Die Ehe samt ihren Pflichten / Marriage, including its obligations

in Freewriters10 days ago

Zwar nirgendwo manifestiert – aber jeder weiß Bescheid!

the English version you find below

Bei meinem morgendlichen Spaziergang durch das frisch gefallene Laub im europäischen Blätterwald entdeckte ich eine Meldung, die meine Aufmerksamkeit augenblicklich in die Höhe schnellen ließ.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg kassiert Urteil in Scheidungsfall.

Nein, es war nicht die gewöhnungsbedürftige Verwendung der doppelten Präposition »in«, sondern vielmehr die Tatsache, dass es jemandem so wichtig zu sein scheint, das eheliche Tischtuch zu zerreißen und dafür die Wanderschuhe anzieht, um durch alle juristischen Instanzen bis hinauf zum EGMR zu marschieren. Meiner spontanen Einschätzung nach war ich mir ziemlich sicher, dass ich beim Lesen des Artikels mit einem Menschen konfrontiert werde, dem es vielleicht an vielem mangelt, aber ganz sicher nicht an Geduld.

Wer sich nicht voller Überzeugung und frühzeitig für das Leben als Eremit entscheidet oder grundsätzlich einen weiten Bogen um Zweibeiner macht, dem wird im Laufe seines Daseins mit Sicherheit die eine oder andere Episode aus einem Scheidungsdrama zugetragen worden sein. Wenn nicht, dann hat man kurzerhand ein solches Schauspiel selbst inszeniert. Als die beliebtesten Requisiten auf einer solchen Bühne gelten allgemein Redewendungen aus dem Arsenal mit dem schlechten Geschmack und zumeist rekrutiert von weit unter der Gürtellinie. Auch recht beliebt, sind der handelsübliche Schlamm und das Aufpolieren alter Geschichten im vom eigenen Groll geprägter Interpretation.
Obwohl mir oft das Gegenteil vorgeworfen wird, habe ich mich innerlich dennoch mit der Tatsache angefreundet, stets noch etwas dazulernen zu können. Dabei hat sich die Fähigkeit als durchaus hilfreich erwiesen, lesen zu können. Was lag somit näher, als mich den Zeilen zuzuwenden, die ein Redakteur oder eine Nachrichtenagentur für nahezu jedermann weltweit zugänglich veröffentlicht hat?

Wo zum Teufel und wer in Herrgotts Namen lässt sich überhaupt scheiden? Vielleicht ist die ganze Chose auch längst abgeblasen, weil die Richter die Notwendigkeit eines Rosenkrieges auf schlechtem Nährboden nicht für gegeben halten? Oder werden vorsichtshalber ab sofort UN-Blauhelme am heimischen Küchentisch stationiert?
Die Überschrift des Zeitungsartikels vertreibt erste Eiweißflocken aus der noch trüben Scheidungsbrühe. Urteil EGMR.
Die Angelegenheit spielt sich nämlich in Frankreich ab, wo 2019 ein Gericht in Versailles einem Mann das Recht zusprach, sich von seiner Ehefrau scheiden zu lassen, da diese sich seit sage und schreibe acht Jahren weigerte, ihren ehelichen Pflichten nachzukommen. Die Argumentation der Frau, sie sehe durch das ständige Drängen auf Pflichterfüllung des Ehegatten ihre Privatsphäre verletzt, fand bei den Richtern kein offenes Ohr.
Wir halten fest: Sie ist ihren ehelichen Pflichten nicht nachgekommen.

Was um Himmels willen sind eheliche Pflichten? Die Nachtruhe grundsätzlich auf der hauseigenen, mit Höhen und Tiefen versehenen Matratze zu verbringen? Den Müll ordnungsgemäß zu trennen und anschließend in des Nachbars Tonne zu verstauen, die Socken nach der Wäsche zu sortieren, die Butter streichfähig zu halten oder einfach nur abrufbereit in der Ecke zu stehen und auf eingehende Befehle widerstandslos und den Erwartungen entsprechend zu reagieren?

