Liebe Leser,
in der Schmerztheraphie gibt es seit Jahrzehnten keine echten Durchbrüche. Einerseits gibt es Paracetamol, Mefenaminsäure (Parkemed®) und nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) wie Ibuprofen oder Diclofenac und deren leichte Verbesserungen (COX-2-Hemmer). Aber bei schweren Schmerzen wie nach Operationen sind die oft nicht ausreichend und man greift zu Opioiden (auch Opiate genannt). Opiate (z.B. Morphin oder Fentanyl) docken direkt an den Opioid- bzw. Opiatrezeptoren im Gehirn an, blockieren diese und verringern so das Schmerzempfinden. Sie haben eine starke Wirkung, aber auch ein hohes Suchtpotential und durch den Gewöhnungseffekt müssen immer höhere Dosen genommen werden, um die gleiche Wirkung zu erzielen. Die Abhängigkeit von medizinisch verabreichten Opiaten ist in den USA so schlimm, dass angenommen wird, dass ihr jedes Jahr 100.000 Menschen zum Opfer fallen1!
Jetzt wurde in den USA die Substanz Suzetrigin (Handelsname Journavx®) von der Firma Vertex (VRTX) zugelassen (Pressemitteilung), der gleichen Firma, die schon letztes Jahr die erste CRISPR/Cas-Gentherapie herausgebracht hat. Es soll eine ähnlich starke Wirkung wie Opioide haben, aber nur moderate Nebenwirkungen und KEIN Suchtpotential, da es nicht im zentralen Nervensystem wirkt! Es wird 2x täglich in Tablettenform eingenommen. Die Tagestherapiekosten liegen aber bei stolzen 31$, deutlich teurer als die derzeitigen Alternativen! Erstaunlich, denn die FDA hatte beträchtliche Förderungen vergeben, um angesichts der "Opioid-Krise"3 die Entwicklung von nicht-süchtigmachenden Schmerzmitteln voranzutreiben. Trotzdem wird geschätzt, dass die Therapie mit Journavx (wer denkt sich solche Namen aus?) insgesamt günstiger ist, wenn man die Kosten, die durch eine Opioid-Abhägigkeit entstehen, mitberücksichtigt4.
Die Zulassung in der EU wird vermutlich noch Jahre dauern, Vertex will sich vorerst auf den (weit lukrativeren) US-Markt fokussieren!
https://accurateclinic.com/accurate-education-suzetrigine/
Suzetrigin gehört zur Gruppe der Natriumkanal-Blocker, es blockiert den Natriumkanal 1.8 (Nav1.8), der auf schmerzweiterleitenden Nervenfasern außerhalb des Gehirns vorkommt, daher ist keine Suchtwirkung möglich, weil das Schmerzempfinden schon gehemmt wird, bevor der Schmerz im Gehirn ankommt. Dass Nav1.8 das Primärziel in der Schmerztherapie ist, gilt heute als weitgehend belegt. Man hat sogar in Pakistan eine Familie gefunden, die eine extremst seltene Mutation in einem der Gene für den Natriumkanal 1.8 aufweist. Die Mitglieder dieser Familie sind komplett schmerzunempfindlich und verdienen sich ihren Lebensunterhalt unter anderem, in dem sie gegen Geld auf glühenden Kohlen laufen5. Bei einer anderen, weniger beneidenswerten Familie in den USA, ist eine andere Mutation von Nav1.8 aktiv, sodass die Schmerzneuronen die ganze Zeit feuern! Sie sind fast alle schwer opiatabhängig und unfähig, in die Schule oder zur Arbeit zu gehen.
Zugelassen ist Suzetrigin vorerst nur beim akutem Schmerz, nicht bei chronischem. Eine kleinere Studie bei diabetischer Neuropathie war enttäuschend. Die Datenlage ist insgesamt noch recht dünn und stammt vor allem aus 2 Phase-3 Studien, in denen die Wirkung von Suzetrigin mit Plazebo und einer Kombination von Hydrocodon und Paracetamol nach Operationen verglichen wurde, nicht unbedingt die am stärksten wirksamen Vergleichsmedikamente. Vergleichsstudien mit z.B. Morphin gibt es noch keine.
