Heute ist ein unfassbar schöner Tag für mich und ich nutze die Gelegenheit, auf ein wichtiges Ereignis in diesem Jahr zurückzublicken und darüber zu reflektieren. Es geht um meinen dritten Besuch in Mexiko. Ich vermisse dieses Land so sehr und alles, was ich dort erleben durfte.
Mein letzer Besuch war auch mit einer kleinen "Lektion" verbunden, die ich euch in diesem Beitrag etwas ausführlicher beschreiben möchte.
Es gibt für mich zwei grundsätzlich verschiedene Arten, mit unserer Umwelt umzugehen: Wir können:
- uns als ein Teil von ihr betrachten, nur das aus ihr herausnehmen, was wir wirklich brauchen, und uns das, was wir vorfinden, nutzbar machen (kultivieren) oder aber:
- uns als getrennt von der Natur betrachten, als über ihr stehend, mit dem Recht, uns alles zu nehmen, was wir brauchen.
Beide Herangehensweisen gehen davon aus, dass die Geschenke der Natur unendlich sind, sie uns also unendliche Fülle zur Verfügung stellt. Der Unterschied ist nur, dass die Vertreter der letzten Variante davon ausgehen, dass man dafür rein gar nichts tun müsste, dass es sozusagen das Vorrecht oder Glück des Menschen ist, dass ihm immer alles so zufällt, wie er es braucht, und dass er keinerlei Anteil daran hat oder Anteil daran nehmen muss.
Die Vertreter der ersten Variante glauben auch, dass die Geschenke der Natur (bedingungslos) unendlich sind, ABER nur solange wir der Natur nicht "dazwischenfunken", sondern sie gedeihen lassen und eben das, was wir darin vorfinden, auch bereit sind, zu pflegen.
Natur ist etwas "Rauhes". Wenn wir etwas von ihr wollen, müssen wir sie uns zugänglich machen. Wir müssen es sozusagen von der Natur "erbitten". Das ist etwas, was mich der mexikanische Urwald, in dem ich nun schon dreimal war, gelehrt hat.
Versuche mal, dich länger als ein paar Stunden im unbearbeiteten Urwald zu bewegen. Du kommst mit ziemlicher Sicherheit nach ein paar Tagen an deine Grenzen und stellst entweder fest, dass es besser wäre, eine kleine Schneise hineinzuschlagen (= Kultivierungsleistung) oder aber fängst "notgedrungen" an, dich intensiver mit dem, was du vorfindest, auseinanderzusetzen und eignest dir besondere Fähigkeiten (z.B. Fortbewegungsfähigkeiten) an.
Welchen Weg man auch immer geht. Entweder, man kultiviert sich selbst oder eben die Natur. Letztendlich ist es auch nicht relevant, was von beidem man kultiviert, denn wenn man nicht zwischen sich und der Natur unterscheidet bzw. beide in einem normativen Sinne als gleichwertig betrachtet, taucht man früher oder später sowieso in einen Prozess der gegenseitigen Anerkennung, einem gesunden Austausch, ein. Dieser Prozess gehört für mich zu einem guten Leben dazu.
Demgegenüber steht eine Art extremer Minimalismus, der besonders dann extrem ist, wenn er zum Nihilismus wird. Darin wird z. B. das Kochen als "(unnötiger) zusätzlicher Verarbeitungsschritt" bezeichnet. Nein, ich sehe darin eine anerkennenswerte Kulturleistung. Die Französische Küche wurde nicht umsonst 2010 durch die UNESCO zum Weltkulturerbe ernannt (Quelle). Hinter dem Kochen und vielen anderen "Begegnungen" mit der Natur steht viel viel mehr als das, was sichtbar ist. Gegenseitige Anerkennung, Wertschätzung und Übereinkunft. Daran können alle, Mensch und Natur, ein wenig wachsen. Ich finde es wichtig, das zu wissen und danach zu leben.
Ich habe diese Gedanken bereits in folgendem Dtube-Video formuliert: Darin zeige ich euch ein kleines Stück Urwald und erkläre euch, warum er mir so unfassbar viel bedeutet.
EDIT vom 27.06.2018:
Ich glaube, wir haben durchaus eine Wahl, ob wir uns eher wie Tiere (triebgesteuert etc.) oder wie "höhere Lebewesen" (verantwortungsvoll, tolerant etc.) verhalten möchten. Die Spannbreite beim Menschen ist da sehr groß.
Für mich stellt sich immer die Frage, ob man es schafft, in tatsächlicher Übereinstimmung mit sich selbst zu handeln, oder ob man sich von Konditionierungen bzw. dem Außen treiben lässt.
Falls jemand nicht weiß, wie man den Unterschied feststellt: Ersteres macht langfristig sehr glücklich und ausgeglichen. Wer so handelt, wird über kurz oder lang sämtliche Probleme in seinem/ihrem Leben ausräumen können und immer von seinem Herzen und nichts sonst gesteuert.