Ich versuche mich krampfhaft dessen zu erinnern, was der Mann im schwarzen Talar mir damals vom Blatt vorlas und ich danach nur noch sagen musste: „Ja, ich will.“
„Möchtest du hier und jetzt das Versprechen abgeben, immer für die von dir angetraute Frau da zu sein? Willst du dich auf den weiteren Weg freuen, den ihr ab jetzt beschreitet und dabei gemeinsam alt werdet? Willst du mit ihr ein Leben im friedlichen Verbund planen und verwirklichen, auch in schwierigen Zeiten den Humor nicht zu verlieren und deiner Frau stets zur Seite stehen?“

Wenn dir jemand im voll besetzten Gotteshaus solche Fragen stellt, möchte ich denjenigen sehen, der dann laut und deutlich antwortet: „Nein, kein Bock.“ Oder gar den, der in letzter Sekunde noch Abänderungen am Text einfordert.

Exakt dies, hätte unser scheidungswilliger Franzose nämlich machen sollen. Wäre nämlich die Frage im Raum gestanden, ob er auch seine joviale Natur nicht an den krummen Nagel hängen würde, wenn seine Frau ihm auf Dauer die sexuellen Freudentänze verweigert, dann wären nämlich etliche Rädchen im Hinterkopf in Schwung geraten. Denn egal, wie oft er sich die Litanei von damals auch noch ins Gedächtnis ruft, die Sache mit den manchmal auch schweißtreibenden Turnübungen im nackten oder halb nackten Zustand sind unter den ehelichen Pflichten auch nur ansatzweise aufgeführt.

Seine damals Angetraute scheint hier konzentrierter aufgepasst zu haben und erklärt seit nun mehr als acht Jahren ihrem begierigen Ehemann, sie habe sich bei der Eheschließung schließlich nicht von der Freiheit auf die eigene Körperbestimmung verabschiedet.
An diesem Punkt wird es nicht einfach, spontan mit hieb- und stichfesten Argumenten aufzutrumpfen, die jene erwähnte Freiheit für einen kürzeren oder längeren Zeitraum horizontal außer Kraft setzen könnten. Wie am weiteren Verlauf zu erkennen ist, gelangte hier unser geduldiger Franzose an seine Grenzen der Argumentationsfähigkeit.

In diese Presche sprangen dann aber die Versailler Richter, die dem Scheidungswilligen die Schere zum Zerschneiden des ehelichen Tischtuches reichten, weil die Ehe ohne Sex als solche nicht bezeichnet werden kann. In der Vorfreude auf jetzt anstehende Eskapaden außerhalb der heimischen Ereignislosigkeit, hat er allerdings vergessen, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte über eine Nähmaschine verfügt, die ruckzuck aus zwei Stofffetzen wieder ein fast intaktes Tischtuch fertigen kann. Das dabei genutzte Garn erhielt seine Festigkeit durch die nun folgenden Zusätze: Die Einvernehmlichkeit für jegliche Form des Geschlechtsverkehrs ist und bleibt Voraussetzung und Grundsatz – ob in oder außerhalb einer Ehe. Der Geschlechtsverkehr ohne Zustimmung ist ein Tatbestand der sexuellen Gewalt und wird von keinem Recht gebilligt.

Dem ist wohl auch nichts mehr hinzuzufügen, da das gefällte Urteil in Straßburg juristisch ohnehin das Ende der Fahnenstange bedeutet. Aber einen Rat hätte ich da noch für den frustrierten Herrn aus dem Land der Marianne: Für das kommende Leben beim Allmächtigen unbedingt den Antrag zu stellen, als Gockel auf die Welt zu kommen. Nicht nur, weil dieser vorzüglich zur Grande Nation passt, sondern, weil mir beim Blick in den Hühnerstall auffiel, dass die Einvernehmlichkeit beim Federvieh keine nennenswerte Rolle spielt.

Not manifested anywhere - but everyone knows it!

On my morning walk through the freshly fallen leaves of the European press, I spotted a news item that immediately caught my attention.

The European Court of Human Rights (HUDOC) in Strasbourg has overturned a judgement in a divorce case.

No, it wasn't the usual use of the double preposition 'in', but rather the fact that it appears to be so important for someone to tear apart the marital tablecloth and put on his hiking boots to march through all the judicial instances all the way to the HUDOC. In my spontaneous judgement, I was pretty sure that when I read the article, I would be confronted with someone who may be lacking in plenty of things, but who certainly is not lacking in patience.

