Nach dem tragischen Tod von Avicii keimt nun eine richtige und wichtige Diskussion auf: Ist der Druck, den DJs und andere ausübende Künstler im Allgemeinen auf sich lasten haben, zu groß geworden? Ist der mit gerade einmal 28 Jahren verstorbene schwedische Superstar gar daran zerbrochen? Wie nun bekannt wurde, wird die Todesursache nicht öffentlich verbreitet werden, um den Respekt vor Aviciis Familie zu bewahren, ausgeschlossen wurde lediglich ein Gewaltverbrechen. Sicher ist jedoch, dass der junge Schwede, so gesund er in den Tagen vor seinem Ableben auch ausgesehen haben mag, während seiner Zeit auf Tour zu einem körperlichen Wrack wurde.
Hartes DJ-Leben
Als Avicii im Jahr 2016 verkündete, fortan nicht mehr touren zu wollen, waren viele seiner Fans geschockt. Weitaus schockierender als diese Ankündigung war allerdings der damalige Anblick des DJ-Superstars – verquollenes Gesicht, gerötete Augen, müder Blick, nicht gerade so, wie man sich einen „Popstar“ (und das war Avicii ohne Zweifel auch) vorstellt. Es wird kolportiert, dass Avicii in seinen letzten drei Jahren auf Tour über 700 Shows spielte – also nahezu jeden Tag eine Liveshow vor Tausenden Zuschauern auf der ganzen Welt! Manch einer wird hier nur verächtlich schnauben – schließlich ist doch genau das sein Beruf, seine Berufung, wird man einwerfen wollen. Ein Fabrikarbeiter wäre froh über so wenig effektive Arbeitszeit. Hochgerechnet auf eine 37,5-Stunden-Woche wären diese 700 Liveshows á einer Stunde ja lediglich etwa 19 Arbeitswochen. Und dann auch noch die unzähligen Reisen an die schönsten Orte der Welt, die Anhimmelung durch zigtausende Fans, das viele Geld, die Möglichkeiten... Verzeihung, ich schwelge.
Und ja, ergreifen wir die Gelegenheit doch beim Schopf und stellen uns diese Debatte als eine typische Montagabend-Talkshow in einer der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten vor. Geladene Gäste sind ein typischer Resident-DJ einer Münchner Großraumdiskothek, der Manager eines Top-100-DJs, ein hysterisch kreischender Fan und – wie sollte es in arbeitsmarktpolitischen Debatten anders sein – eine auf Mindestlohnbasis beschäftigte Reinigungskraft. Nun, der hysterisch kreischende Fan wird wohl eher wenige zielführende Argumente vorbringen, also überspringen wir diesen Part getrost. Die wahrscheinliche Argumentation der Reinigungskraft wurde bereits angedeutet – viel Geld kompensiert viel Frust. Am vergleichbarsten ist aus dieser Runde wohl der Resident-DJ. Der Resident-DJ hat bekanntermaßen ein im Vergleich zum internationalen Tour-DJ deutlich abgespecktes Programm. Zweimal wöchentlich, Freitags und Samstags, steht er in der Großraumdiskothek seiner Wahl an den Plattentellern und versucht, den Horden von Feierbiestern einen möglichst vergnüglichen Wochenabschluss zu bereiten. Nun wird der gemeine Resident-DJ mit stolz von sich behaupten, den schönsten Beruf der Welt auszuüben. Schnitt! Eingespielt wird ein Videozusammenschnitt, der einen DJ von Weltruhm, nennen wir ihn Avicii, bei seinen Auftritten zeigt. Zu Beginn wird er vielleicht noch etwas schüchtern sein, mit fortschreitender Dauer des Videoclips, der seine Karriere zusammenfasst, werden immer deutlichere Alterungserscheinungen sichtbar. Aus dem jungen Mittzwanziger von einst wird ein weitaus älterer Mann, die Gesichtszüge stumpfen ab, verquellen. Gegen Ende, so scheint es, kann sich unser DJ kaum noch auf seiner Bühne halten.
