, Freiheit auf dem Friedhof. Das ist eine Parole! Die Stadt ist krank. Ich blicke runter über den Hügel, über die Gräber. Ich blicke an den Horizont und sehe eine graue Stadt, Fabriken, Abgase, die Schnellbahn fährt, kreischend und stört die Ruhe.

Hier ist Frieden. Aber nein, nicht weil hier jemand ruht, sondern weil hier der einzige Ort ist, wo ein paar Pflanzen, ein paar Bäume wachsen können. Man sieht, dass Menschen hier lebendig werden. Sie spüren die stärksten Emotionen, die ein Mensch fühlen kann, wie die Liebe, Trauer und Wut. Das ist die menschliche Natur. Also treffen die außermenschliche und die menschliche Natur auf dem städtischen Friedhof zusammen.
Die Raben sitzen in den Bäumen und schreien. Ab und zu fliegen sie auf den Boden, um mit ihren spitzen Schnäbeln in die Erde zu hacken. Hin und her fliegen sie von Grab zu Grab, die Übermittler der alten Botschaft. An wen, bleibt die Frage.

Der Friedhof ist ein richtig schöner Ort, hier gefällt‘s mir am besten, wenn ich in der Stadt bin. Wenn man in der Stadt wohnt, ist es gut, wenn man es nicht weit zum Friedhof hat.
Die Menschen, die hier liegen, sind Christen. Das heißt, sie verstehen die Welt nicht. Aber das ist nicht ihre Schuld. Das ist die Schuld jahrelanger Indoktrination, dem Raub der Geister. Sind das gute Menschen? Das weiß ich nicht, wahrscheinlich nicht. Die meisten Menschen sind nicht gut.

Ich muss jetzt aufhören. Ich versuche jetzt den Raben zuzuhören und ihnen zu folgen.