Bei Letzterem ist das Leben immer so etwas wie ein Kampf (auch) gegen sich selbst und man hat kein Gefühl für die eigenen Bedürfnisse und spürt die Macht des eigenen Herzens so gut wie nie.
Guter Post!
Deswegen bezeichne ich mich auch als kultivierten Menschen. Nicht jedoch als zivilisierten Menschen :)
Man kann ja leider alles übertreiben :)
Schönes Wochenende.
Vielen Dank! Ich wünsche dir auch ein schönes Wochenende!
Wie unprätentiös und bar jeder Verurteilung du das formuliert hast. Schön! Ich denke ebenso.
Die Natur ist rauh, stimmt. Wir müssen sie nicht romantisieren noch dämonisieren.
Die Kultivierung von der du sprichst, sehe ich ebenfalls als eine elegante menschliche Leistung, die seit Beginn der menschlichen Entwicklung immer wieder ihre Eleganz einbüßt und Kulturen auferstehen und niedergehen lässt. Wann immer es von der Kultivierung in Richtung Mechanisierung geht, erleben wir ein abwärts.
Nach der Erkenntnis zu leben, macht ruhig. Veränderung ist aber nur bedingt möglich, da wir bedingte Umgebungen haben und die Ursachen von vorvergangenen Entscheidungen erleben, von Menschen angestoßen, die schon lange nicht mehr leben.
Leider wahr.
Was meinst du eigentlich mit "unprätentiös"? =)
:)
Quelle: https://definition-online.de/unpraetentioes-bedeutung/
Genau wie es dort beschrieben ist, habe ich es gemeint. Ich habe beim Lesen deiner Sachen oft den Eindruck, dass du sehr sensibel mit deinen Werturteilen umgehst bzw. dir sehr darüber bewusst bist, dass du sie hast und dass es gut wäre, sie weitest gehend zu vermeiden. Darum benutzte ich diesen Begriff.
Oha, du hast mich erwischt. Ja, es ist tatsächlich so, dass ich versuche wertneutral zu bleiben. Ich habe zwar häufig eine klare Meinung zu einem Thema, möchte andere Sichtweisen aber in meinen Überlegungen nicht ausschließen und selbst offen für sie sein.
Sehr beeindruckend, wie genau du meine Texte liest o.o.
;-) ist mir ein Vergnügen.
"...denn wenn man nicht zwischen sich und der Natur unterscheidet bzw. beide in einem normativen Sinne als gleichwertig betrachtet, taucht man früher oder später sowieso in einen Prozess der gegenseitigen Anerkennung, einem gesunden Austausch, ein"
"sowieso", das klingt so schön leicht.
Ich plädiere hier ein bisschen für eine ganzheitliche, holistische Sichtweise auf das Leben, eine non-dualistische Sichtweise. Philosophiegeschichtlich ist das ein Monismus, den es in praktischer Hinsicht immer schon gab, aber ungefähr mit dem zivilisierten (nicht-nomadisch lebenden) Menschen abgeschafft wurde. Zumindest theoretisch, denn ich denke, dass Tiere und andere nicht-menschliche Lebewesen nach wie vor auf dieses Prinzip ausgerichtet sind.
Ich gebe zu, dass es leicht klingt, aber vermutlich nur deswegen, weil ich mich vor ca. 3 Jahren ganz bewusst vom dualistischen Denken verabschiedet habe. Das Ganze hat aber auch einen Haken: Wenn ich ganz bewusst in die Unterschiedslosigkeit "absteige", laufe ich Gefahr zu verallgemeinern. Von daher hatte es schon Sinn, dass sich die Menschen innerhalb der Philosophiegeschichte für eine starke Differenzierung von Ideologien bis hin zu einem sehr krassen Pluralismus entschieden haben, in dem jeder quasi alles darf und alles gleichgemacht, bzw. gleich wertgeschätzt werden muss. Das ist das andere Extrem und wiederum eine Verallgemeinerung.
Aber eigentlich ist das Prinzip des non-dualistischen Denkens denkbar einfach: Akzeptiere die Dinge so wie sie sind (das ist kurz gefasst auch die Herangehensweise der Phänomenologie bzw. die "Vorbedingung" von Wissenschaften an sich), versuche nicht, sie, z.B. durch das Denken künstlich zu verändern bzw. etwas hineinzuinterpretieren und sei auch dann, wenn du darin Differenzierungen ausmachst, stets bereit, alte Glaubenssätze zu verwerfen (ein weiteres Grundprinzip, das auf den Konstruktivismus insbesondere der empirischen Wissenschaften aufbaut).
Auf diese Weise gehst du beiden Extremen aus dem Weg und kannst in der Mitte bleiben.
Weil man hier ja nur ein paar wenige Tage lang "resteemen" kann (komische Regel), hab ich den Beitrag mal auf Facebook geteilt.
Wow, ich bin platt, das ist das erste Mal, dass ich meine Inhalte woanders sehe. Danke dir für die Unterstützung, ich weiß das wirklich zu schätzen!