Die Idee von Natriumkanal-Blockern ist nicht wirklich neu, schon seit langem gibt es Carbamazepin zur Behandlung von neuropathischem Schmerz und Epilepsie.
Übrigens gab es schon einmal einen Versuch einer echten Opiod-Alternative: Flupirtin, das zwar auch mit den zentralen Opioidrezeptorenim interagierte, aber auf andere Weise und weit weniger süchtigmachend. Nach einigen Jahren wurde es aber von der europ. Zulassungsbehörde EMA vom Markt genommen aufgrund seiner Lebertoxizität! Damals hatte die EMA noch ihre Hausaufgaben gemacht und Nebenwirkungen wurden noch ernstgenommen!
Seit langem gibt auch Ambroxol (besser bekannt als Mucosolvan®), das als Schleimlöser und bei Halsschmerzen eingesetzt wird. Es scheint auch präferentiell den Natriumkanal 1.8 zu hemmen und die Studiendaten auch als systemisches Schmerzmittel sind an sich recht vielversprechend. Das Problem: Es ist 20 Jahre alt und keine Pharmafirma würde jetzt noch Geld in teure Zulassungsstudien investieren, da der Patentschutz längst abgelaufen ist...
Fazit:
Die neue Alternative in der Schmerztherapie scheint zwar vielversprechend, aber noch gibt es etliche Fragen zu beantworten. Für eine Lobeshymne ist es noch zu früh. Aber wenn es kann, was er verspricht, sollte es uns zu denken geben, dass europäische Schmerzpatienten es so bald nicht bekommen werden! Die europäischen Krankenkassen sind durchwegs am Limit und haben kein Geld für innovative Medikamente. Warum, das ist eine andere Frage...
Quellen:
(1) https://www.scientificamerican.com/article/what-is-journavx-the-new-opioid-free-painkiller-from-vertex/
(2) https://www.doccheck.com/de/detail/articles/50360-neuer-wirkstoff-zugelassen-opioide-auf-die-ersatzbank
(3) https://www.cdc.gov/overdose-prevention/about/understanding-the-opioid-overdose-epidemic.html
(4) https://icer.org/news-insights/press-releases/institute-for-clinical-and-economic-review-publishes-evidence-report-on-treatment-for-acute-pain/
(5) https://www.nytimes.com/2025/01/30/health/fda-journavx-suzetrigine-vertex-opioids.html
Verwandte Posts:
EMA erlaubt selbstreplizierende mRNA Vakzine!
BioNTech: FDA stoppt Krebs-Studie nach verschwiegenen Todesfällen
Herzinfarkt bald heilbar?
Erste CRISPR/Cas-Gentherapie am Menschen zugelassen!
Wie du richtig schreibst: "Für eine Lobeshymne ist es noch zu früh."
Ich war erst letztes Jahr in Amerika und es war schockierend, diese Fentanyl-Zombies live zu sehen. Nach den Corona Jahren habe ich jegliches Vertrauen in die Pharmaindustrie und Ärzteschaft verloren und obwohl ich weiß, dass man gute Substanzen braucht, ist meine Skepsis sehr groß.
Aber danke für den guten Artikel.
For sure this treatment brings some hope in the area. It's sad that many times doctors need to use these drugs that can cause addiction. Thanks for bringing that I will take a look more deeply in this compound that I wasn't aware of. The only thought that I bring in concern is maybe people losing the ability to feel pain can be burned or hurt easily? Since pain is still necessary for us to feel real danger of something that harms our body.
Good point, but we are speaking about severe pain, that is just relieved after prescription by a physician. Don´t think that people get completely painless, unless they overdose. What for sure happens a lot with opioids.
Opioids are indeed a problem and a big challenge in medicine research! I had neuropathic pain in my leg, before it was probably one of the worst pains since it doesn't matter if you stretch it, change position, etc. It is a pain caused by a damaged neuron, so it will be there until it is somehow healed. I remember that even opioids didn't help me much, they gave me tramadol. The only thing that helped me was some anti-depressants.