Liebe Sprach- und Wien-Interessierte,
unlängst gab es im "Klub der Logischen Denker" einen Vortrag über das Wienerische, jenen interessanten Dialekt, den von klein auf zu lernen mir leider nie vergönnt war, obwohl ich immer in Wien gewohnt habe.
Der KLD ist derzeit im "Café Hummel" untergebracht, einem der besten Kaffeehäuser in Wien Josefstadt, leider schon etwas zu bekannt (und daher entsprechend frequentiert), aber immmer noch der Tradition verpflichtet und von hohem gastronomischen und kellnerischem Niveau!
Ansicht von aussen:
1935 gegründet, wurde es zuletzt 2012 renoviert, aber mit Bedacht, sodaß es noch seinen Charme bewahren konnte.
Das Hinterzimmer des Hummels ist trotz moderner Umgestaltung gemütlich, kurz vor Beginn des Vortrages war es schon reichlich gefüllt mit ca. 30 Clubmitgliedern und Gästen, mit einem gefühlten Durchschnittsalter jenseits der 60...
Der Vortragende und Spezialist für Soziolinguistik, Privatdoz. Mag. Dr. Manfred Glauninger und seine Titelfolie.
Begonnen hat er damit, was eine Sprache ist, wozu sie dient (zum Sprechen, Denken und "Konstruieren der Realität") und dass Sprachen nichts Statisches sind, sondern einem zwangsläufigem Wandel unterworfen sind. Wobei er allerdings seine Behauptung, dass eine Sprache, die sich nicht mehr ändert, tot sei, nicht belegt hat. Könnte es nicht Sprachen in isolierten Gebieten geben, die sich nicht ändern, aber durchaus lebendig sind?
Deutsch wird heute von rund 95 Mio. Menschen gesprochen. Wienerisch ist zwar nur ein Dialekt unter vielen, ist aber dennoch etwas Besonderes durch die wechselvolle Geschichte Wiens als Reichshauptstadt des Heiligen Römischen Reichs und Völker-"Schmelztiegel" sowie auch als "Tor zum Osten" (der Balkan fängt bekanntlich schon in Wien an 😃). Wien war über Jahrhunderte die größte deutschsprachige Stadt (z.B. 1850 Wien 600000 Einw., Berlin 400000) und z.B. 1918 war es die fünftgrößte Stadt der Welt! Eine Schande, dass ich das als Wiener gar nicht wusste.
Im 19.Jhd kamen mehrere hunderttausend Migranten nach Wien aus Böhmen/Mähren, die sog. "Ziegelbehm" - dringend benötigte Arbeiter für die Ziegelfabriken im Süden Wiens. Ein Jahrhundert später, nach Ende des 2.Weltkriegs und zu Zeit des "Wirtschaftswunders" gab es abermals eine Migrationswelle, die "Gastarbeiter", die v.a. aus Anatolien und dem ehem. Jugoslawien stammten. Im Wienerischen hinterliessen diese aber kaum einen Eindruck, das sogenannte Meidlinger "l" ist dagegen vermutlich den Einwanderern aus Böhmen zu verdanken.
Heute sind 43% der Einwohner Wiens gar nicht in Wien geboren, und die Kinder heute lernen kaum noch Wienerisch. Auch heute 25-Jährige kennen viele typisch wienerischen Ausdrücke gar nicht mehr.
Wienerisch ist auch ein "Soziolekt", d.h. es kann gezielt genutzt werden, um eine soziale Schicht zu simulieren, in der vermeintlich typisch Wienerisch gesprochen wurde. Unvergesslich ist Karl Merkatz (†2022) in seiner Rolle als "Mundl" in der TV-Serie "Ein echter Wiener geht nicht unter" aus den 1980-ern (siehe Video weiter unten). Wobei man als echter Wiener "shiften" kann zwischen dem Wienerischen, einer gehobeneren Umgangssprache und dem sog. "Hochdeutsch", das es aber so gar nicht gibt, denn das Standarddeutsch ist in Deutschland anders als in Österreich und in der Schweiz.
Heute ist (auch bedingt durch die nahezu unkontrollierte Masseneinwanderung) Wienerisch nicht mehr typisch für die Unterschicht, sondern das Alter ist relevanter als die Sozialschicht, d.h. ein 70-jähriger Bildungsbürger spricht eher Wienerisch als ein 20-jähriger Maurergeselle.
Interessant finde ich auch das seit 200 Jahren bekannte Phänomen der "Melioration", d.h. der Versuch von Wienerisch Sprechenden sich einer gehobener klingenden Sprache zu bedienen, z.B. mittels Verwendung des Präteritums anstatt des Perfekts ("es schneite" anstatt des bei mündlicher Verwendung üblichen (und richtigen) "es hat geschneit" oder "ich meinte" statt "ich habe gemeint").
