Hier kommt ein kleiner Einblick in meinen Kopf zum Thema Kulturen- & Glaubensunterschiede und zum Thema Westlichsein.
Heute hat mich besonders ein Kurs wieder sehr zum Nachdenken gebracht. Es ein Einzelkurs mit einer Frau in meinem Alter, die vor einem Jahr aus der Türkei nach Deutschland kam. Sie arbeitet bei einer bekannten großen Firma, was aber eigentlich völlig nebensächlich ist.
Es sind meistens jene Kurse, die mit Teilnehmern bestückt sind, die schon im B2/C1 Level sind. Man kann dann einfach tiefgehendere Themen ansprechen. Die lustigen Buchstaben-Zahlen-Kombinationen zeigen an, wie weit fortgeschritten man ist. A1 ist ein blutiger Anfänger, C2 entspricht muttersprachlichem Niveau.
Jene Frau erzählte mir von ihrem Struggle, leider ihre Familie anlügen zu müssen, weil diese sehr konservativ lebt und einige, für uns Europäer oder westlich geprägte Menschen ganz alltägliche, Dinge einfach nicht versteht.
Sie hat einen Mann kennengelernt, einen Deutschen. Sie sind seit Monaten zusammen, sie leben mal in seiner, mal in ihrer Wohnung. Aber offiziell darf das nicht so sein. Nicht vor der Hochzeit. Erlaubt wären laut ihrer Religion nur Treffen außerhalb, an Plätzen, an denen sie nie allein wären.
Interessanter Punkt: Wäre sie ein Mann, wäre es total egal.
Folglich möchte die Frau so schnell es geht heiraten, der Mann aber nicht.
Um den Schein zu wahren, wurden sogar Wände gleich tapeziert und bebildert, damit die Videotelefonate nach Hause von jeder Wohnung aus den Anschein machen, als wäre die Frau ausschließlich in ihrer eigenen Wohnung.
Wenn sie beide bald in die Türkei reisen, um ihre Familie zu besuchen, wohnen sie in der Wohnung der Eltern, schlafen in getrennten Zimmern. Die Wohnung ist klein, aber ein Hotel ist keine Option. Zumindest nicht gemeinsam.
Es ist schwer, aber beide halten zusammen. Die Wahrheit erzählen? Unmöglich. Schnell heiraten? Für den Mann unmöglich. Solange sie in Deutschland unbeobachtet sind, gibt es ja quasi kein Problem.
Wieso bringt mich das zum Nachdenken? Weil ich es erstens super spannend finde, in andere kulturelle Kontexte einzutauchen und jene Geschichten zu hören. Weil ich es zweitens sehr aufregend finde, dass die Teilnehmerin mir dieses halboffene Geheimnis einfach erzählt hat. Und drittens, weil es mich wirklich mal wieder dahin zurückholt zu sagen, dass es nicht immer schlimm ist, in diesem westlichen Europa geprägt worden zu sein und alle Freiheiten zu haben, die man sich nur denken kann.
Man vergisst das alles ziemlich oft im Alltag. Wie viel wert der deutsche Pass hat, wie einfach das Reisen ist, wie unproblematisch das Zusammenleben und Ausleben der eigenen Persönlichkeit ist.
Solche Gespräche holen mich zurück. Mich, die gern mal denkt, dass Deutschland und Deutsch sein doof ist. Wie oft höre ich von meinen Teilnehmern die Sätze "Du hast es gut. Du bist Deutsche. Du musst nicht nachdenken." Was das alles bedeutet, darüber denkt man allerdings weniger oft nach.
Genau das liebe ich an meinem Beruf. Das Eintauchen, Kennenlernen, die Weltoffenheit, die man entwickelt und das Verständnis für viele Kulturen.
Bild erstellt mit Canva
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