Anyone who doesn't decide at an early age to live his life as a hermit with full conviction, or who generally gives two-legged friends a wide berth, is bound to have heard one or two episodes of a divorce drama in the course of his life. If this is not the case, then you have probably staged such a drama yourself, without further ado. The most popular props on such a stage are mostly considered to be phrases from the arsenal of bad taste, and are usually recruited from well below the belt. Furthermore, popular are the usual mud and the polishing up of old stories in an interpretation that is marked by one's own resentment.

Even though I have often been accused of the opposite, I have nevertheless come to accept the fact that there is always something new that I can continue to learn. The ability to read has proven to be very helpful in this regard, so what could be more obvious than to turn to the lines that an editor or news agency has published for almost anyone in the world to read.
Where the hell is it and who in the name of God is getting a divorce? Perhaps the whole thing has been called off a long time ago because the judges don't see the need for a war of the roses on this poor soil? Or are the UN blue helmets going to be stationed at the kitchen table at home from now on as a precautionary measure?

The headline of the newspaper story ejects the first flakes of protein from the still murky divorce broth. HUDOC judgement.
The case took place in France where, in 2019, a court in Versailles granted a man the right to divorce his wife because she had refused to fulfil her marital duties for no less than eight years. The woman's argument that she felt her privacy had been invaded by her spouse's constant insistence that she fulfil her duties did not go down well with the judges.

We hold: She has not fulfilled her marital obligations. What in the world are espousal obligations? Spending a night's sleep on your mattress, with all its ups and downs? To separate the garbage properly and then put it in the neighbour's bin, to sort the socks after washing, to keep the butter spreadable, or simply to stand in the corner ready to be asked and to respond to incoming orders without resistance and according to expectations?

I tried desperately to remember what the man in the black robe had read to me from the sheet, and all I could say afterwards was: “Yes, I will.”

“Do you want to make a promise right here and now that you will always be there for the woman that you have married? Do you want to look forward to the path that you are going to take from now on, and to grow old together? Do you want to plan and live a peaceful life with her, not lose your sense of humour even in difficult times, and always stand by your wife's side?"
If someone asks you such questions in a crowded place of worship, I would like to see the person who answers loud and clear, "No, I don't want that". Or even the one who, at the last minute, asks for changes to be made to the text.

This is precisely what our Frenchman, who desired a divorce, should have done. If the question had arisen whether he wouldn't give up his cheerful nature if his wife were to permanently deny him sexual dances of joy, then a whole series of cogs would have been set in motion at the back of his mind. After all, no matter how often he may recall the litany from those days, the sometimes sweaty gymnastic exercises in the nude or seminude state are not even rudimentary on the list of marital duties.

His then wife seems to have paid more attention to this, and for more than eight years now she has explained to her eager husband that she did not give up her freedom over her body when she got married.
At this point, it is difficult to come up with watertight arguments that would allow the above-mentioned freedom to be suspended horizontally for a shorter or longer period of time. As we shall see, our patient Frenchman reached the limits of his argumentative powers at this point.
The judges of Versailles then stepped into the breach and handed the divorcee a pair of scissors with which to cut up the marital tablecloth. After all, a marriage without sex cannot be described as such.

However, in his anticipation of future escapades outside the domestic sphere, he forgot that the European Court of Human Rights has a sewing machine that can turn two pieces of textile into an almost intact tablecloth in the blink of an eye. The sewing thread used for this purpose was given its strength by the following additions: Consent for any form of sexual intercourse is and remains a prerequisite and a principle — whether in or out of marriage. Sexual intercourse without consent is an act of sexual violence and will not be condoned by any law.

There is probably nothing more to add, as the ruling delivered in Strasbourg is the end of the line in legal terms anyway. But I do have one piece of advice for the frustrated gentleman from the land of Marianne: for the life to come, he should make a request to the Almighty to be born as a rooster in any case. Not only because it fits in perfectly with the Grande Nation, but also because when I looked into the hen house, I realised that an agreement between the parties does not play a major role when it comes to poultry.

