Vom Gehirndoping über Gewohnheiten und Denkmuster bis zu Platon

in #life7 years ago

In seiner Artikelreihe über Biologie und Biohacking schrieb @lauch3d im 7. Teil über den Stand des Gehirndopings. Hier nochmal vielen Dank für die interessante Reihe. Der Text war, wie die vorherigen, sehr anregend und mir schossen einige Gedanken durch den Kopf, die wohl so niemals in einen Kommentar gepasst hätten.

Der Erfolg ist für die meisten in jeder Hinsicht bedeutend. Egal, ob im Beruf, beim Sport, so ziemlich jedem Hobby oder im Liebesleben – die körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit sind entscheidend und jeder wünschte sich oder sucht nach Wegen, wie er diese kurz- und langfristig steigern und erhalten kann. Das ist der Traum des Menschen, einfach ohne Anstrengung alles wissen und alles erreichen. Man denke nur an den Film Limitless. Eine kleine Pille und alles ist möglich.

blub

Ich bin zwar kein Naturwissenschaftler, aber ich muss immer schmunzeln, wenn Leute bspw. erzählen, dass wir nur 10% des Gehirns nutzen und da doch theoretisch mehr möglich sein müsste. Ich versuche mir vorzustellen, wie lange ein Mensch überleben würde, wenn das Gehirn das vielfache leisten würde. Wären das Ergebnis Zuckungen wie bei einem epileptischer Anfall? Würde der Kopf durch den höheren Energieumsatz einen Hitzeschlag erleiden und das Gehirn kochen oder würde er wegen eines Sauerstoffmangels vorher bewusstlos werden. Die Stoffwechselprodukte des Gehirns müssen ja nicht nur bis in die letzte Zelle vordringen, sondern dessen Abfallprodukte müssen auch wieder abtransportiert werden. Ich denke, wenn das Gehirn mehr verstoffwechseln könnte, würde es das ja tun.

Systeme, die sich natürlich evolutionär weiterentwickelten und über sehr viele Generationen überlebten, sind meist sehr komplex, hoch anpassungsfähig, extrem effizient und besitzen zahlreiche Redundanzen. Vom Menschen erschaffene Systeme stellen eher das Gegenteil dar. Lebende Systeme sind, entgegen den Computern und Produktionsmaschinen daher eigentlich nie ausgelastet. Die Auslastung eines Systems hat dahingehend auch nichts über dessen Leistung aus.

Es gibt wohl für den Menschen kaum etwas, dass seiner Natur so entspricht wie die Neugier und das ewige Streben zu immer mehr und immer schneller, weiter, höher. Unsere Kultur des steten Wachstums durchströmt alle Bereiche und damit auch uns selbst. Aber was passiert, wenn man an seine Grenzen stößt oder scheinbar nicht aus eigener Kraft die Hindernisse auf dem Weg zum Erfolg überwinden kann? Wer nicht schneller, weiter, höher kann, wird zwangsläufig an sich selbst zweifeln, weil es eine Form des Scheiterns darstellt.

blub

Eine Strategie ist dabei wohl, die Gründe der gefühlten Unzulänglichkeiten auf das Umfeld zu übertragen um das Selbstbild zu wahren. Eine andere Strategie ist es, nach (Um-) Wegen wie Dopings zu suchen, um die Ziele dennoch zu erreichen.

Die schlechteren Handlungsstrategien führen zu

  • einer Passivität, Selbstaufgabe und Ausreden oder
  • zu Aktivität gegen die vermeintlichen externen Ursachen oder
  • zur Abhängigkeit von bestimmten Stoffen und

führen, wenn überhaupt, zu kurzfristigen und nicht nachhaltigen Problemlösungen. Mit der Schuld am Status quo wird so auch die eigene Verantwortung für das Handeln abgegeben. Das soll keine Kritik sein, aber in Erinnerung rufen, dass Biohackung und somit auch Gehirndoping eine Entwicklung unterstützen kann, aber nicht der Grund für die Entwicklung sind. Denn wer der Meinung ist, bestimmte Situationen nicht ohne bestimmte Mittel zu bestehen, verliert den Glauben an die eigenen Fähigkeiten und löst auch die eigentlich eigenen Erfolg von sich selbst ab. Dieser Erfolg ist zweischneidig, denn man hat ihn gefühlt nicht aus eigenem Antrieb erreicht/verdient und alles, was auf diesen Erfolg aufbaut, ist demnach auch nur mit Wundermittel möglich.

Es ist der fehlende Glaube an uns selbst, der uns an dieses andere Etwas glauben lässt.