Tja, und dann gibt es noch "oida". Doch die Würdigung dieses scheinbar kleinen, jedoch in seiner Bedeutungsvielfant gigantischen Wortes würde hier jeden Rahmen sprengen... Für eine erste Annäherung empfehle ich diese Seite.
Was sind die sprachlichen Merkmale des Wienerischen?
- Die "Monophtongierung", d.h. aus einem Diphtong ("ei","au") wird ein (oft gedehnter) Monophtong ("ää", "oo" oder "a"). Aus "ein" wird "a", aus "zwei" wird "zwaa".
- Es fehlt eine Unterscheidung zw. stimmhaften und stimmlosen Konsonanten: b/p, g/k, d/t, z.B. wird danken genauso ausgesprochen wie tanken, backen genauso wie packen.
- Zusätzlich gibt es noch "low"-Marker, die innerhalb des Wienerischen noch ein tieferes Niveau anzeigen, z.B. das bereits erwähnte Meidlinger "l", das "ua" (huach zua) und das eingeschobene "r" (wia-r-a statt "wie ein")
- Durch Zuwanderung gibt es viele Ausdrücke aus anderen Sprachen, die im Wienerischen ihren Niederschlag gefunden haben, z.B.
Plafond, Trottoir, Kombinege aus dem Französischen,
G´spusi, Bassena, Falott, Paradeiser, sekkieren, Tschigg aus dem Italienischen,
Haberer, Masel, Reibach, Oida aus dem Jiddischen,
Pawlatschn, Pfrnak, Powidl, zuzeln aus dem Tschechischen
fesch aus dem Englischen (oder aus dem Tschechischen fešák - Feschak)
Wieviele dieser Wörter kennt Ihr?
Ein Grundvokabular, ohne das man sich gar nicht in Wien länger als 1 Stunde aufhalten sollte, findet sich hier!
Wem das alles zu theoretisch ist, kann hier einmal reinhören:
Wer Lust auf noch mehr wienerische Ausdrücke hat, wird z.B. in diesem Lexikon fündig, von A wie awezahn bis Z wie Zwiderwurzn!
Der Wiener ist auch bekannt für seine freundliche Ausdrucksweise...
https://www.facebook.com/Weanarisch/photos?locale=de_DE
...wie auch für sein positives Denken!
https://www.facebook.com/Weanarisch/photos?locale=de_DE
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Fluchen auf österreichisch - schön spricht man woanders!
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Hi
Man hat ein Vaterland und eine Muttersprache aber die Sprache des Herzens ist der Dialekt. Wer Dialekt spricht, dringt ins Innere des Menschen vor.
Ich beschäftige mich schon lange mit diesem Thema, auch ausgelöst durch meine Familiengeschichte. Aus dem Stammbaum mütterlicherseits geht hervor, dass unsere Vorfahren aus Österreich, genauer aus der Gegend um Wien stammen. Diese mussten sich nach dem Dreißigjährigen Krieg, als Wien wieder re-katholisiert wurde, entscheiden - entweder zurück zum katholischen Glauben oder evangelisch bleiben und auswandern und wurden so zu Exulanten.
Ja, Wien war in seiner Geschichte zeitweise protestantisch. Vor allem während der Reformationszeit im 16. Jahrhundert gab es in Wien eine beträchtliche Anzahl von Anhängern der protestantischen Bewegung. Unter der Herrschaft Kaiser Ferdinands II. und der Gegenreformation wurden jedoch strenge Maßnahmen ergriffen, um den Protestantismus zurückzudrängen. Viele Protestanten wurden verfolgt, vertrieben oder zum Katholizismus zwangskonvertiert. In der Folge war Wien wieder fest in den katholischen Glauben integriert und der Protestantismus spielte in der Stadt eine deutlich geringere Rolle.
Ein großer Teil der heutigen Franken stammt von Österreichern ab, was oft noch an den Namen erkennbar ist. Franken war deshalb so begehrt, weil der Krieg zuvor etwa 80 Prozent der einheimischen Bevölkerung ausgelöscht hatte - mit anderen Worten, es war Platz.
Quelle: https://www.gf-franken.de/de/exulantenforschung.html
„Nach dem Dreißigjährigen Krieg sind viele Glaubensflüchtlinge aus Ober- und Niederösterreich, aber auch aus den innerösterreichischen Ländern Kärnten und der Steiermark nach Franken zugewandert.“
„Die Exulanten machten in den Jahrzehnten nach dem Dreißigjährigen Krieg in vielen Orten Ober- und Mittelfrankens zwischen 25% und 50% der Bevölkerung aus. Die Gesamtzahl der Exulanten wird auf rund 100.000 geschätzt - für die damalige Zeit eine ungemein große Zahl.“
Übrigens glaube ich irgendwo gelesen zu haben, dass der bittere Wiener Schmä aus jener Zeit stammt, als die Leute, die zum katholischen Glauben gezwungen wurden, mit Verachtung in der Sprache reagierten - ob das stimmt, kann ich nicht beweisen.