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Du sprichst wichtige Punkte an. Das traditionelle Eheverständnis hat sich sicherlich stark verändert und es ist gut, dass wir diese Normen hinterfragen. Auf der einen Seite halte ich es für wichtig, die Pflichten in der Ehe zu reflektieren und weiterzuentwickeln, gerade im Hinblick auf die Gleichberechtigung. Andererseits kann ich mir auch vorstellen, dass es durchaus klassische Werte gibt, die für manche Paare noch eine Rolle spielen. Es ist eben nicht immer einfach, die richtige Balance zwischen Tradition und Moderne zu finden. Eine spannende, wenn auch schwierige Diskussion!

An dieser Verlautbarung des Gerichtshofes fand ich insbesondere spannend, dass als unumstößliche Pfeiler einer in Frankreich geschlossenen Ehe infrage gestellt werden. (Dies hat viel mit meinem Aufwachsen in einem saarländisch-französischen Konglomerat zu tun.) Die betreffende Frau brachte nämlich nicht lediglich ihre Persönlichkeitsrechte mit auf die Waagschale, sondern auch die Tatsache, sich konstant um das Wohl der gemeinsamen schwerbehinderten Tochter zu kümmern. Eine Zeitaufwendung, die der uninteressierte Gatte liebend gerne anderweitig genutzt hätte.
Das war der Auslöser zur Reflexion eines Ereignisses, dessen Ausgang den französischen Gockel nicht sonderlich erfreute.

Eine spannende, wenn auch schwierige Diskussion – genau deshalb habe ich mich in meiner ersten Antwort eher zurückgehalten. Ohne den vollständigen Kontext und alle Perspektiven zu kennen, möchte ich mir kein abschließendes Urteil erlauben, insbesondere da moralische Bewertungen oft subjektiv sind und stark von individuellen Sichtweisen abhängen. Dennoch ist es interessant zu sehen, wie sich rechtliche und gesellschaftliche Vorstellungen von Ehe weiterentwickeln und welchen Einfluss individuelle Lebensumstände dabei haben.

Was die subjektive Herangehensweise und dementsprechende Aufarbeitung betrifft, kann ich mir die Umsetzung meiner Gedanken in einigermaßen gut verdauliche Sätze (Erzählungen) ohne dies kaum vorstellen, da mir die politisch korrekte Objektivität nur wie die lästige Fußfessel erscheint. Sollten allerdings Neutralität und die unbefleckte Sachlichkeit zur Bürgerpflicht erklärt werden, beschränke ich meine geistige Aktivität fortan auf stilistische Korrekturen am Jahresabschlussbericht des Hasenzuchtvereins Recklinghausen-Süd. Vielleicht kandidiere ich auch als Schriftführer?

Ich komme zurück, weil ich dachte etwas ergänzen zu müssen und da fällt mir ins Auge Recklinghausen-Süd – dieser Name weckt Erinnerungen an eine große Liebe. Unglaublich, wie ein paar einfache Worte so viel auslösen können. Plötzlich taucht diese Erinnerung auf, genau jetzt, genau in diesem Moment. Warum nur? Und dann schreibst du das – als wäre es kein Zufall. Verrückt, wie Gedanken manchmal ihre eigenen Wege gehen!

Das Bemerkenswerte daran – ich war noch nie im Leben auch nur in der Nähe von Recklinghausen! 😊
So kann eine unbedachte Spontanität einen positiven Flashback auslösen.

Ich zweifle deine Worte keineswegs an – es ist vielmehr so, dass meine eigene Einschätzung subjektiv bleibt, da mir der gesamte Kontext nicht bekannt ist. Ich schätze deinen erzählerischen Stil und die Art, wie du persönliche Reflexionen verbindest. Das verleiht deinen Texten ihre besondere Tiefe. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich eher traditionelle Werte vertrete und Veränderungen in solchen fundamentalen Fragen oft mit gemischten Gefühlen betrachte. Und was den Hasenzuchtverein betrifft – ich bin mir sicher, dass selbst ein Jahresabschlussbericht in deiner Handschrift alles andere als trocken wäre! 😉

!BBH

The rate at which we are having divorce case is very alarming