Der einzig gesunde, aber auch anstrengendste und langwierigste Weg wäre wohl die Arbeit an sich selbst. Wenn man an seine Grenzen stößt, muss man lernen und trainieren, Grenzen zu überwinden. Wenn wir besser sein wollen, sollten wir nicht auf die Versprechungen der Werbung hören, sondern selbst daran arbeiten, besser zu werden.
Und um besser zu werden, müssen wir zunächst auch unser Hirn besser benutzen.

Neben einer gewissen Hygiene für den Geist muss man das Hirn auch regelmäßig benutzen und mit komplizierten Aufgaben konfrontiert werden. Das beste Werkzeug nützt nichts, wenn es stumpf und verostet im Keller liegt. Ein erster wichtiger Schritt ist vielleicht, über die Dinge bewusst nachzudenken, allen voran Selbstreflexionen.

Kaum etwas aktiviert das Gehirn und schärft die Sinne so sehr wie das Durchbrechen unserer Gewohnheiten.

Unser Gehirn ist eben nicht statisch wie ein Computer, sondern entspricht eher einer Knetmasse. Es ist plastisch und passt sich auf Dauer jeder Situation/Umwelt neu an. Die tagtägliche Routine ist Gift für die Hirnleistung. Sie macht nur uns und unsere gesamten Denkprozesse träge und langsam. Für den Körper und unsere Gesundheit verhält es sich anders, denn sie profitieren oftmals von Routinen bzw. festen Rhythmen (gleichbleibende Schlafroutinen, viel gutes Wasser, Balance aus Aktiv- und Ruhephasen, möglichst keine/wenig be- und verarbeitete Lebensmittel, aktiv alle Gifte vermeiden bzw. nicht Regelmäßig zu sich nehmen etc.).

Welche Routinen, Mittelchen und magischen Rituale hat man selbst und zu welchen Glaubenssätzen, Annahmen und damit auch Abhängigkeiten hat das geführt? So gibt es Leute, die behaupten, ohne die Tasse Kaffee am Morgen kämen sie nicht in die Gänge und ohne die Tüte am Abend nach der Arbeit können sie nicht runterkommen und nicht entspannen. Was sie nun eigentlich sagen, ist im ersten Fall: Ich bin selbst nicht in der Lage, meine eigenen Energien zu mobilisieren um sie in bestimmte Aktivitäten zu lenken. Und im zweiten Fall: Ich bin selbst unfähig dazu, zu entspannen, um meinen Körper und Geist in einen ruhigen Zustand zu überführen. Was muss man tun, dass aus alten kontraproduktiven Gewohnheiten wieder das Außergewöhnliche wird? Braucht man jeden Morgen Kaffee oder nur vor bestimmten entscheidenden Situationen? Halte ich ein oder zwei Wochen ohne Kaffee aus?

Der Bewerber sagt: "Zum nächsten Vorstellungsgespräch benutze ich Beruhigungsmittel, weil ich Angst habe, mit den anderen nicht mithalten zu können". Der Sportler sagt: "Zum nächsten Wettkampf benutze ich Dopingmittel, weil ich Angst habe, mit den anderen nicht mithalten zu können". Die Grenzen zwischen legal und illegal sind willkürlich und könnten sich in der Zukunft verschieben. Bleibt die Frage, wie die Gesellschaft in Zukunft damit umgehen wird, wenn sich bestimmte Personengruppen durch Biohacking Vorteile verschaffen oder die Grenze zwischen Mensch und Maschine weiter verschmilzt. In bestimmten Bereichen, wie dem Sport, ist klar geregelt, was erlaubt ist und was nicht. Andere Bereiche beherbergen hier noch viele zahlreiche Konfliktfelder, die zwangsläufig aufkommen werden.

Wir dürfen auch nicht vergessen, dass auch das geschriebene Wort eine Kunst und ein Werkzeug war, das, ähnlich dem Gehirndoping, diejenigen bevorteiligte, die es anwandten. Selbst Platon schrieb damals:

„[...] diese Kunst wird Vergessenheit schaffen in den Seelen derer, die sie erlernen, aus Achtlosigkeit gegen das Gedächtnis, da die Leute im Vertrauen auf das Schriftstück von außen sich werden erinnern lassen durch fremde Zeichen, nicht von innen heraus durch Selbstbesinnen.“ – Platon

Heute würde niemand auf die Idee kommen, das Schreiben zu verteufeln. Das Pendant sind vielleicht die "Studien" (die wohl ihren Namen nicht verdienen), dass sich die Jüngeren wegen Google unc Co. immer weniger merken können, ohne dem weiter auf dem Grund zu gehen.

Das Gehirn funktioniert nicht gut oder schlecht, sondern passt sich optimal an die Umstände (in Verbindung mit den eigenen Charakterzügen) an.

