Die FAZ schreibt am 7.3.2018: Es ist ein Sommertag, Juni oder Juli 2013. Ich bin auf der Suche nach meinem Mann, den es ja nicht wirklich gibt. Jedenfalls wähne ich ihn irgendwo in einem Zusammenhang mit dem Kölner Friesenplatz. Den ganzen Tag habe ich schon auf ihn gewartet, in der heißen Sonne bin ich in einem hellblauen seidenen Etuikleid auf dem Platz hin und her gewandert. Oder soll ich besser sagen, gestakst? Ich habe höhere Schuhe an. Ich habe den Tauben zugeschaut und versucht, in den Ellipsenbahnen, auf denen sie mit ihren wackelnden Körpern unterwegs sind, Symbole herauszulesen. Ich bin völlig durchgeknallt und glaube daran, dass sich gerade Science-fiction-mäßig das Firmament auftut. Mein Hirn sprudelt über, ich friere zwar, aber meine verrückten Gedanken lassen mich sowohl Hitze als auch Kälte spüren, je nachdem, welcher Film gerade abläuft. Im Kern gehören dazu einige feste Elemente: der abstrakte Mann; dass meine Eltern nicht meine richtigen Eltern sind, sondern mich im Alter von drei Jahren in Berlin entführt haben; prominente Verwandtschaften; die Idee, jüdisch zu sein und die amerikanische Staatsbürgerschaft zu besitzen. (Auszug aus Christiane Wirtz’ Buch „Neben der Spur“)
Sie ist 34, als plötzlich die erste Psychose auftritt. »Schizophrenie« lautet die Diagnose. Diese schwere Krankheit von großer Zerstörungskraft ist nach wie vor stark angst- und schambehaftet, und es herrscht große Unkenntnis, obwohl Millionen Menschen in Deutschland von ihr direkt oder indirekt betroffen sind. Die sozialen Konsequenzen dieser Mischung aus Krankheitsfolgen, Unkenntnis und Ablehnung bekommt Christiane Wirtz grausam zu spüren. Sie verliert alles: Job, Freunde, Eigentumswohnung, Altersvorsorge. Das Leben war vorbei. Aber darf die Gesellschaft zulassen, dass Menschen so tief fallen? Wirtz erzählt, wie sie komplett abrutschte, lässt Ärzte, Psychologen, Anwälte, Eltern, ehemalige Kollegen zu Wort kommen. Sie fordert eine breite Debatte über psychische Krankheiten, ein Ende der Diskriminierung. Sie appelliert an die soziale Verantwortung der Gesellschaft. Ihre Botschaft an die Betroffenen: Lasst Euch nicht stigmatisieren. Und an die anderen: Baut Vorurteile ab und erkennt, dass eine Krankheit Menschen nicht aussondern darf, dass sie während und nach einer Psychose Solidarität verdienen. Ganz im Gegenteil zu dem was Bayern nun macht: Patienten sollen bei der Polizei gemeldet und Daten fünf Jahre gespeichert werden: Fachleute sind schockiert vom bayerischen Entwurf eines neuen Psychiatriegesetzes. Das Buch "Neben der Spur" von Christiane Wirtz ist im J.H.W. Dietz Verlag erschienen.
Neben der Spur
Wenn die Psychose die soziale Existenz vernichtet
Eine Frau erzählt
200 Seiten
22,00 Euro
ISBN 978-3-8012-0518-8
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