Sehr interessant, vielen Dank!
Das Unterdrücken eines Dialekts ist nichts anderes, als der Muttersprache eine bedeutungsvolle Lebensader zu entreißen. Eine lebendige Sprache erfährt ohne die Dialekte keine Veränderung mehr. Dann ist Stillstand angesagt und die Tür für fragwürdige Anglizismen steht sperrangelweit offen.
Doch wer mit André Heller, Georg Danzer, Wolfgang Ambros, Arik Brauer und Ludwig Hirsch im Ohr aufgewachsen ist, der hat sich frühzeitig um brauchbare Übersetzungen bemüht.
Daher verwundert mich der Tschigg ein wenig, da ich von Danzer nur den Tschick kenne – und der qualmt zwar auch in Italien, hat aber dort einen anderen Namen. Ähnlich verhält es sich mit dem Paradeiser, der auch im Raum Zagreb bestens gedeiht. Komme ich allerdings nach Dalmatien, sind die Paradeiser ausgestorben – dort gibt es ausschließlich Pomodore. Warum? Weil nur sie und die Italiener wissen, wie Tomaten richtig heißen. 😉🍅
Ich war mir nicht sicher, ob ich besser Tschigg oder Tschick schreiben soll (es finden sich Quellen für beides). Letztlich ist es egal, denn wie im Post erwähnt, macht der Wiener im Gesprochenen keine Unterscheidung zwischen g und k. Kein Wiener würde Tschick mit hartem k aussprechen.
Dass viele Wörter sich auch in andere Dialekte verirrt haben, das ist unbestritten. No na würde der Wiener sagen, oder eh kloa.
Letztlich spielen in diesem Fall weder g noch k eine gewichtige Rolle. Schließlich kommt es nur darauf an, was zwischen das Papier gerollt wird. 😉
Hoffentlich kein Tabak, denn dann beginnt erneut das Wiener-Wechselspiel von k zu g.
Was ein Zufall, gerade neulich habe ich eine Doku über Hans Moser gesehen.
Das aussterben (oder zumindest weniger werden) von Dialekten ist wohl nicht nur auf Wienerisch beschränkt. Das findet man überall.
Bis vor einigen Jahren galt es ja als Zeichen von Ungebildetheit (und auch einfach Dummheit) wenn man Deutsch mit Dialekt sprach. Egal ob Bayerisch, Kölsch, Berlinerisch, Frisisch oder sonst was. In den Schulen wurde es den Kindern ja regelrecht ausgetrieben Dialekt zu sprechen.
Ist also kein Wunder wenn Dialekte verschwinden - besonders noch im Hinblick auf die Benutzung von Social Media usw. - das wird wohl auch so weitergehen. Sogar das Hochdeutsch ändert sich ja, ob gewollt (gendern) oder nicht.
War aber wohl auch früher nicht anders. Wenn du jemand vor 250 Jahren reden hören würdest (ziehmlich egal in welcher Sprache oder Dialekt) würdest du auch kaum was verstehen.
Stimmt, wobei es sicher Phasen von langsameren und schnelleren Veränderungen gibt. Ich denke, wir sind derzeit in einer beschleunigten Phase, durch Einwanderung plus Digitalisierung. Die Lesefaulheit von heute hat aber vielleicht gar nicht so einen großen Einfluss, denn die Dialekte spielen sich ja hauptsächlich im Gesprochenen, weniger im Geschriebenen ab (HC Artmann und andere Mundartdichter (Beispiel) würden das vermutlich anders sehen).
Richtig, und das ist ja gerade ein wichtiger Faktor, denn es wird ja heute viel mehr geschrieben als früher, durch das Social Media Gelaber. Und da schreibt man natürlich nicht auf schwäbisch oder wienerisch oder bayerisch. Höchstens mit irgendwelchen Abkürzungen oder Jugendsprech.
Als schwizer findis echt super nteressant die sprach. I denke mer versteitnviel, au umgekehrt :)
Liebe gruess us dr schwiz haha
Greez
!BEER 🍻
Der mundl scheint eine Art Wiener Eckel Alfred zu sein 😅
Kann gut sein, kenne den nicht.
Ekel Alfred Tetzlaff, Hauptcharakter von "Ein Herz und eine Seele", auch aus den 70ern, auch mit einem nicht-gewünschten, doch dann akzeptierten Schwiegersohn. (spielt in Wattenscheid, NRW)
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Oi, da Mundl. Lang lang is her.
Aus der Zuwanderer Liste kenn ich 11 Worte, aber das sind nicht nur rein wienerische sondern doch allgemein österreichische Ausdrücke dabei?
Ja, es wurde nicht gesagt, dass es diese Wörter nur in Wien gibt. Gibt ja auch eine große Binnenwanderung innerhalb Österreichs und dadurch einen Austausch.
Stimmt auch wieder 🙂 mein Favorit ist übrigens die Kombineeeesch 😅 schon ewig nimmer gehört