Die Leute heute wissen heute dafür sehr genau, wo sie welche Informationen her hatten und wo sie etwas wiederfinden. Während die Leute früher ganze Bücher auswendig konnten, weil sie so selten und wertvoll waren, müssen wir heute nur wissen, wo wir die Informationen finden, auf die wir jederzeit Zugriff haben. Nicht nur die Welt ist vernetzt, sondern auch unser Denken funktioniert mehr über Relationen. Also ein Indexieren und Verknüpfen statt Rezipieren. Statt Fakten, sehen wir mehr die Zusammenhänge. Die Leute werden nicht dümmer, sondern smarter und diese Entwicklung sehe ich als zwangsläufig an, denn Technologien, die vorhanden sind, werden auch genutzt. Ein sinnvoller Umgang mit diesen ist jedoch nicht zwangsläufig und muss bewusst gesteuert werden, denn Technologie bringt zuerst die Möglichkeiten und führt erst in der Folge zu neuen Problemen und Konflikten.

Aber solche Argumente wie von Platon werden mit jedem neuen Fortschritt erneut auftauchen.

Wie werden wir darauf reagieren, wenn wir neue Möglichkeiten des Biohackings erschließen?

  • Wenn wir unser Körperkraft durch Maschinen ersetzen, wozu sollten wir noch körperlich schwerer Arbeit nachgehen?
  • Wenn wir alle unsere Ängste mit einer Pille beseitigen können, müssen wir dann nicht mehr mit unseren Ängsten auseinander setzen und mit ihnen umgehen lernen?
  • Wenn wir unsere Fettverbrennung mit einer Pille nach belieben regulieren können, müssen wir dann überhaupt noch auf eine gesunde Ernährung achten?
  • Wenn wir den ganzen Stress mit einer Pille beseitigen können, brauchen wir dann noch Ruhezeiten?
  • Wenn wir unser Mitteilungsbedürfnis von Urlaubsbilder per Whatsapp verschicken können, müssen wir dann noch Postkarten schicken?
  • Wenn wir unsere sozialen Bedürfnisse mit Smartphones, Facebook und Co. erfüllen können, warum müssen wir noch in echt mit den Leuten reden?

Das ließe sich ewig so weiterführen. Aber was ist gut und was ist schlecht? Wo sehen wir heute die Grenze und wo morgen? Mit jeder Erweiterung und Verbesserung unseres Selbst fällt etwas weg und, was nirgends erwähnt wird, jede geschaffene Lücke kann neu gefüllt werden. Was tut der Mensch mit den neu gewonnenen Freiheiten?

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resteem und 100% upvote
für deine ersten bedenken könnt ich dir sogar ne Studie liefern, trifft glaub ich sogar alles zu vom thermischen Problem bis hin zum Flaschenhals beim Stoffumsatz, welshalb das Hirn wie es ist, wohl ein guter Kompromiss sei. Ich befürchte mit der gewonnenen Freiheit stellt man nichts an was die Lebensqualität erhöht. Stimmt und das Netzwerk bzw. alle Netzwerke sollte man nicht vergessen, die einzelne Einheit wird nie das können was das Netzwerk kann, somit wäre Manipulation eines Teams besser als Manipulation der eigenen Kognition (so als Vermutung)

Danke dir. Ja über Lesetipps freue ich mich immer. Auch wenn ich die oft nicht direkt lese, pflege ich alles in meine Literaturverwaltung ein und komme irgendwann doch wieder darauf zurück. Also über die DOI oder Link zur Studie würd ich mich freuen, falls du es in deinen Notizen eh irgendwo parat hast und keine großen Umstände macht.

Eben, jede freie Minute wird bei den meisten am Ende doch nur wieder verschwendet. Was helfen die tollsten Neuroenhancer, wenn die Leute doch nur den halben Tag RTL schauen, Handy-Games zocken oder auf Instagramm Selfies mit bunten Filter hin und herschicken.

Das mit der Beeinflussung des Teams bzw. der direkten Kontakte ist ein guter Hinweis. Wenn man sich selbst ändern will, muss man leider oftmals auch das soziale Umfeld verändern. Einerseits fällt man sonst immer wieder in die alten Verhaltensmuster zurück, weil die eigenen Verhaltensstrukturen auch in gewisser Weise pfadabhängig. Und andererseits sind da die gruppendynamischen Prozesse, mit denen Veränderungen von einzelnen Gruppenmitgliedern verhindert werden. Gruppen sind da immer ziemlich beharrlich.

Danke. Ist echt Wahnsinn, wie verbreitet das ist und wie lange das schon rumgeistert.

Jup. Genauso wie der Mythos über Albert Einsteins schlechte Schulnoten