Strapazen des Tourlebens
Was ist aus dem freundlichen Gesicht von einst geworden, wird der Talkmaster den jungen Resident-DJ fragen. Der wiederum wird darauf kaum eine Antwort haben – schließlich lastet auf ihm nur ein Bruchteil dessen, was unseren Star-DJ auf seiner Welttournee zu erdrücken droht. 700 Liveshows in 3 Jahren – das ist eine Show alle 1,5 Tage! Immer wieder hört man von bekannten DJs, die sich aus der Szene zurückziehen, weil sie den körperlichen und seelischen Strapazen des Tourlebens nicht mehr gewachsen scheinen. Mit Mightyfools gab es es nur einen Tag vor Aviciis Tod einen prominenten Fall von zu großem Druck. Das DJ-Duo kündigte an, in diesem Sommer zum letzten Mal auf Tour gehen zu wollen, um auf ihrem Zenit zu gehen und endlich Erholung von den Strapazen des Tourlebens zu finden. Es scheint sich hier wohl um keinen Einzelfall zu handeln. Vor zwei Jahren verkündete Idir Makhlaf, ein Teil des niederländischen Duos Blasterjaxx, sich ins Studio zurückziehen zu wollen, da die Belastung auf Tour zu groß für ihn wurde. Ralph van Hilst, Teil des Duos Bassjackers, ging nie mit seinem Kollegen Marlon Flohr auf Tour, sondern begleitet ihn lediglich auf seinen wichtigsten Auftritten. Sie alle haben es geschafft, sich rechtzeitig aus der Affähre zu ziehen. Bei Avicii hingegen wäre es im Jahr 2016 wohl schon fast zu spät gewesen. Auf seinen Mainstage-Auftritt musste der DJ aufgrund gesundheitlicher Probleme kurzfristig absagen, Pankreatitis, so hieß es später. Bereits 2014 ließ er sich Gallenblase und Blinddarm entfernen – die gesundheitlichen Folgen übermäßigen Alkoholkonsums und des andauernden Jetlags waren ihm schon damals anzusehen. Einmal „einen über den Durst zu trinken“ ist die eine Sache, sich jeden Tag berufsbedingt exzessiv zu betrinken eine andere. Wie durch die überaus sehenswerte Avicii-Dokumentation „True Stories“ bekannt wurde, litt Avicii bereits seit dem Beginn seiner Karriere unter Angststörungen, fühlte sich von großen Menschenmengen gestresst – nicht gerade die beste Voraussetzung für das Tourleben. Zur Überwindung seiner Ängste griff Avicii zur Flasche, um die Spannung von sich zu nehmen – was in einem wahren Teufelskreis endete.
Klar ist: Avicii sah sich weniger als DJ, denn als Musiker, als Künstler. Seinem langjährigen Manager Ash Pournouri zufolge war er in diesen Belangen geradezu ein Workaholic, schloss sich teils tagelang in seinem Studio ein und musste regelrecht dazu überredet werden, sich zu erholen. Avicii ordnete alles seiner Musik unter, konnte in diesen Belangen nie „nein“ sagen. Das Tourleben war von Beginn an die falsche Lebensweise für den jungen Schweden. Nun mag man einwerfen „dann hätte er es eben bleiben lassen sollen!“, was uns zum Hauptpunkt dieser Diskussion bringt. Die zentrale Frage muss nämlich lauten: Hätte man diesen Niedergang frühzeitig verhindern können? Die Antwort wird hier wohl „Nein“ lauten. Wann immer ein Musikproduzent seinen großen Durchbruch feiert, bei Avicii war das allerspätestens sein Song “Levels“, wird er von einem der großen Labels unter Vertrag genommen. Was folgt, ist das exzessive Melken dieses neuen goldenen Kalbs. Es beginnen Welttourneen, unzählige PR-Auftritte und das Verlangen nach Follow-ups, nach noch mehr Erfolg. Alles im Dienste der guten Sache, der Musik? Nein, am ehesten im Dienste des Profits. 700 Shows in 3 Jahren haben nur noch wenig mit Fanservice, mit der Präsentation eines der gößten Musiker unserer Zeit zu tun, sondern zeigen vielmehr, dass Avicii zum Opfer seines eigenen Erfolgs wurde. Als durchaus präsentabler, sympathischer Jungstar eignete er sich perfekt, um ins Rampenlicht gestellt zu werden, dorthin, wo er möglicherweise gar nicht hinwollte. Doch gab es eine echte Alternative für ihn? „Nein“ zu sagen, so heißt es, sei dem jungen Schweden noch nie leicht gefallen, und so schaffte er es erst, als es schon fast zu spät war.
Nervliche Belastung
Kehren wir zurück in unsere illustre Talkshow-Runde. Der Resident-DJ wird nun zugeben müssen, dass seine Art des DJings kaum etwas mit der eines DJs von Weltruhm gemein hat, die nervliche Belastung von letzterem die seine wohl um ein Vielfaches übersteigen wird. Der anwesende Manager eines Top-100-DJs wird an dieser Stelle einwerfen, dass natürlich nicht jeder für das Showbusiness, für das Tourleben gemacht sei. Andere hingegen schon. Und doch: Weshalb tun wir es ganz besonders der jüngsten Generation, der Zukunft unserer Musik an, monatlich in dutzende ferne Länder zu Reisen, der Jetlag als ständiger Begleiter. Klar, manche kommen damit besser zurecht als andere. Einen betrunkenen Hardwell hat man bereits häufiger als einmal gesehen, und doch scheint es ihm trotz seines ebenfalls straffen Tourprogramms bestens zu gehen. Ein David Guetta blickt zwar aus diesen und jenen Gründen gelegentlich etwas leer in die Menge, erfreut sich aber trotz seines doch inzwischen fast schon fortgeschrittenen Alters von 50 Jahren bester Gesundheit und auch der fast genauso alte Tiësto wirkt noch recht rüstig. Und ja, auch das ist eine richtige und wichtige Beobachtung, die wiederum fast wie ein Allgemeinplatz wirkt: Menschen sind verschieden. In seinem Interview mit uns gab der Niederländer Ummet Ozcan, der immerhin 150 Shows jährlich spielt, zu der Frage nach seiner Belastung nur an, jeder müsse seinen eigenen Weg finden, mit dem Druck fertigzuwerden und seine Karriere mit seinem Privatleben unter einen Hut zu bringen. Nun, auch das wirkt wie ein Allgemeinplatz erster Güte, aber etwas Wahres steckt auch hierin: Es gibt keinen Masterplan für den stressfreien Superstar-DJ, jeder ist hier insoweit auf sich allein gestellt. Und vielleicht macht gerade das den größten Anteil an dem Druck aus, der auf einem tourenden Künstler lastet: Er ist trotz aller seiner Helfer, seines Managements, seiner Fans, völlig auf sich allein gestellt, wenn es darum geht, mit Belastung umzugehen. Und vielleicht war auch das bei Avicii ein entscheidender Faktor – zu früh, zu rasant erfolgte sein Aufstieg, er hatte kaum eine Chance, sich an den Trubel um seine Person, an die Strapazen des Star-Daseins zu gewöhnen, war also insoweit trotz seiner tatkräftigen und hilfsbereiten Freunde – allen voran sein Manager Ash Pournouri – allein gelassen. Auch daran können Existenzen zugrunde gehen.
Um nun die Antwort auf die im Titel aufgeworfene Frage zu liefern: Der Druck in der Musikindustrie ist wie in allen Unterhaltungssparten riesig und droht die ausübenden Künstler unter sich zu zerquetschen – wirtschaftliche Interessen der Labels, der Druck, seine Fans stets zufriedenstellen zu müssen, und der eigene künstlerische Anspruch ebenso wie der Umgang mit Kritik und die Belastungen, die das Tourdasein mit sich bringen, sind immens. Festzuhalten bleibt aber auch, dass es zu einem großen Teil in der Hand der Künstler selbst liegt, wie sie damit umgehen. Der Fall Avicii zeigt, wie eine Verkettung unglücklicher Umstände auch den hellsten Stern am Horizont rasch zum erlöschen bringen konnten. Unter diesen Umständen wäre wohl auch die zuletzt kolportierte Comeback-Tour des Schweden ein unfassbares gesundheitliches Risiko für Avicii gewesen. Auf der anderen Seite stehen zufriedene Künstler, die es geschafft haben, ihren Ausgleich zu finden und eine, wie man heutzutage wohl sagt, Work-Life-Balance herzustellen. Es bleibt zu hoffen, dass Fälle wie der von Avicii künftig absolute Ausnahmen bleiben und dass die Musikindustrie erkennt, dass weniger oftmals mehr sein kann. Der Fall des Fußball-Nationaltorhüters Robert Enke zeigte bereits im Jahr 2009, in welche Abgründe der auf Prominenten lastende Druck führen kann, und so sollten wir den Tod Aviciis als Warnung sehen, nicht zuzulassen, dass sich unsere Lieblingskünstler selbst verheizen – oder verheizt werden. Denn, und auch das scheint ein Allgemeinplatz zu sein, hinter all den Masken, Logos und großen Namen stecken noch immer Menschen wie wir alle.
Ein echt guter und interessanter Artikel. Danke für diese tollen Hintergrundinformationen. Der Tod des DJ`s ist wirklich tragisch und zeigt auf eine Weise, wohin es führen kann, wenn man nur noch auf Leistung und Erfolg getrimmt wird.
Du sagst es. Ich kenne es aus eigener Erfahrung. Zwar nicht in dem ausmaß aber das business saugt einen aus.
i cant't believe that, what's the reason he died? i loved him, since i was a child